Wacker im Krieg – Erfahrungen eines Künstlers
Für Rudolf Wacker (1893 bis 1939) war der Krieg nie zu Ende. Der 1. August 1914, der Tag des Abschieds aus Bregenz, und der 14. September 1920, als er aus fünfjähriger Kriegsgefangenschaft in Sibirien nach Bregenz heimkehrte, blieben für ihn zeitlebens wichtige Erinnerungstage. Die Ausstellung „Wacker im Krieg. Erfahrungen eines Künstlers“, die derzeit im vorarlberg museum gezeigt wird, demonstriert eindrücklich und auf vielfache Art und Weise, wie Wacker, der zu den herausragenden Künstlern der Zwischenkriegszeit zählt, in der Kriegsgefangenschaft zum Künstler wurde und wie sich die Erlebnisse von Krieg und Gefangenschaft auf sein späteres Leben und Werk ausgewirkt haben.
Geboren wurde Wacker 1893 in Bregenz als viertes Kind einer wohlhabenden Baumeisterfamilie. Das Elternhaus in der Bregenzer Römerstraße 24 diente ihm, seiner Frau Ilse und später seinem Sohn Romedius von 1924 an als Zuhause. Von hier aus übersiedelte Wacker aber schon 1910 nach Wien, um an der Kunstakademie Aufnahme zu finden, was ihm in diesem und auch im darauffolgenden Jahr nicht gelang. Er wechselte an die Hochschule für bildende Kunst nach Weimar, um am 1. August 1914 in jenen Krieg zu ziehen, von dem niemand ahnte, dass sich daraus ein bis dahin unvorstellbarer Weltkrieg entwickeln würde. Unvorstellbar war der Krieg vor allem auch deshalb, weil die Jahrzehnte davor, nicht unähnlich unserer Zeit, eine Epoche des Friedens waren. Wacker wurde rasch ausgebildet, um an die Front geschickt zu werden, wäre er nicht als Einjährig-Freiwilliger zum Militär eingezogen worden, Ausbildung und späterer Fronteinsatz, aber auch die Gefangenschaft wären anders verlaufen. Im Februar 1915 kommt er an die Ostfront nach Galizien, er macht im Feld, wie viele, Erfahrungen wie keiner zuvor. In der Zeit nach diesem Krieg war die Rede von den „ungeheuersten Erfahrungen der Menschheitsgeschichte“, die man in diesem Krieg machen musste. Die Soldaten standen in einem Kraftfeld, so heißt es, „zerstörender Ströme und Explosionen als winzige, gebrechliche Menschenkörper“. Wacker wird sie später zeichnen und malen. Im Oktober 1915 wird Wacker in der heutigen Ukraine, nach Monaten intensivster Fronterfahrung, gefangen genommen und letztlich nach Tomsk ins Gefangenenlager verfrachtet, wo er am 10. Juli 1916 ankommt. Ins Tagebuch schreibt er, es sei ein Gefühl, als sei man in eine Mausefalle gegangen.
Tomsk ist von Bregenz aus weit weg, ziemlich genau 6000 Kilometer. Hier bleibt Wacker bis zum Jahr 1920, nie wissend, wie lange die Gefangenschaft noch währt. Im Lager in Tomsk beginnt er ab dem Jahr 1917 zu zeichnen, er zeichnet auf unerhörte Weise Selbstporträts, insgesamt entstehen viele Hunderte Blätter mit ganz unterschiedlichen Ausreifungsgraden, oftmals rasche Skizzen, heimlich mit dem Bleistift aufs Papier gebracht, aber auch Porträts von Lagergenossen, die er auch verkaufen kann, weil jeder ein Andenken ans Lager mit nach Hause nehmen will; Gegen Mitte des Jahres 1919 wird das Lager langsam aufgelöst, Wacker ist auf dem Papier ein freier Mann, nur was nützt es ihm, woher soll er Geld bekommen in der Stadt Tomsk, die als intellektuelles Zentrum Sibiriens gilt, um den Heimweg nach Bregenz antreten zu können. Neben den Lagerfreunden lernt er in diesen Monaten eine ganze Reihe von russischen Künstlern und Intellektuellen kennen, die ihm auch bereitwillig Zeichnungen abkaufen. Er nimmt teil am Leben in Tomsk, das Museum vor Ort kauft ihm, als erste Einrichtung überhaupt, Zeichnungen ab. Im frühen Sommer 1920 hat Wacker die Chance auf eine Arbeitsstelle im heutigen Novosibirsk, es geht Richtung Westen. Über Moskau, wo er kurz als Koch arbeitet, kommt Wacker mit dem Heimkehrerschiff von Estland nach Stettin, über Hallein geht es nach Innsbruck. Am 14. September kommt er in Bregenz an.
Sein Vater ist gestorben, Österreich ist eine Republik. Der 14. September, er wird ihm die 19 Jahre, die er noch zu leben hat, nicht mehr aus der Erinnerung entschwinden.
Nach der Rückkehr beginnt Wacker sein malerisches Werk zu schaffen. Wie schaut man nun auf dieses Werk mit dem Wissen, was die Front- und Lagererlebnisse für Wacker selbst bedeuteten, auch mit dem Wissen um das umfangreiche zeichnerische Werk, das in Sibirien entstand und den Gemälden vorausgeht, wie schaut man auf diese Bilder mit dem Wissen um die kleinen und großen Liebschaften, um die sexuelle Not und die sexuelle Lust des jungen Mannes in und außerhalb des Lagers, um das Wissen der allgegenwärtigen Kälte und des meterhohen Schnees in Sibirien, mit dem Wissen um die Schrecken und grausamen Anblicke der Front, mit dem Wissen um die Demütigungen des Lagerlebens und den Auswirkungen der längst diagnostizierten „Stacheldrahtkrankheit“. Wacker wird die Zeit in Sibirien produktiv für sein Werk nützen, sich für den Konstruktivismus ebenso begeistern wie für den neuen Sowjetfilm und nachhaltige Freundschaften mit seinen ehemaligen Mitgefangenen entwickeln. Die Erinnerung an Tomsk bleibt nicht nur in den Bildern präsent bis ans Ende seines Lebens, auch als im Mai 1938 bei ihm im Auftrag der Gestapo eine Hausdurchsuchung stattfindet. Im Tagebuch notiert er „Erregung darüber, daß uns das hier in der Heimat passiert ist ... Erinnerung an die üblichen Durchsuchungen in den Tomsker Baracken“. Der Krieg war für ihn nie zu Ende.
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