Klaus Feldkircher

(geb. 1967) lehrt an der FH Vorarlberg, ist als freier Journalist tätig und betreibt das Kommunikationsbüro althaus7. Als Autor, Texter und Konzepter hat er bereits zahlreiche Sachbücher veröffentlicht. Weiters ist er in der Erwachsenenbildung tätig und lehrt Deutsch und Latein an der Schule Riedenburg/Bregenz.

Wer lesen kann, ist im Vorteil

November 2019

Die Frankfurter Buchmesse vom 16. bis 20. Oktober, eine der größten ihrer Art, ist schon wieder Geschichte. Viele Eindrücke, neue Geschichten, schöne Bücher. All das ist Grund genug, sich rückblickend Gedanken über die Zukunft des Lesens zu machen.

Warum? In Zeiten der Digitalisierung, von Amazon und überbordenden Freizeitangeboten ist die Frage nach dem Stellenwert des Lesens legitim. Wir haben uns in Sachen Buch, Informationshandel und Lesen mit einer Expertin unterhalten, die sich tagtäglich mit dieser Frage auseinandersetzt: Verena Brunner-Loss ist Inhaberin und Geschäftsführerin der gleichnamigen Buchhandlung Brunner mit sieben Standorten in Vorarlberg. „Unsere Strategie war es immer, uns dort niederzulassen, wo Bildung passiert“, erklärt Brunner-Loss die Auswahl der Standorte. Ausgehend von Höchst, wo das Unternehmen gegründet wurde, expandierte die Buchhandlung Brunner nach Rankweil, Götzis, Lustenau und natürlich Bregenz und Dornbirn. Um auch als „geistiger Nahversorger“ im Bregenzerwald präsent zu sein, wurde eine weitere Filiale in Egg etabliert.

Toleranz des Lesens

Der Buchhandel geht auf das Gründungsjahr 1964 zurück, als Oswald und Brigitte Brunner in Höchst den „Devotionalienhandel“ der Eltern um diese Sparte erweiterten. „Mein Vater hat das nötige Kapital in der Stickerei verdient, um sein Hobby – Bücher – zu finanzieren“, so Brunner-Loss. Dieser Tradition entstammt auch die Grundhaltung des Unternehmens: „Wir wollen der geistige Nahversorger sein. Uns ist wichtig, dass bei uns jeder den Stoff findet, der ihn interessiert“, erklärt die Unternehmerin. Ein Literaturkanon? Das widerspreche der „Toleranz des Lesens“. Denn jeder solle selber entscheiden dürfen, was an geistiger Nahrung er konsumiere. Und da sei es eben nicht nötig, dass ein anerkannter Literaturliebhaber sie hinter ein Bücherregal im Geschäft zerre, um sie zu bitten, ihr einen Rosamunde Pilcher-Roman zu besorgen, den ja seine Frau so gerne lese. „Ist schon passiert“, bestätigt sie. Vorbei seien die Zeiten, wo an Universitäten – wie in Innsbruck selbst erlebt – die Nase verächtlich über vermeintliche Trivialliteratur gerümpft wurde. Es ist die Freiheit des Lesens, die die Buchhandlung Brunner für sich und ihre Kundschaft propagiert.
In den 90er Jahren kam Verena Brunner-Loss nach einiger Zeit im Ausland – Praktika in London und in Deutschland – nach Vorarlberg zurück, um das elterliche Unternehmen zu übernehmen und in eine neue Zeit zu führen.

Lesen – nicht nur Kopfkino

„2005 eröffneten wir unser Geschäft am Leutbühel in Bregenz. Mit 400 Quadratmeter ist der Standort eigentlich zu groß für die Region“, so Brunner-Loss. Doch das Unternehmen leistet sich den Luxus einer repräsentativen Fläche, um diese mit außergewöhnlichen Programmen zu bespielen. So war dereinst auch der bekannte Literat Martin Walser zu Gast bei den Brunners. „Beim ersten Treffen organisierte ich, passend zu seinem Werk, ein Blasmusikensemble vom Landeskonservatorium. In seiner Rede sprach Walser dann davon, dass die Musik „fürchterlich sei“, weil sie ihm die Show stehle. Der zweite Teil des Satzes war jedoch zu subtil, sodass ich ganz geknickt von dannen schlich. Tage später erhielt ich von Walser einen Anruf, in dem er mich um den Namen des Ensembles bat. Also hatte es ihm doch gefallen. Bei einer späteren Lesung in Lustenau gelang es mir, einige Exemplare seines neuen Buches zu ergattern, bevor er es selbst zu Gesicht bekommen hatte. Was tat Walser? Er bat mich, ihm ein von mir signiertes Buch zu schenken.“ 

Wettbewerbsverzerrung

Und genau darin sieht Verena Brunner-Loss die Zukunft des Lesens. „Wir sind nicht mehr nur Buchhändler. Wir sind Veranstalter. Wir sind Vermittler. Und wir handeln mit Information“, meint sie. Digitalisierung und Globalisierung sieht sie nicht als Problem, sondern vielmehr als Chance. „Allerdings“, schränkt sie ein, „müssen wir uns einem verzerrten Wettbewerb stellen: Solange es keine steuerliche Gleichbehandlung mit Konzernen wie Amazon gibt, solange keine Wertschöpfung von Zalando im Land passiert, solange Mitarbeiterrechte mit Füßen getreten werden, so lange wird es keinen Wettbewerb mit gleichen Voraussetzungen geben.“ Und hier sei eben die Politik gefordert, um faire Chancen für alle zu schaffen.
Die Zukunft des Lesens sieht sie nicht gefährdet. Und auch analoger Lesestoff habe noch lange nicht ausgedient. Technisch seien die neuen E-Reader eben noch nicht soweit, die Qualität eines analogen Buches zu ersetzen. „Einmal abgesehen von der Lesequalität: Ein Buch kann als Unterlage genutzt werden. Ein Buch kann im Notfall auch als Fliegenklatsche herhalten. Wer nutzt dafür ein Smartphone oder einen E-Reader?“, meint sie schmunzelnd. 

Digitalisierung als Chance

Nichtsdestotrotz ist die Buchhandlung Brunner auch für eine digitale Zukunft gerüstet: In einem Online-Shop, der sich sehen lassen kann, sind neben analogen Büchern auch E-Reader samt digitalen Inhalten im Sortiment zu finden. Und überhaupt: „Ich denke, die Koexistenz digitaler und analoger Medien bietet enorme Vorteile: Informationen, die schnell verfügbar sein müssen, aber eben auch flüchtig sind, sind in der digitalen Welt gut aufgehoben. Wenn es um nachhaltiges Wissen, wenn es um etwas Bleibendes geht, dann wird das analoge Buch wohl immer die Nase vorne haben.“
Denn schließlich gibt es beispielsweise genügend Blogger und Menschen, die in der Online-Welt zu Hause sind, die ihre Biographien drucken lassen. Und damit ihre Follower beglücken. „Angst vor der digitalen Zukunft ist also unbegründet. Vielmehr ist sie eine Chance, neue Wege zum Lesen zu eröffnen“, ist Verena Brunner-Loss überzeugt.

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