Herbert Motter

Wo die Selbstbeschränkung nicht funktioniert, verliert der Journalismus seine Distanz zur Macht

Februar 2016

Armin Thurnher ist bekannt für seine Kritik an der Verquickung zwischen Politik und Boulevard. Ein besonders großer Dorn im Auge des Chefredakteurs und Herausgebers der Wiener Stadtzeitung „Falter“ sind die großen Boulevardblätter und Medienmonopolisten im Land. Im Montagsforum sprach der gebürtige Bregenzer über „Medien und Demokratie“. Für ihn definitiv eine prekäre Beziehung.

Massenmedien wie Hörfunk, Fernsehen oder Tageszeitungen erfüllen für die Gesellschaft eine Reihe wichtiger Funktionen. Sie stellen Öffentlichkeit her und bieten dadurch ein Forum für eine funktionierende Demokratie. Der österreichische Journalist und Publizist Armin Thurnher, Mitbegründer und Chefredakteur der Wiener Stadtzeitung „Falter“, bezweifelt dies jedoch immer stärker. Es sei zunehmend die Logik der Medien, die der Politik aufgezwängt werde und sie unter Druck setze, um den Wettstreit um die Aufmerksamkeit des Publikums, also der Wählerinnen und Wähler, zu gewinnen. 

„Wir leben in einer durch und durch medialisierten Welt. Ein Umstand, der ausreichend Anlass zum Nachdenken gibt, ob wir überhaupt noch von einer Demokratie sprechen können“, wirft Thurnher gleich zu Beginn seines Vortrages beim Montagsforum die entscheidende Frage auf. Die technischen Möglichkeiten der neuen Medien legen nahe, die ganze Welt wäre demokratisch regierbar, dass alle an Demokratie teilhaben und Zugang zu Wissen haben, in einem Ausmaß, wie es vorher noch nie der Fall war. 

Zu befürchten sei allerdings genau das Gegenteil. Verschiedene Bedrohungen lassen den Verdacht eines möglichen Übergangs von Demokratie zur Oligarchie zu.

Unsere demokratische Gemeinschaft stellt sich durch eine Summe von Öffentlichkeiten dar, die hauptsächlich medial vermittelt werden. Bei Medien komme allerdings, so der „Falter“-Chefredakteur, hinzu, dass sie Geschäftsunternehmen sind und nicht nur Interesse haben, uns demokratisch zu informieren, sondern auch das Ziel verfolgen, wirtschaftlich zu überleben. Sie tun dies, indem sie ihren eigenen Gesetzen folgen, die wiederum nicht Gesetzen der Demokratie gehorchen, sondern den Gesetzen einer Ökonomie der Aufmerksamkeit. Kurzum, die Öffentlichkeit kommerzialisiert sich.

„Journalisten wird vorgeworfen, nicht nur über Politik zu informieren oder sie zu kontrollieren, sondern sich auch anzumaßen, diese zu gestalten“, nimmt Thurnher Bezug auf Thomas Meyer, Autor des Buchs „Die Unbelangbaren: Wie politische Journalisten mitregieren“. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist die Demontage des deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff durch die „Bild“-Zeitung und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Mächtige Medienmacher versuchen der Politik zu sagen, wo es langgeht, betont Thurnher. Davon zeugt die schonungslose Aussage von Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner Richtung Wulff: „Wer mit der Bild-Zeitung im Aufzug nach oben fährt, der fährt auch mit ihr im Aufzug nach unten.“

Auch in Österreich herrsche ein permanenter Verhandlungszustand. Wichtige Themen werden abgetestet. Nicht selten gebe es Anrufe aus dem Kabinett des Bundeskanzlers bei der Kronenzeitung mit der Frage, ob ein bestimmtes Thema Sinn mache oder nicht. Bei einem Nein komme dieses Thema erst gar nicht auf die Tagesordnung. „Man muss davon ausgehen, dass auch auf lokaler Ebene nicht anders vorgegangen wird“, vermutet Thurnher. Damit hat die demokratische Arena eine Hinterbühne, nämlich die von Geschäft und Gegengeschäft.

Das Fernsehen als wichtigstes Medium aller Medien setze auf Inszenierung und gegenseitige Instrumentalisierung. Für Politiker gelte dann nur mehr, Teil eines Konflikts zu sein, der eine gute Geschichte ergibt. Quasi, meine Prominenz bürgt für ein Drama, ob es gut genug ist, darüber entscheidet natürlich das Medium. „Das zeigt, in welchem Ausmaß Medien Politik bereits dominieren, und auch, dass das journalistische Handwerk dazu übergegangen ist, Realität zu konstruieren, Inszenierungen zuzuspitzen und selektiv hauptsächlich das zu berichten, was dem eigenen Zweck, entspricht, nämlich dem Zweck Aufmerksamkeit zu generieren, zu erhöhen und auch kommerziell nutzbar zu machen“, verdeutlicht Thurnher die Unantastbarkeit der Medien.

Dabei meinen gerade Politiker, Medienkritik aus Furcht vor Ungnade immer vermeiden zu müssen. Sogar der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der ja vom Gesetz dazu angehalten wäre, drücke sich seit Jahren komplett um das Thema Medienkritik. „Mitten in der Demokratie haben wir einen riesigen blinden Fleck, der beinhaltet jene, die für die Gewährleistung der Demokratie zuständig sind, nämlich uns, die Medien. Konkret und ohne bösartig sein zu wollen: Die VN und der ORF kontrollieren die Öffentlichkeit in Vorarlberg. Und wer kontrolliert die beiden Kontrolleure auf demokratische Weise?“

„Ob die charismatischen Politikerpersönlichkeiten nicht vielleicht gerade deswegen verschwunden sind, weil sie auf die Kritik an den Widersprüchen dieses Mediensystems verzichten und sich in Kooperationen flüchten, sich widerspruchslos dem Gewebe der Medien fügen und danach trachten, die Sprache der Medien zu sprechen, deren Inszenierungen zu treffen und darüber ihre eigene Sprache vergessen haben.“

„Wenn wir uns also nun fragen, ob Medien die Voraussetzung für Demokratie schaffen, muss man sagen, dass die Foren der Demokratie der Demokratie nur mehr begrenzt dienen“, hat sich für den „Falter“-Chefredakteur das Gleichgewicht zwischen Demokratie und Medien längst verschoben.

Presse ist alternativlos, wenn sie ihre demokratische Aufgabe nicht einer kommerziellen Agenda unterordnet. Medien bedürfen nicht nur der kommerziellen, sondern auch der publizistischen Selbstbeschränkung. Guter Journalismus schränkt sich dort ein, wo er die Würde des anderen bedroht sieht, reflektiert seine Mittel und nimmt sich zurück, statt Fairness der Quote und Rücksichtnahme der Reichweite zu opfern. Quote muss Qualität nicht ausschließen, dürfe aber nicht ihr Kriterium sein.

Wo diese Selbstbeschränkung nicht funktioniert, verliert der Journalismus seine Distanz zur Macht, im Extremfall wird er zum Handlanger oder gerät selbst in die Versuchung, wie etwa „Bild“-Zeitung oder „Krone“, Macht auszuüben. Wobei diese Macht kein demokratisches Interesse hat, sondern meist nur das Mittel ist, profitable Mediengeschäfte zu machen. 

Zu all dem tritt nun die digitale Verschärfung, „sie ist eine technische Schwester des Neoliberalismus“, Verantwortliche der sozialen Medien haben anderes im Sinn als Demokratie. Sie wollen sie abschaffen und in neuer Form zusammensetzen. Demokratie ist für sie ein veraltetes Vertriebssystem, zu langsam, zu unbeweglich und für den Fortschritt hinderlich. 

„Wenn das Publikum im Sinne einer orientierten, entscheidungsfähigen Menge von Menschen nicht mehr existiert, sondern durch hysterisierte, terrorisierte oder euphorisierte Ad-hoc-Mobs abgelöst wird, dann ist es aus mit der Demokratie. Dann herrscht bestenfalls Oligarchie“, warnt Armin Thurnher.

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