Angst und Politik
Edward Bernays, ein Neffe Sigmund Freuds – 1891 in Wien geboren, und ein Jahr später mit seinen Eltern in die USA ausgewandert – gilt heute als der Vater der Public-Relations-Entwicklung. Wie im ersten Teil in der Juni-Ausgabe berichtet, hatte Bernays wirtschaftliche und politische Kampagnen zur Meinungsbeeinflussung aufgrund damals aktueller Erkenntnisse der Massenpsychologie entwickelt (online nachzulesen auf themavorarlberg.at). In seinem Buch „Propaganda“ schrieb Barnays: „Die bewusste und zielgerechte Manipulation der Verhaltensweisen und Einstellungen der Massen ist ein wesentlicher Bestandteil demokratischer Gesellschaften. Organisationen, die im verborgenen arbeiten, lenken die gesellschaftlichen Abläufe. Sie sind die eigentlichen Regierungen in unserem Land.“ In diesem Teil möchte ich nun die Anwendung psychoanalytischer Theorien auf die Politik beschreiben.
Bernays sagt, es gehe darum, die tiefsten Ängste und die intensivsten Sehnsüchte von Gruppen zu analysieren und sie für bestimmte Zwecke zu nutzen. So instrumentalisierte er die US-amerikanischen Ängste vor dem Kommunismus dazu, einen Putsch gegen die Regierung von Guatemala zu inszenieren, um die enteigneten agrarischen Grundstücke der United Fruit Companie zurückzubekommen. Die Regierung unter Präsident Arbenz hatte gegen eine finanzielle Entschädigung in der Höhe jenes Wertes, den die United Fruit Companie in ihrer Steuererklärung angegeben hatte, 53.000 Hektar Agrarland in Staatsbesitz genommen und an Bauern verteilt. Bernays erzeugte furchterregende Berichte über die Entstehung einer marxistischen Diktatur in Guatemala. Im Juni 1954 wurde Präsident Arbenz gestürzt, ein Nachfolger namens Castillo Armas eingesetzt, der United Fruit Companie die in Staatsbesitz genommenen Grundstücke zurückgegeben und die Bauern, die sich gerade auf den neuen Feldern eingerichtet hatten, vertrieben.
Das psychoanalytische Wissen kann nicht nur für wirtschaftliche, sondern auch für politische Erfolge instrumentalisiert werden. In der medialen Berichterstattung hat zum Beispiel die Spaltung der Gesellschaft einen hohen Stellenwert. Die Spaltung bezieht sich auf das Eigene und das Fremde, auf den Freund und den Feind, auf das Wir und die Anderen. Eine Flüchtlingskrise kann humanitäre und soziale Gefühle wecken, aber auch Furcht und Angst vor dem Fremden: der Fremde könnte mir den Job wegnehmen, das Sozialsystem ausnützen und überfordern oder meinen sozialen Abstieg befördern. Die Instrumentalisierung solcher Ängste lässt neue Parteien entstehen, kann das Wahlverhalten verändern und gewachsene gesellschaftliche Wertesysteme erodieren lassen. Angst ist der wichtigste Affekt in der Psychoanalyse. Seine politische Verwertbarkeit ist unbestritten. Putin erklärt einen dekadenten Westen zum Feind und mobilisiert russische Ängste, hervorgerufen durch ein angebliches Nazi-Regime in der Ukraine, das bekämpft werden muss.
Für Carl Schmitt ist beispielsweise die Unterscheidung zwischen dem Freund und dem Feind jene politische Essenz, die einen Staat begründet, die Grenzen festlegt und Heimat sichert. Nur ein gemeinsamer Feind kann die widersprüchlichen Kräfte in einer Gesellschaft in eine relative Harmonie zwingen. So war beispielsweise für Rosa Luxemburg der Kaiser jener Feind, der völlig unterschiedliche Gruppen, von ganz rechts bis ganz links, die sonst keinerlei Gemeinsamkeiten hatten, miteinander verband. Ähnliche Funktionen erfüllten die Mauren im mittelalterlichen Spanien sowie Christen und Muslime in den unterschiedlichen Teilen der Welt. So wie man Ängste und Aggressionen auf einen wahren oder phantasierten Feind richten kann, kann man auch eigene Idealbilder auf Gruppen und Personen projizieren.
Die politische Propaganda benützt dieses Wissen zur Herstellung gesellschaftlicher Homogenität. Praktisch jeder politische Werbespot in den USA appelliert an den Patriotismus. Er bildet jene Klammer, die sämtliche ethnischen und religiösen Differenzen unter einem Dach vereinigt und das Phantasma einer Einheit trotz der Vielfalt stärken soll. Trumps „America first“ bediente das Phantasma einer neuerlich erfolgreichen amerikanischen Industrie, die sich gegenüber der Konkurrenz durchsetzt und Obamas „Yes, we can“ erzeugte das Phantasma einer Aufstiegsgesellschaft, die allen bessere Berufs- und Einkommensmöglichkeiten bereitstellte und damit ihren Selbstwert erhöhen sollte. Umgekehrt kann diese Theorie auch an angstbesetzte Emotionen ankoppeln und in der Aggression gegen den Fremden ein Ventil bereitstellen, das die gefährdete Identität vor einem drohenden wirtschaftlichen oder sozialen Abstieg schützt. Auch auf diese negative Art und Weise kann Homogenität erzeugt werden. Wer die politischen Bewegungen analysiert, kann die praktische Anwendung dieser Mechanismen immer wieder feststellen.
Ich komme damit zum Populismus, der bewusst und gezielt an die Wünsche und Ängste von Menschen anknüpft, um bestimmte politische Ziele zu erreichen. Populisten geben vor, für das ganze Volk zu sprechen. Linkspopulisten stellen die Angst vor Arbeitslosigkeit, prekären Arbeitsverhältnissen und Altersarmut in den Vordergrund. Sie fordern eine Umverteilung des Reichtums von den oberen Schichten in die mittleren und unteren Schichten der Gesellschaft. Gegenüber der Globalisierung und ihre Steuerung durch international organisierte Eliten im Dienste von Konzernen sind sie skeptisch. Ihre Unterstützung von sozialen Bewegungen und Bürgerinitiativen soll politischen Druck erzeugen, um Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit durchzusetzen.
Rechte Populisten betonen die Bedeutung einer nationalen Identität, einer kulturellen Tradition und sprechen von einer bedrohten Gemeinschaft, die wieder gestärkt werden muss. Dabei entspricht eine historisch gewachsene, ethnisch und kulturell homogene Gruppe ihren Vorstellungen von einer Nation. Sie verstärken die Ängste der Bevölkerung vor größeren Umbrüchen, wie der Weiterentwicklung und den Ausbau der Globalisierung. Rechtspopulisten kämpfen gegen die etablierten politischen Parteien und die Korruption ihrer Eliten. Sie sind europaskeptisch und verteidigen die Wirtschaftsinteressen der nationalen Unternehmungen, sind gegen Einwanderung und generell skeptisch bis ablehnend gegen Fremde. Nicht selten werden Einwanderer, religiöse und ethnische Minderheiten mit Feindbildern unterlegt. Nicht selten gibt es den Wunsch nach einem starken Führer, der einfache Lösungen für komplexe Probleme anbietet und Versprechungen macht, die Zukunfts- und Abstiegsängste mindern soll.
Generell lässt sich sagen, dass es Wünsche und Ängste sind, die sowohl in der Wirtschaft wie in der Politik das Verhalten vieler Menschen bestimmen und daher instrumentalisierbar sind. Diese Wünsche und Ängste sind Teile unserer bewussten und unbewussten psychischen Struktur. Man hat diese Zusammenhänge aufzuzeigen und auf Macht als Wunsch und Angst vor ihrem Verlust als einem Teil der sozialen und gesellschaftlichen Wirklichkeit hinzuweisen.
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