Andreas Unterberger

73, ist Kolumnist und schreibt seit sieben Jahren unter www.andreas-unterberger.at Österreichs meistgelesenen Internet-Blog. Er ist Jurist und hat zehn Jahre an der Universität Wien Politikwissenschaft vorgetragen. Er war 20 Jahre Außenpolitik-Journalist und 14 Jahre Chefredakteur von „Presse“ und „Wiener Zeitung“. Sein jüngstes Buch heißt „Schafft die Politik ab“.

Warum steht über die wirklichen Revolutionen nichts in der Zeitung?

März 2017

Vor 50 Jahren begann die größte Revolution in der Menschheitsgeschichte – und in Europa hat sie bis heute kaum jemand zur Kenntnis genommen. Obwohl sie wichtiger war und ist als alles, was seither auf der Erde geschehen ist. Kommt diese Ignoranz daher, dass diese Revolution in Asien stattgefunden hat? Kommt sie daher, dass sie so gar nicht in den Zeitgeist der selbsternannten Intellektuellen Europas passt, die seit der sogenannten 68er-Revolution einen Schwachsinn nach dem anderen anbeten? Oder kommt sie daher, dass sie eine positive Revolution gewesen ist, während Medien immer nur die schlechten Nachrichten transportieren wollen?

Es ist die grüne Revolution. Sie hat in diesen 50 Jahren rund eine Milliarde Menschen vor dem Hungertod gerettet. Um sich die Dimension vorstellen zu können: Das ist ein Vielfaches der Opferzahlen, welche die drei schlimmsten Totalitarismen der letzten 100 Jahre gefordert haben, also Kommunismus, Nationalsozialismus und Islamismus zusammen.
Eigentlich eine verrückte Welt, die immer nur das Negative groß beachtet, das Positive hingegen nicht einmal zur Kenntnis nimmt. Auch wenn es noch so groß und bedeutend ist. Zumindest hier und heute soll diese sensationelle Entwicklung gewürdigt sein. An sie zu erinnern, ist umso wichtiger, als sie heute unter dem Diktat der NGOs und der zumindest in Europa herrschenden Fortschrittsfeindlichkeit wohl nicht mehr stattfinden könnte.

Die grüne Revolution hat aus einer Reihe von Erfindungen, Forschungen und Entwicklungen bestanden. Wenn man sie an einem einzelnen Schritt festmachen will, dann war das zweifellos die Einführung einer neuen genetisch veränderten Reissorte mit dem wenig erotischen Namen IR8 vor genau 50 Jahren in Indien. Von zwei privaten amerikanischen Stiftungen finanziert hat ein Forschungsinstitut in den Philippinen durch eine Unzahl von intensiven Kreuzungen und Versuchen diese Sorte entwickelt, die sofort geradezu sensationelle Ergebnisse brachte.
Sie hat den Reisertrag pro Hektar zumindest verdreifacht, unter besonders günstigen Bedingungen und zusammen mit weiteren Entwicklungen der grünen Revolution sogar verzehnfacht. Inzwischen haben weitere Forschungen auch die Resistenz gegen diverse Krankheiten erhöht, den Geschmack verbessert und für einen großen Variantenreichtum an neuen Sorten gesorgt. Heute wird vor allem an der Entwicklung von solchen Sorten gearbeitet, die erstens der angedrohten Klimaveränderung standhalten können, und die zweitens bestimmte Vitamine enthalten, deren Konsum viele Krankheiten verhindert.

Tatsache ist: Vor Beginn der grünen Revolution haben von der Bevölkerung Asiens 50 Prozent unter Hunger gelitten, heute sind es zwölf Prozent. Der Preis für ein Kilo Reis ist zugleich deutlich gesunken. Gleichzeitig hat sich aber auch die Bevölkerungszahl Asiens von 1,9 auf 4,4 Milliarden vergrößert (das sind weit mehr als die Hälfte der derzeit 7,4 Milliarden Erdbewohner). Wenn dieses Bevölkerungswachstum nicht durch die grüne Revolution aufgefangen worden wäre, dann hätte es mit Sicherheit nicht nur eine Milliarde Hungertote gegeben, sondern auch viele durch Hunger verursachte Völkerwanderungen und Kriege.

In Europa kann man sich kaum vorstellen, wie wichtig Reis für die Ernährung Asiens ist. Nach seriösen Schätzungen werden dort nämlich 80 Prozent der Kalorien über Reis konsumiert. IR8 und die gesamte grüne Revolution sind ein unfassbarer Erfolg von Wissenschaft und Technik, von Mut zur Innovation und privater Dynamik. Die Hauptinitiativen dabei kamen von zwei Stiftungen, die die urkapitalistischen Namen Ford und Rockefeller tragen. Umso mehr Hoffnungen kann man daher darauf setzen, dass heute ebenfalls private Stiftungen – die von Bill Gates ist weitaus die größte und bekannteste, aber keineswegs einzige – auch den Kampf gegen die großen Massenkrankheiten mit Erfolg und Effizienz vorantreiben können.
Je mehr man über diesen größten Erfolg der Menschheitsgeschichte erfährt, umso klarer wird aber auch, wie stark die Kräfte sind, die diesen Erfolg totschweigen wollen:

  1. Der in den meisten europäischen Parteien – ob dunkelrot, ob hellrot, ob grün, ob schwarz, ob blau – tiefverwurzelte Sozialismus kann unmöglich eingestehen, dass private, also freiwillige philanthropische Initiative mehr Fortschritt zustandegebracht hat als all die Billionen an Steuergeldern, die die Politik den Menschen abgepresst hat.
  2. Die in den meisten europäischen Parteien und Medien vor allem durch die Propaganda von Greenpeace tiefverwurzelte Grünideologie kann unmöglich zugeben, dass genetische Entwicklungen so triumphal erfolgreich gewesen sind.
  3. Der bei den meisten Sozialisten schon lange virulente und sich neuerdings vor allem bei manchen einfältigen Kirchenführern eingrabende Hass auf die Marktwirtschaft („Dieses System ist Mord“) kann unmöglich zugeben, dass urböse Kapitalisten wie Ford und Rockefeller den größten positiven Fortschritt der Menschheit seit Beginn der Geschichtsschreibung ausgelöst haben.
  4. Der riesige globale Entwicklungshilfeapparat mit seinen Tausenden staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen und vielen Hunderttausenden hauptberuflich davon Lebenden (und sich dabei gut und wichtig Vorkommenden) kann kein Interesse haben, dass seine gesamten Aktivitäten von Forschung und Gentechnik in den Schatten gestellt werden. Oder gar am Ende überflüssig werden.
  5. Und die an Universitäten so dominierenden und den öffentlichen Diskurs so beherrschenden Geistes- oder gar Sozialwissenschaften können niemals zugeben, dass die immer als ethisch problematisch hingestellten Naturwissenschaften tausendmal mehr Gutes getan haben als sie alle zusammen.

Zum Schluss eine prägende subjektive Erinnerung: In den Jahren rund um die erste Einführung von IR8 habe ich in einer Zeitung eine Notiz von rund 15 Zeilen gelesen, die mir bis heute in Erinnerung geblieben ist. Ihr Inhalt: In China sind mehr als 300.000 Menschen bei einer Hungersnot verreckt. 15 Zeilen. Weder vorher noch nachher war darüber sonst etwas zu lesen. Das war für die damalige Menschheit offenbar eine mehr oder weniger normale Nachricht. Heute hingegen kann sich seit Langem niemand mehr an eine annähernd gleich große Hungerkatastrophe erinnern.
Gewiss sind die zwölf Prozent heute in Asien Hungernden noch immer zu viel. Aber auch diese Zahl kann, so wie es im 20. Jahrhundert in Österreich gelungen ist, wohl noch auf null reduziert werden, wenn keine Kriege ausbrechen, wenn keine grün-bewegte Fortschrittsfeindlichkeit die weitere Entwicklung verhindert, wenn keine absurde Diktatur ein Land quält.

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