Kurt Bracharz, Aufklärer und Gourmet. Ein Nachruf
Das Franz-Michael-Felder-Archiv wollte mit Kurt Bracharz im Frühjahr dieses Jahres eine Lesung in seiner „revisited“-Reihe veranstalten, in der wichtige Bücher der Literatur aus Vorarlberg für einen Abend in den Mittelpunkt gestellt werden. „Die grüne Stunde“ wurde zusammen mit dem Autor im Herbst letzten Jahres dafür ausgesucht und im Vorfeld trug uns Kurt Bracharz auf, herauszufinden, ob dieser Kriminalroman nicht der erste einer Gattung gewesen sei, die heute unter dem Titel Regionalkrimis in aller Munde sich befindet. Erschienen ist „Die grüne Stunde“, jener fantastische Bregenz-Krimi um Absinth, Zeugen Jehovas und Francis Bacon 1993. In der Tat ist das Genre des Regionalkrimis erst viele Jahre später populär geworden, ob aber „Die grüne Stunde“ der Roman war, der die Gattung insgeheim begründete, wird man nicht sagen können, dass er aber bis heute einer der besten ist, definitiv.
Es zeichnet den Autor Kurt Bracharz aus, dass er nicht nur mit „Die grüne Stunde“ avant-garde war, sondern auch noch mit anderen Werken, die er vorlegte, Neuland beschritt. Hier sind vor allem seine kulinarischen Tagebücher zu nennen, deren erstes „Esaus Sehnsucht“ im Jahr 1984 erschien, viele Jahre bevor man bemerken musste, dass das Reden und Schreiben über das, was man einmal Feinschmeckerei genannt hat, alle Lebenslagen und Textsorten durchdrungen hatte. Man kann in diesen Büchern, aber auch in den danach vorgelegten Tagebüchern „In einem Jahr vor meinem Tod“ und „Für reife Leser“, Einblick nehmen in ein Leben, das sich um Literatur, Kunst und Kulinarik dreht wie keines, und wie eines, das man in der Provinz, der Kurt Bracharz Zeit seines Lebens treu blieb, nicht vermutet. Von Bregenz aus streift und reist der Autor regelmäßig nach Wien, nach Deutschland, in die Schweiz, nach Italien, ins nahe Lindau, nach Zürich, München und an viele andere Orte. Immer auf der Suche nach der letzten, neuesten Information, dem besten Restaurant, dem nächsten Buch, aber auch nach dem Drastischen und Abseitigen, das unsere Gesellschaft bietet. Heute sind diese Bücher Archive der einstigen Gegenwart, ein Fundus für Kulturhistoriker und andere Spurenleser und in ihrer lakonischen Schnörkellosigkeit von bestechender literarischer Qualität. In der Tat verblasst jeder Kanon im Schatten der Lektürelisten von Kurt Bracharz, wie sie die Tagebücher speichern. Mit Detailwissen ist Gewinn zu machen. Den konnte Kurt Bracharz oftmals auf sein Konto verbuchen.
Dahinter verbirgt sich aber auch eine Eigenschaft, nämlich die des Aufklärers K.B. Wenn ihm etwas ganz und gar widerstrebte, dann alles, was seiner Ansicht nach mit rationalem Denken nicht in Einklang zu bringen ist. Um Leute wie Derrida und Lacan machte er einen großen Bogen, „Alice im Wunderland“ hingegen wurde zur zeitweiligen Obsession. Man weiß ja, dass die Rückseite der Aufklärung der Rausch ist. Auch diesen hat Kurt Bracharz produktiv gepflegt. Sein Interesse für Ernst Jünger speist sich daraus. Von einem unveröffentlichten Buch über Drogenexperimente wird geredet. Aber auch seine Vorliebe für Lexika, für Krimis und für alle anderen Gattungen, die mit Wissen und dem Forschen nach der Wahrheit zu tun haben, zeugen von seinem letztlich aufgeklärten Habitus. Es passt in dieses Bild, dass das Experiment vielfach in seinen Texten vorkommt.
Kurt Bracharz, der nach der Matura an der Handelsakademie, bei Banken und Versicherungen arbeitete, war ab 1972 Berufsschullehrer in Dornbirn, bis er diesen Job 1990 an den Nagel hängte und sich als Autor und Journalist (auch für Computer-Zeitungen) verdingte. Seine literarische Laufbahn begann mit einer Veröffentlichung in den Grazer „manuskripten“ im Jahr 1977. Bekannt wurde er durch Publikationen im Bereich der drei K’s: den Krimis, den Kulinaria und den Kinderbüchern, hier vor allem mit „Als der Maulwurf beinahe in der Lotterie gewann“, die Zeichnungen steuerte Tatjana Hauptmann bei. Seine Krimis von den „Pappkameraden“ bis zu „Der zweitbeste Koch“ müssen sich vor kaum etwas verstecken, was dieses Genre in den letzten Jahrzehnten hervorgebracht hat. Auch als Übersetzer trat er immer wieder in Erscheinung. Als in Vorarlberg endlich eine neue, junge Autorengeneration um 1980 auf dem Feld der Literatur und Kultur antrat, war Bracharz dabei. Als Herausgeber von Anthologien und Zeitschriften blieb er der Vorarlberger Literaturszene verbunden. Wie überhaupt es den Anschein hat, als habe der Schriftsteller, einmal einen Platz zum Schreiben und Leben gefunden, ihn ungern wieder aufgegeben. Man wird zum Beispiel lange suchen müssen, um eine Ausgabe der Zeitschrift „Kultur“ zu finden, in dem sich kein Beitrag von ihm findet. Über viele Jahre hat er für die „Vorarlberger Nachrichten“ Restaurantkritiken geschrieben, zunächst anonym unter „Hafaloab“, dann aber unter seinem richtigen Namen. Immer auf der Suche nach dem noch besseren Essen, den noch interessanteren Lebensmitteln. Das kulinarische und das literarische Fieber hat ihn früh gepackt und nicht mehr losgelassen, es hat ihn zu einem eminenten Leser, außerordentlichen Autor, ehrgeizigen Koch und analytischen Gourmetkritiker gemacht, dem eine einzige Kunstsparte für sein Tun auf dieser Welt zu eng war und der dem Betrieb oftmals kritisch entgegentrat. „Ich will keine Lesergemeinde, ich will einen Kult“, hat er schon in den frühen 1980er Jahren verlautbart, am 6. Jänner 2020 ist Kurt Bracharz im 73. Lebensjahr verstorben.
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