Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Wie Spione Österreich unterwandern

November 2016

Der Wiener Journalist Florian Horcicka (41) hat vor drei Jahren eine riesige Abhörstation der NSA mitten in Wien enttarnt. In seinem aktuellen Buch „Im Fadenkreuz der Spione“ schreibt Horcicka nun, dass Österreich stärker denn je im Mittelpunkt des Interesses diverser Geheimdienste stehe: „Wien ist in Sachen Spionage im deutschsprachigen Raum die Nummer eins.“ Im Interview mit „Thema Vorarlberg“ sagt Horcicka, dass in Österreich sämtliche relevanten Bereiche mit Spionen durchsetzt seien. Vorarlberg ist laut dem Autor übrigens „ein diskreter Rückzugsort für Spione – und ein Ort für konspirative Treffen.“

Sie schreiben in Ihrem aktuellen Buch, dass Österreich von Spionen regelrecht unterwandert sei – und dass Wien dabei besondere Bedeutung zukomme.

Was ich aus der Szene höre und was es an Recherchemöglichkeiten und Datenmaterial dazu gibt, lässt nur einen Schluss zu: Wien ist in Sachen Spionage im deutschsprachigen Raum die Nummer eins, noch vor Berlin, weit vor München oder Hamburg. Ich würde Wien zusammen mit den großen Drehscheiben London und Paris unter die Top-drei-Städte Europas einordnen, was die Tätigkeit von Nachrichtendiensten betrifft. Österreich steht so intensiv wie noch nie zuvor im Mittelpunkt des Interesses von östlichen, westlichen und arabischen Geheimdiensten, weit mehr als noch als zu Zeiten des Kalten Krieges. Spionage in Österreich passiert täglich. Unbemerkt. In allen Bereichen.

Warum? Was ist so interessant an Österreich?

Es gibt mehrere Gründe. Österreich hat in der jüngeren Vergangenheit im internationalen Bereich wieder an Wichtigkeit gewonnen, etwa bei Syrien- und Iran-Konferenzen; auch hat sich die österreichische Außenpolitik wieder verstärkt. Minister Sebastian Kurz ist im Mittleren Osten recht aktiv. All das bringt die Aufmerksamkeit der Szene. Zudem gibt es eine aus dem Kalten Krieg herrührende Spionage-Tradition, die gerade bei US-amerikanischen und russischen Geheimdiensten nach wie vor spürbar ist. Viele internationale Organisationen wie UNO, OPEC und OECD haben Sitze in Wien. Viele internationale Konzerne haben ihre Zentral- und Osteuropa-Headquarters in Wien. Zudem hat die Neutralität immer noch ihre Attraktivität. Und schließlich ist Spionage in Österreich nicht strafbar, solange sie sich nicht gegen Österreich selbst richtet.

Soll heißen?

Spione können in unserem Land tun und lassen, was sie wollen, es kann ihnen nichts passieren. Die österreichischen Nachrichtendienste sind eher mittelstark, die haben andere Aufgabenfelder, schenken der klassischen Gegenspionage, also der Aufklärung der Spionage, weniger Aufmerksamkeit. Und die österreichische Politik ist auch nicht sehr daran interessiert, Dinge aufzuklären oder gar zu verhindern. Die Politik des Wegschauens ist deutlich spürbar. Das sind die Voraussetzungen, die Österreich für Spione so attraktiv machen.

Lässt sich das Ausmaß der Spionage in Österreich eigentlich schätzen? Quantifizieren?

In Wien allein dürfte es an die 700 konspirative Wohnungen geben, neben 250 offiziellen Objekten wie Botschaften oder Konsulaten. Und geschätzt wird, dass in Österreich rund 10.000 Personen der Szene zugerechnet werden können, Zuträger und Helfer mitgerechnet. Die meisten sind dabei bei Botschaften und Konsulaten akkreditiert, oder bei internationalen Organisationen und deren Unterorganisationen. Zudem lassen sich in Vorfeld- oder Kulturvereinen ganz gut Leute unterbringen, auch in Unternehmen, die unter dem Einfluss einzelner Staaten stehen. Bei den in Wien tätigen großen russischen Banken, die ja zum Großteil im Staatseigentum Russlands stehen, sind ohne jeden Zweifel Leute mit nachrichtendienstlicher Vergangenheit oder aus dem nachrichtendienstlichen Umfeld aktiv.

Und in österreichischen Einrichtungen? Kann man auch annehmen, dass in Österreich relevante Bereiche von Spionen durchdrungen sind?

Ja. Sämtliche. Politik. Institutionen. Medien. Behörden. Der Magistrat Wien. Ministerien. Es sind in Österreich mit Sicherheit sämtliche relevanten Bereiche durchdrungen. Dabei geht es der Szene nicht darum, sofort einen Nutzen zu lukrieren, sondern darum, Vertrauensleute zu haben, die Informationen sammeln, frühzeitig einordnen und dadurch mithelfen, so manches Puzzle zu lösen. Ich kann aus rechtlichen Gründen keine Namen nennen. Aber ich weiß, dass der Betriebsratsvorsitzende eines großen österreichischen Infrastrukturunternehmens ein Mitarbeiter des russischen Geheimdiensts FSB ist.

Wenn sie das wissen, werden das andere Insider auch wissen. Warum reagieren die österreichischen Behörden nicht?

Prinzipiell ist der konkrete Nachweis relativ schwierig, man muss einen Schaden nachweisen oder eine kriminelle Tathandlung, was in diesem Bereich extrem schwierig ist. Denn diese Leute sind allesamt sehr vorsichtig. Und sehr gut ausgebildet. Zudem fehlen den österreichischen Diensten Ressourcen. Und leider fehlt oft auch die Deckung von oben. Das Enttarnen könnte zu Unannehmlichkeiten führen. Man will keinen Wirbel haben. Das ist die österreichische Mentalität. Vorarlberg ist da vielleicht ein bisschen anders, da geht man direkter an die Sachen heran (schmunzelt). Wobei …

Ja, bitte?

Ich habe die Vorarlberger Situation nicht eingehend recherchiert, mein Informanten-Netz reicht nur bis Salzburg. Aber: Spionage muss in Vorarlberg, diesem wirtschaftlich starken und geografisch interessanten Land, ein Thema sein. Allein schon wegen der vielen führenden Unternehmen ist Vorarlberg im Bereich Wirtschaftsspionage für die Szene sicherlich bedeutsam. Und man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass Vorarlberg vor allem auch wegen seiner Nachbarschaft zur Schweiz, zu Liechtenstein und zu Deutschland für die Spionage-Szene äußerst interessant ist. Nach meinem Dafürhalten ist Vorarlberg für Spione ein diskreter Rückzugsort, ein Ort auch für konspirative Treffen in diesem Vierländereck.

Wer spioniert denn in Österreich am meisten? Die Russen? Die USA? Andere?

Russland und USA sind die Big Player. Und die Deutschen. Danach wechselt es, je nach politischer Großwetterlage. Bei OPEC-Konferenzen sind aus dem arabischen Raum viele Leute da, und damit auch die Israelis. Als diese Kasachstan-Alijev-Geschichte am Höhepunkt war, waren vom kasachischen Geheimdienst viele Agenten in Wien …

Gehen wir die Großen durch …

Aus den USA ist die CIA ist im operativen Bereich tätig. Denen geht es um internationale Organisationen, um Politik, um Beobachtung der anderen. Die NSA wiederum betreibt die Abhöreinrichtungen in Österreich, teilweise in Zusammenarbeit mit dem Bundesheer. NSA-Abhöreinrichtungen gibt es auf dem IZD-Tower gegenüber der UNO-City, in der Boltzmann-Gasse bei der US-Botschaft, auf der Königswarte nahe Bratislava und in Kohlreith bei Neulengbach. Und dann gibt es da noch diese NSA-Villa in Wien-Pötzleinsdorf, die ich enttarnt habe …

Klingt spannend! Wie haben Sie diese Villa entdeckt?

Es hatte in der Szene immer wieder Gerüchte um eine solche Abhörstation der NSA gegeben, Hinweise, die sich im Zuge der Affären um Wikileaks und Edward Snowden verdichteten. All diesen Hinweisen ging ich nach, recherchierte monatelang, etwa im Grundbuch, engte die in Betracht kommenden Bereiche immer weiter ein, bis ich schließlich vor dieser großen Villa im 18. Bezirk stand, in der Plötzleinsdorfer Straße. Antennen auf dem Dach, spezielle Glasfasermatten an den Wänden, bewacht von bewaffneten Sicherheitsleuten – und von österreichischen Polizisten, obwohl es sich um kein ausgewiesenes Botschaftsgelände handelt, nur um ein Grundstück im Eigentum der USA. Wie sich herausstellte, hat die NSA dort einen Direktanschluss an eines der leistungsfähigsten Glasfaserkabel Österreichs und greift damit rund 70 Prozent des gesamten Wiener Telekommunikationsverkehrs ab.

Na ja, ich stand also irgendwann im September 2013 vor dieser Villa. Und habe eifrig fotografiert. Was mir die ernste Androhung einer Anzeige wegen Preisgabe eines Staatsgeheimnisses einbrachte. Wobei die Villa ja wunderschön ist. Und deswegen, über Vermittlung von Peter Pilz, haben Freunde der Architektur mit 200 Mitgliedern eine Exkursion dorthin gemacht und das architektonisch wertvolle Gebäude hunderte Male fotografiert (lacht).

Was ist mit den Russen?

Die Russen haben in der staatsnahen – oder zumindest der früher staatsnahen – österreichischen Wirtschaft ihre Posten besetzt, vor allem im Infrastrukturbereich und in der Energiewirtschaft. Das sind klassische russische Spielwiesen. Zudem existieren in Österreich sehr viele recht seltsame russische Organisationen – Kulturvereine, Sprachinstitute oder Vereine mit marxistisch-leninistischen Grundzügen –, die mit Sicherheit eine Tarnfunktion haben. Die Russen sind der ausländische Geheimdienst mit der größten Mannstärke in Österreich. Sie haben in Österreich auch die größte singuläre Einrichtung, ein Russen-Komplex im 22. Bezirk, in der Erzherzog-Karl-Straße, nicht weit weg von der UNO-City. In dieser Straße leben, arbeiten und wohnen wesentlich mehr Russen, als man für eine normale Tätigkeit in diesen internationalen Organisationen bräuchte. Die Russen sind übrigens die Old-School-Partie der Spionageszene. Die verfolgen und beschatten, infiltrieren, treffen Kontaktleute, setzen auf klassische Abhörmaßnahmen, etwa Wanzen. Aktiv ist in Österreich der FSB, also der Nachfolger des KGB, aber auch die GRU, der militärische Arm. Die GRU ist allerdings weit mehr darauf aus, Exilgemeinden von abtrünnigen und auch weniger abtrünnigen Kaukasus-Republiken zu beobachten. Tschetschenen etwa, Armenier, Aserbeidschaner. Aber auch die georgische Community. Denn da passiert in Wien viel. Von hier aus werden Umstürze geplant und Putsche zu finanzieren versucht. All das interessiert die Russen natürlich brennend. Klar.

Und die Deutschen?

Der BND beansprucht Hausrecht in Wien. Schon allein die offizielle Kooperation des BND mit dem österreichischen Verfassungsschutz und den beiden Heeresdiensten – Österreich hat ja selbst auch drei Geheimdienste – ist sehr intensiv. Die enge Zusammenarbeit macht auch Sinn, etwa im Kampf gegen die Terroristen des „Islamischen Staats“. Wobei der Informationsfluss oft leider eher einer Einbahnstraße gleicht: Österreich liefert viele Informationen, bekommt von den Deutschen aber nur sehr wenige. Weil es ein gewisses, leider begründetes Misstrauen gegen den österreichischen Schlendrian gibt. Als Journalist weiß man das ja, dass es in Österreich wesentlich leichter ist, an Informationen zu kommen, an die man eigentlich nicht kommen sollte, als in Deutschland. Weil bei uns halt doch jeder irgendwen kennt, und das macht das System anfällig für undichte Stellen.

Wer an Spionage und an Österreich denkt, hat den Film-Klassiker „Der dritte Mann“ vor Augen. Aber die Spione des 21. Jahr­hunderts werden andere sein, oder?

Ja. Mit hochgestellten Mantelkrägen hat das nicht mehr viel zu tun. Die Agenten, die ich kenne, sind jung, smart, gut angezogen, gut ausgebildet, vielsprachig. Typ klassischer Managementberater. Unauffällige Männer, die gut getarnt ihren Tätigkeiten nachgehen. Was Agenten aller Länder eint, ist allerdings ihr Hang zu Statussymbolen: teure Uhren, teure Anzüge, teure Autos. Es geht um Prestige. Treffen finden in dieser Szene in noblen Restaurants statt, nicht in irgendwelchen schäbigen Kaschemmen oder Studentenlokalen.

Sind die Spione in Österreich in der Regel eigentlich bewaffnet?

Unterschiedlich. Ich kenne sowohl als auch. Ich würde schätzen, dass ungefähr jeder zweite ausländische Agent in Österreich bewaffnet ist. Im Schnitt. Agenten vom Kaukasus und vom Balkan sind eher bewaffnet, Deutsche und US-Amerikaner seltener, ein unbewaffneter Israeli ist mir dagegen noch nie untergekommen. Allen gemein ist, dass sie penetrant in Lauerstellung sind. Trifft man sich in einem Lokal mit einem Agenten – und ich habe schon viele getroffen –, sitzt der immer mit dem Rücken zu einer massiven Wand, hat das gesamte Lokal im Blick. Dieses Verhalten ist eingelernt, die meisten haben eine militärische Vergangenheit, die Ausbildung in den diversen Spezialeinheiten ist ihnen in Fleisch und Blut übergegangen. Es ist auch Teil ihres Auftretens, das Gegenüber abzuchecken, zu überprüfen, ob der andere bewaffnet oder verwanzt ist. Wobei körperliche Gewalt an sich keine Rolle spielt.

Apropos: War und ist Ihre Recherche­tätigkeit nicht gefährlich?

Rechtliche Probleme, etwa Schadenersatzforderungen, können mitunter recht mühsam sein. Allerdings kann man sich gegen diese Gefahr mit sorgfältiger Recherche absichern. Die wirkliche, die körperliche Bedrohung gab es bislang dagegen nicht. Aus meiner Sicht hält sich das Risiko in Grenzen.

Obwohl sie einem Business ans Tageslicht verhelfen, das eigentlich das Tageslicht scheut?

Ich mache denen vielleicht ein bisschen Arbeit, beschere ihnen ein paar Sorgenfalten. Aber dauerhaft stören kann man diese Branche nicht, dazu sind deren Organisationen zu mächtig und deren Ressourcen zu groß. Zu leicht können die sich wieder umgruppieren. Zudem bin ich als Journalist in der Lage, Dinge sofort zu publizieren und Aufmerksamkeit zu schaffen. Auch deswegen sind die vorsichtig. Aber klar, man wird bisweilen schon unter Druck gesetzt, wenn man jemandem auf die Zehen tritt. Als ich vor ein paar Jahren eine Story mit mafiosem Hintergrund recherchierte, hatte ich einen toten Vogel am Fußabstreifer vor der Tür liegen. Und ein bisschen Telefonterror mit unbekannter Nummer zu mitternächtlicher Stunde. Solche Dinge kommen vor, aber ich lass mich von so etwas nicht beeindrucken. Man muss damit umgehen können. Ich kann damit umgehen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Außerdem habe ich Beweise über die Ignoranz und Willkürlichkeit von Behörden und Ämtern.