Peter Freiberger

Wenn die Naivität Hochzeit hat

Oktober 2015

Leichtgläubigkeit, der Wunsch nach einem schnellen Kick und eine gehörige Portion Naivität bilden den Nährboden, auf dem kriminelle Organisationen junge Männer im Internet in eine Sexfalle locken. Das Phänomen „Sextortion“ nimmt auch in Vorarlberg rapide zu.

Eine attraktive junge Frau tritt über eine Social-Media-Plattform im Internet in Kontakt mit einem Vorarlberger. Der fühlt sich geschmeichelt, über einige Zeit hinweg tauschen sich die beiden im Netz verbal aus. Die Frau schlägt dann vor, einen Videochat zu beginnen, der Mann folgt der Verlockung. Die Verlockung geht bald deutlich weiter: Die Frau zieht sich aus und nimmt sexuelle Handlungen an sich selbst vor. Der Mann soll das gleiche tun – er willigt ein und tappt prompt in die Falle.

Hinter der Facebook-Freundin steht nämlich in Wirklichkeit lediglich ein erfundenes Profil, das Sexvideo stammt von einer Webcam. Unbekannte im Hintergrund haben die Videokonversation aufgezeichnet und drohen dem Mann, den kompromittierenden Film im Netz zu veröffentlichen oder ihn Facebook-Freunden zu schicken, wenn er nicht eine bestimmte Geldsumme mittels einer anonymen Bezahlweise überweist. „Sextortion“ heißt der Fachbegriff für diese Form von Erpressung.

Zahl der Delikte verdoppelt

„Seit dem vergangenen Jahr sind wir mit Sextortion konfrontiert“, sagt Abteilungsinspektor Alexander Wachter, stellvertretender Ermittlungsbereichsleiter für Sexualdelikte im Landeskriminalamt Vorarlberg. Rund 20 Anzeigen gab es 2014, diese Zahl wurde heuer bereits zur Jahresmitte erreicht. Die Dunkelziffer dürfte allerdings weitaus höher liegen. Oft ist wohl die Scham, bei der Polizei den „Offenbarungseid“ abzulegen, viel zu groß.

Bis zu 500 Euro haben Vorarlberger schon gezahlt, um einem Outing zu entgehen. „Die Täter beginnen meist mit einer niedrigen Forderung, damit die Opfer nicht sofort abspringen – etwa mit 100 Euro“, weiß Kriminalist Wachter. Wer bezahlt, darf sich freilich alles andere als in Sicherheit wiegen. Wachter: „Die Wahrscheinlichkeit, dass weitere Forderungen eintrudeln, ist hoch.“

In der Regel gehen Männer unter 30 auf den Leim, das bisher jüngste bekannt gewordene Vorarlberger Opfer war Jahrgang 1989. Der Wunsch nach rascher sexueller Befriedigung oder der Reiz, sexuelle Kontakte mit einer praktisch unbekannten, attraktiven Frau zu pflegen – diese und ähnliche Motive stecken dahinter, wenn Männer sich auf Videochats dieser Art einlassen. „In einem uns bekannten Fall hat das Opfer bereits nach drei Stunden einen verhängnisvollen Chat begonnen“, schüttelt Wachter ungläubig den Kopf.

Üblicherweise dauert die „Anbahnungsarbeit“ der Täter jedoch länger. Mehrere Tage wird versucht, durch das Austauschen von Nachrichten Vertrauen aufzubauen. Wenn sie freilich nicht bald Aussicht auf Erfolg erkennen, stoßen sie ihr Gegenüber aber rasch wieder ab. „Sie können ja aus einem Kreis von Millionen potenzieller Opfer quasi auswählen“, weiß Wachter. „Effizienz“ lautet somit die Devise.

Stichwort Täter: Einzelpersonen stehen wohl nicht hinter den Sextortion-Delikten. „Wir müssen von organisierter Kriminalität ausgehen“, sagt Ermittler Wachter. Diese Profis auszuforschen gestaltet sich extrem schwierig bis unmöglich.

Die wenigen Spuren, die ans Tageslicht kommen, weisen in der Regel in die Staaten des ehemaligen Ostblocks und nach Nigeria. Von dort stammen die IP-Adressen, die die Kriminalisten herausfiltern. Wo die Täter tatsächlich angesiedelt sind, lässt sich aber nicht wirklich eruieren. Im weltweiten Netz bieten sich für Profis ausgeklügelte Methoden, Identität und Herkunft zu verschleiern. Wer die Vorarlberger Opfer mittels Sextortion abgezockt hat, konnte bisher nicht geklärt werden.

Videos irgendwo im Netz

Es steht zu befürchten, dass die Videos in jedem Fall irgendwo im Netz herumschwirren, selbst wenn sie nicht auf Facebook oder in anderen sozialen Medien veröffentlicht werden. Denn nicht selten taucht solches Filmmaterial beispielsweise auf Kinderpornoseiten auf.

Thema Pädophile: Jugendliche, die sorglos im Internet intime Details oder Fotos von sich preisgeben, laufen immer Gefahr, Opfer von Pädophilen zu werden. Diese bittere Erkenntnis musste eine erst 13-jährige Vorarlbergerin machen. Ein Unbekannter, der sich als gleichaltrig ausgab, hatte das junge Mädchen über eine mobile Nachrichtenapp angeschrieben und ihr Komplimente geschickt. Im Zuge der Konversation bat er die 13-Jährige, ihm Nacktfotos zu senden. Das Mädchen kam dem Wunsch nach – und tappte in die Falle. Wie sich herausstellte, handelte es sich um einen Erwachsenen aus Deutschland.

„Sexting“ lautet der aus dem Englischen stammende Begriff, wenn sich Jugendliche als Liebesbeweis gegenseitig Nacktbilder oder gar Aufnahmen von Genitalien zuschicken. Dabei können sie nicht nur Opfer von Pädophilen werden. Besonders Mädchen sind zudem in Gefahr, dass die Bilder beispielsweise in ihrer Schule ungewollt Verbreitung finden und sie sich damit der Gefahr von Nötigung oder Mobbing aussetzen.

„Speziell junge Frauen sollten keine lasziven Fotos oder Dinge, die sie angreifbar machen, auf sozialen Internetplattformen oder über Nachrichtendienste verbreiten und keine Unbekannten in die Freundesliste aufnehmen“, rät Kriminalist Wachter als wirksamste Präventionsmaßnahmen. Die Tendenz solcher Delikte sieht er freilich steigend.

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