Wie Sigmund Freuds Neffe die PR erfand
Macht und Psychoanalyse: Die psychoanalytischen Theorien finden in verschiedenen Bereichen eine Anwendung.
Für die Analyse unserer Affekte und Triebneigungen ist die klassische Psychoanalyse, also die Couch und an ihrem Kopfende der Analytiker, zuständig. In einer Art Sprechkur werden sprachliche Äußerungen analysiert, ihre verborgenen und unbewussten Anteile aufgedeckt und in eine Erzählung umgeformt, die so lange als plausibel erscheint, bis eine neue Erzählung hinzukommt und damit den analytischen Prozess weiterführt. Ich werde dieses Thema jedoch nicht weiter behandeln, sondern das Verhältnis zwischen Macht und Psychoanalyse im Zusammenhang mit wirtschaftlichen und politischen Interessen erläutern.
Beginnen wir mit der Wirtschaft. Ausgangspunkt ist Edward Bernays, ein Neffe Sigmund Freuds. 1891 in Wien geboren, und ein Jahr später mit seinen Eltern in die USA ausgewandert, gilt Bernays heute als der Vater der Public-Relations-Entwicklung. 1928 veröffentlichte er sein Buch „Propaganda“, in dem er beschrieb, wie man die Erkenntnisse seines Onkels Sigmund Freud für die Steuerung der öffentlichen Meinung einsetzen könne. Grundlage ist das Menschenbild Freuds, nachdem der Mensch ein irrationales, von unbewussten Triebimpulsen motiviertes Wesen ist, das einer kulturellen Steuerung bedarf. Dies gelte besonders für die Psychologie der Massen. Darauf aufbauend entwickelte Bernays wirtschaftliche und politische Kampagnen zur Meinungsbeeinflussung aufgrund damals aktueller Erkenntnisse der Massenpsychologie. Das erste Kapitel in seinem Buch „Propaganda“ hat den Titel „Die Ordnung des Chaos“ und beginnt mit folgenden Sätzen: „Die bewusste und zielgerechte Manipulation der Verhaltensweisen und Einstellungen der Massen ist ein wesentlicher Bestandteil demokratischer Gesellschaften. Organisationen, die im verborgenen arbeiten, lenken die gesellschaftlichen Abläufe. Sie sind die eigentlichen Regierungen in unserem Land.“
Bernays leitete aus diesen Überlegungen ab, dass Menschen Dinge kaufen, die sie nicht brauchen, wenn man den Kauf mit ihren unbewussten Wünschen in Verbindung bringt. Er benützte dazu als Erster sogenannte Focusgruppen, mit denen er die unbewussten Motivationsstrukturen der Menschen erfasste, um sie dann gezielt mit bestimmten Waren zu verbinden.
Einer der ersten Auftraggeber Bernays war die amerikanische Tabakindustrie. Sie beklagte, dass sie nur die Hälfte des Marktes abdecken könne, weil die Frauen nicht rauchen dürfen. Die Frage an Bernays war, ob und wie man das ändern könne. Bernays Antwort knüpfte an die damalige Diskussion in den psychoanalytischen Gesellschaften an, nach der die Frau das Gefühl habe, nicht „ganz“ zu sein, weil ihr gegenüber dem Mann etwas fehle, der Penis. Wenn es nun gelänge, die Zigarette mit dem fehlenden Penis in Verbindung zu bringen, sagte Dr. Abraham Brill, ein führender Analytiker in New York, hätten Frauen, die rauchen, auch einen symbolischen Penis und daher ähnlich phallische Gefühle von Macht und Stärke, wie die Männer.
Bernays überzeugte seine Auftraggeber und so inszenierte er inmitten der Osterparade 1929 in New York die Aktion „Fackeln der Freiheit“. Eine Gruppe von Frauen begann plötzlich ihre Zigaretten anzuzünden und demonstrativ zu rauchen. Fotografen und Filmemacher waren zur Stelle und berichteten weltweit über dieses Ereignis. Auch die Filmindustrie sprang auf diesen Zug auf. Die Diven in den amerikanischen Filmen rauchten Zigaretten und die Umsätze der Tabakindustrie stiegen kontinuierlich an. Heute wird die Vorstellung des Penisneides kritischer gesehen. Die meisten zeitgenössischen Analytiker betonen die Vielfalt und Komplexität der menschlichen Sexualität. Sie gehen davon aus, dass Geschlechtsidentität und sexuelle Entwicklung von mehreren biologischen, sozialen, kulturellen und psychologischen Faktoren beeinflusst werden.
Bernays Konzept schuf ein Ereignis – die rauchenden Frauen bei der Osterparade –, das Ereignis schuf eine Nachricht –, und diese Nachricht schuf eine Nachfrage für das, was er verkaufen wollte.
So wollte der Lebensmittelhersteller Beech-Nut-Company die Schinken- und Speckverkaufszahlen steigern und bat Bernays um ein entsprechendes PR-Konzept. Das übliche amerikanische Frühstück bestand damals aus Kaffee, Fruchtsaft und Toastbrot. Bernays besprach mit den Ärzten das Problem und stellte die Frage, ob nicht ein kräftigeres Frühstück gesünder sei. Schließlich wurden 5000 Ärzte befragt und 4500 davon waren der Meinung, dass ein üppiges Frühstück gesünder sei. Bernays lancierte nun in ganz Amerika entsprechende Leitartikel, in denen argumentiert wurde, dass Spiegeleier und Speck wichtige Bestandteile eines ausgewogenen Frühstücks seien und begründete dies mit den Aussagen der Mediziner. Seitdem weiß die ganze Welt, dass ein amerikanisches Frühstück aus „bacon and eggs“ besteht. Die Effizient von PR-Aktionen lässt sich auch beim Kleiderkauf beobachten. Lange Zeit wurde die Kleidung vor allem aus Nützlichkeitserwägungen gekauft, beispielsweise, um sich vor der Kälte zu schützen. Adel und Klerus bildeten dabei eine Ausnahme: Für sie hatte die Kleidung schon immer eine hohe symbolische Bedeutung. Heute wird Kleidung auch gekauft, um ein bestimmtes Bild von sich auszudrücken. Die PR-Strategen entwickelten dazu das Motto „Express yourself better in your dress“.
So wurde das Konsumverhalten zu einem zentralen Motor des amerikanischen Lebens gemacht. Präsident Hoover erklärte 1928 den PR-Leuten: „Sie haben die Aufgabe übernommen, Begehrlichkeiten zu wecken und die Menschen in sich ständig bewegende Glücksmaschinen zu verwandeln“. Und Paul Maser von der Investmentbank Lehman Brothers stellte nach dem Ersten Weltkrieg fest: „Wir müssen Amerika von einer Kultur des Bedarfs hinführen zu einer Kultur der Wünsche. Die Menschen müssen dazu erzogen werden, neue Dinge zu begehren, noch bevor das alte Begehren vollständig aufgebraucht ist.“ In dieser Entwicklungsphase der PR ging es noch darum, die Menschen zum Kauf zu animieren. Der nächste Schritt erforschte die inneren Gefühle der Menschen, erfasste sie in Lifestyle-Gruppen und erfand neue Produktlinien, die ein größeres Selbstwertgefühl hervorrufen sollten. Die Devise lautet: Man kann Identität kaufen. Meine Kleidung ist ein Statement.
Lesen Sie in der kommenden Juli-Ausgabe im zweiten Teil, wie und mit welchem Erfolg psychoanalytische Theorien in der Politik angewandt werden.
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