David Stadelmann

* 1982, aufgewachsen in Sibratsgfäll, ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth, Fellow bei CREMA – Center for Research in Economics, Managemant and the Arts; Fellow beim Centre for Behavioural Economics, Society and Technology (BEST); Fellow beim IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues; Fellow am Ostrom Workshop (Indiana University); Mitglied des Walter-Eucken-Instituts.

 

„Wir befeuern gerade die nächsten Krisen“

September 2022

Herr Stadelmann, Sie haben in der Pandemie einmal angeregt, in Österreich einen Advocatus Diaboli, einen Anwalt des Teufels, zu installieren, als Gegenpart zur Politik, der die Aufgabe hat, Argumente gegen die vorherrschende Politik- und Medienmeinung zu formulieren. Ein solcher Anwalt wäre derzeit wohl notwendiger denn je, oder? 

Ja, ein solcher Anwalt des Teufels hätte momentan viel zu tun. Er würde jetzt vermutlich sagen, dass die aktuelle Krise nicht allein durch den Krieg in der Ukraine zu erklären ist. Wir selbst sind mitverantwortlich aufgrund der eigenen Fiskalpolitik, der Geldpolitik der EZB und der eigenen problematischen Wirtschaftspolitik der Vergangenheit. In einem anderen Bereich würde der Anwalt betonen, dass die Behauptung, man rette mit der Klimapolitik die Zukunft, so nicht stimmt. Denn was immer Österreich bezüglich einer Reduktion von CO2-Emissionen macht und künftig machen wird, das Weltklima lässt sich damit nicht großartig verändern. Das gilt sogar für Europa. Der österreichische und der europäische Anteil an den weltweiten CO2-Emmissionen aus fossilen Energien schrumpft seit Jahrzehnten und ist zu klein, als dass sich mit einer weiteren Reduktion beim Weltklima wirklich systematisch etwas bewirken ließe.

Der Anwalt des Teufels wäre vom Klimabonus, von der Strompreisbremse und von all den anderen Unsummen, die momentan von der Regierung ausgegeben werden, wohl auch nicht allzu begeistert …
Naja, beim Klimabonus selbst würde er sicher bemerken, dass mit einer Bepreisung von CO2 auch ein Abbau anderer Regulierungen im Klimabereich einhergehen muss; man braucht ja logischerweise die vielfältigen Regulierungen nicht mehr, weil man einen Preis hat. Er würde sich aber noch mehr daran stören, dass die Argumentation, die in verschiedenen Politikbereichen gemacht wird, komplett inkonsistent ist.

Inwiefern inkonsistent?
Geht es um das Klima, betont man stets, wie wichtig das sei für die Zukunft, selbst wenn man keinen Einfluss mit der eigenen Politik darauf hat. Geht es dagegen um Staatsverschuldung, spricht man kaum von den künftigen Generationen, obwohl man einen Einfluss auf deren Schuldenlast hat. Der Anwalt des Teufels würde auf diese Inkonsistenz hinweisen. Bei einer Strompreisbremse würde er fragen, warum diese helfen soll, die Knappheit von Strom zu reduzieren? Zu erwarten wäre vielmehr, dass dann weniger Strom gespart wird und die Krise deshalb schlimmer wird. 

Die mit Beginn der Pandemie ausgegebenen Worte „Koste es, was es wolle“ scheinen zum finanzpolitischen Motto der Bundesregierung geworden zu sein.
Koste es, was es wolle? Man müsste das Motto präzisieren: „Koste es vom Geld des Steuerzahlers, was es wolle.“ Das Geld der anderen auszugeben, fällt leicht und viele Politiker scheinen ein tiefes Anspruchsniveau zu haben. Wenn wir uns vergleichen, etwa mit der Schweiz oder mit den skandinavischen Ländern, sehen wir, dass Österreich trotz deutlich stärkerer Einschränkungen und zahlreicher Lockdowns nicht wirklich besser durch die Pandemie gekommen ist, weder gesundheitlich noch wirtschaftlich noch in Bezug auf die gesellschaftliche Polarisierung. Man muss zwar fairerweise sagen, dass wir nicht die Schlechtesten sind, da haben andere europäische Länder, wie etwa Italien oder Belgien, noch größere Probleme. Allerdings sollten wir eben nicht das Anspruchsniveau haben, uns mit den Fußlahmen und Blinden zu vergleichen. 

Wie lange kann sich Österreich denn eine derartige Politik leisten?
Bis der Vertrauensverlust zu groß ist. Die Verschuldung wird uns selbst in der nahen Zukunft belasten und natürlich die zukünftigen Generationen, sofern wir nicht Maßnahmen setzen, sie wieder abzubauen oder das Wirtschaftswachstum schnell anzukurbeln. Bei Corona hofften wir, danach schnell aus den angehäuften Schulden rauszuwachsen. Doch schon dort haben wir weniger nachhaltig gewirtschaftet als andere. Das rächt sich jetzt bereits. Die derzeitige Umverteilungsdiskussion ist verfehlt. Wir müssen schauen, wie wir die zugrundeliegenden Probleme der derzeitigen Krise möglichst angehen können.
Vom Leiter des Instituts für Höhere Studien, Klaus Neusser, stammt der Satz: „Ich denke, es wäre gut, jetzt einmal zu sagen: Es ist genug.“ Auch andere Ökonomen warnen, allein, sie scheinen von der österreichischen Politik nicht ausreichend gehört zu werden.
Für Politiker ist es immer schön, Geld der Steuerzahler auszugeben und zu sagen, dass sie irgendetwas tun. Nichts­tun gilt ihnen als Makel, sie wollen „Macher“ sein. Jedoch löst die derzeitige Politik die bestehenden Probleme des fehlenden Angebots an Energie oder auch an anderen Gütern und Dienstleistungen nicht einmal ansatzweise. Es ist eine reine Umverteilungspolitik. Man versucht nicht, die bestehenden Probleme zu lösen, die teilweise fremdverursacht, teilweise aber eben auch selbstverschuldet sind. Stattdessen nimmt man viel Geld in die Hand und hofft, dass die Bürger damit ruhiggestellt werden. Doch damit befeuern wir vor allem neue Krisen. 

Ist der Schluss denn weit hergeholt, dass die Politik versucht, die schlechten Umfragewerte und den gravierenden Vertrauensverlust mit diesen finanziellen Bonmots abzufedern?
Der Versuch ist deutlich sichtbar. Aber ob er gelingt, da bin ich mir nicht sicher. Ich traue den Bürgern zu, dass sie die Probleme eher sehen und auch das Umverteilungsspiel begreifen. Das allein löst aber leider noch kein Problem. Politik lebt auf allen Ebenen von Vertrauen, sie kann Vertrauen nur schaffen, wenn sie bestehende Probleme zumindest versucht zu lösen – und nicht einfach nur in die Zukunft verschiebt. Und die derzeitige Umverteilung ist nichts anderes als eine solche Verschiebung.

Ein Ende der Freizügigkeit mit dem Steuerzahlergeld scheint nicht in Sicht zu sein, die Politik denkt nach der Strompreisbremse nun auch über einen Gaspreisdeckel nach und über eine Abfederung für all jene, die mit Pellets oder Öl heizen. Das System geht also weiter?
Ja. Auch das erscheint mir mittlerweile typisch und hat mit einem wachsenden Vertrauensverlust in die Politik zu tun. Wer nicht mehr vertraut, dass Probleme angegangen werden, versucht zumindest, sich kurzfristig möglichst schadlos zu halten. Die Bürger sind insofern sehr rational und schauen auf ihre eigenen Interessen. Doch endet das in einer Art Beutejägerzug: Alle versuchen, sich etwas von der Beute zu holen, solange noch etwas da ist. Und die Kosten steigen. Irgendwann werden die Schulden bindend – und die Rechnung kommt immer, zum Beispiel in der Form noch höherer Inflation.

Droht Österreich den finanziellen Spielraum zu verlieren, den es brauchen wird, in der Annahme, dass den jetzigen multiplen Krisen noch weitere Krisen folgen werden?
Ja. Zumindest wenn die den Krisen zugrunde liegenden Probleme nicht schnell angegangen werden. Es ist zwar fast unmöglich, Brüche beim Vertrauen in die Staatsfinanzen vorherzusagen. Beispielsweise war Irland vor der Finanzkrise 2008/09 unterdurchschnittlich verschuldet – ein Musterknabe sozusagen. Doch dann verschlechterte sich die Lage dramatisch schnell und das Land wurde zum Sorgenkind, kam unter den damaligen EU-Rettungsschirm. Dann setzte man auf Wachstumspolitik. Das Beispiel zeigt, es bringt nichts, Geld in der Krise nur umzuverteilen. Kluge Politik hat die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft längerfristig zu erhöhen, kluge Politik hat die Probleme in der Gegenwart zu lösen und diese nicht einfach in die Zukunft zu verschieben. Und es ist in der Tat so, dass eine Krise auf die andere folgen kann: Auf Corona, folgte ein gewisser Inflationsschock, der nun mit der Energiekrise kritisch zu werden droht. Man hat sich vorzubereiten und ein sparsamer Umgang mit Steuergeld erhöht die Resilienz.

Was all den Maßnahmen fehlt, ist die soziale Treffsicherheit.
Wenn man die Inflationskrise derzeit betrachtet, ist es nicht eindeutig, ob man eigentlich irgendwen entschädigen sollte. Denn der Kaufkraftverlust ist real und er trifft so gut wie alle. Aber: Wenn man wirklich die vom Einkommen her gesehen ärmere Bevölkerung mehr unterstützen will, dann ist beispielsweise eine Strompreisbremse eine schlechte Idee. Denn wenn wir sagen, Armut ist ein Problem, dann müssten wir direkt Geld zu den Armen umverteilen, nicht Strom. Doch dazu müssten wir allgemein höher besteuern. Ich bin da jedoch skeptisch, denn es gilt zu bedenken: Wenn wir neben der Inflation auch noch eine höhere Besteuerung haben, sinken die Anreize, wirtschaftlich produktiv zu sein, das Wachstum fällt noch tiefer aus. Davon haben die sozial Ärmeren auch nichts.

Sie sagten vor kurzem, es ärgere Sie, dass momentan alles auf den Krieg in der Ukraine geschoben werde.
Wir hatten bereits vor Ausbruch des Kriegs in der Ukraine, also Ende 2021 eine deutlich höhere Inflation, als mit dem Ziel der Preisstabilität der EZB vereinbar gewesen wäre. Natürlich haben der Schock des Krieges, die Sanktionen und die Gegensanktionen Russlands dann die Inflation noch weiter erhöht. Unsere bereits bestehenden Probleme wurden also nochmals vergrößert. Doch habe ich nun das Gefühl, dass manche politischen Entscheidungsträger fast schon dankbar sind, dass sie die zuvor bestehenden Probleme der russischen Invasion zuschreiben können. Richtig ist aber folgende Sicht: Natürlich ist der Krieg ein reales Problem, natürlich trägt er zu Preissteigerungen bei; aber wir hatten schon vorher Schwierigkeiten. Wir selbst hatten schon vorher eine Politik gemacht, die zu relativ hoher Inflation geführt hat, wir hatten schon vorher nicht die nachhaltigste Wirtschaftspolitik gemacht, wenn man sich an die vielen Lockdowns erinnert. Zu sehen, wo man selbst Fehler gemacht hat, ist der erste Schritt, echte Problemlösungen anzugehen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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