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Der „Enkel“ mit der fiesen Masche
„Kennst du mich nicht mehr, Oma? Ja, ich bin es, der Hans. Oma, du musst mir helfen. Ich brauche dringend Geld!“ Wenn sich Anrufer auf solche Weise bei älteren Menschen melden, sollten sofort die Alarmglocken schrillen. Mit dem sogenannten Enkel-/Neffentrick haben Gauner auch in Vorarlberg schon großen Schaden angerichtet. Die Kriminalpolizei rechnet mit weiteren Fällen.
Sie scheinen fast Profis in psychologischer Gesprächsführung zu sein, schaffen es, innerhalb weniger Minuten großen emotionalen Druck aufzubauen und beim Opfer ein schlechtes Gewissen zu erzeugen. Sie – das sind Profibetrüger, die fast wie die biblische Heuschreckenplage in Wellen über Vorarlberg hereinfallen und versuchen, älteren Menschen ihr Vermögen abzuluchsen. Leider mit Erfolg: Es gab bei uns bereits Schadensfälle in Höhe von mehreren Zehntausend Euro.
„Wir sprechen von organisierter Kriminalität“, sagt Chefinspektor Andreas Gantner vom Landeskriminalamt. Der Enkel-/Neffentrick nahm Ende der 1990er-Jahre in Hamburg seinen Ausgang und wuchs mittlerweile zum Phänomen im gesamten deutschsprachigen Raum heran. „Dahinter stecken in der Regel polnischstämmige Roma-Clans“, weiß Gantner. In den vergangenen Jahren war Vorarlberg überwiegend im Frühjahr und Herbst Zielgebiet für die betrügerischen Machenschaften. Dabei konzentrierten sich die Gauner jeweils auf größere Regionen.
Stets derselbe Modus operandi
Der Modus operandi ist stets der gleiche: Zunächst filtern die Täter in Online-Telefonverzeichnissen ihre potenziellen Opfer heraus. Vornamen, die auf eine ältere Person hindeuten – meist rund hundert Leute – kommen in die „Auswahl“. Die werden dann angerufen in der Hoffnung, tatsächlich überwiegend ältere Menschen zu erwischen, die glauben, mit dem Enkel oder dem Neffen zu sprechen und schließlich in die Falle tappen.
Der „Enkel“ oder „Neffe“ gibt vor, in einer finanziellen Notsituation zu stecken oder einfach dringend eine größere Geldsumme zu benötigen, um sich eine Wohnung oder ein Auto kaufen zu können. Er verfüge zwar prinzipiell über das Geld, habe derzeit aber keinen Zugriff darauf. Die „Oma“ oder der „Onkel“ bekomme den Betrag selbstverständlich demnächst zurück. Sobald Zweifel aufkeimen, packen die Profigauner übelste psychologische Tricks aus. Kein Geld würde automatisch Liebesentzug bedeuten. Die Folge: Nicht selten brechen die alten Menschen während eines solchen Telefonats in Tränen aus.
„Die Betrüger lassen ihren Opfern keine Zeit, nachzudenken oder Nachforschungen anzustellen“, weiß Ermittler Gantner. Wenn alles klappt, ist der perfide Deal innerhalb einer halben Stunde unter Dach und Fach. Es dauert dann nicht lange, bis die „Oma“ auf der Bank die geforderte Summe abhebt.
Die Anrufer sitzen häufig im angrenzenden Ausland, sie organisieren sich dort ähnlich wie in einem Call-Center. Ein Mitglied der Bande – in der Regel handelt es sich dabei um eine Frau – begleitet das Opfer bis knapp vor die Bank oder holt das Geld in der Wohnung ab. Dass „Hans“ nicht selbst kommen kann, begründet dieser damit, gerade verhindert zu sein. Ein Kurierfahrer bringt das Geld anschließend ins Ausland – und damit quasi ins Trockene. „Zuletzt handelte es sich dabei häufig um Taxler aus Polen“, sagt Andreas Gantner. Die gehören freilich nicht immer zur Bande: „Hin und wieder wissen sie gar nicht, für wen sie fahren.“ Durchschnittlich fordern die Täter bei ihren Anrufen satte 50.000 Euro. Wenn sie im Zuge einer Anrufwelle bei 100 Anrufen einmal Erfolg haben, hat es sich für die Profibetrüger bereits gelohnt.
Auch in Vorarlberg glückte die Masche schon mehrfach. Um 56.000 Euro „erleichtert“ wurde beispielsweise im Jahr 2011 ein Vorarlberger mit dem Enkel-/Neffentrick. Ein Jahr später gab es abermals zwei Anrufwellen mit ungefähr 20 bekannt gewordenen Telefonkontakten. Erfreulicherweise fiel damals niemand herein. Weniger Glück hatten zwei Opfer 2013, wobei die internationale Zusammenarbeit der Polizei einen noch größeren Schaden verhinderte.
135.000 Euro Beute – vorübergehend
Nicht weniger als 135.000 Euro hatten unbekannte Täter einem Bludenzer Pensionisten zunächst abgeluchst. Die Aktion lief über zwei Tage, das Geld wurde in drei Tranchen übergeben. Die Gauner hatten allerdings Pech: Die deutsche Polizei schnappte den Kurierfahrer und nahm Kontakt mit den Schweizer Kollegen auf. Die wussten jedoch von keinem Betrugsfall, weshalb sie die Vorarlberger Polizei informierten. „Uns hatte man den Fall nur wenige Minuten vorher gemeldet“, erinnert sich Gantner. Der Kreis schloss sich, der Mann erhielt den überwiegenden Teil der Beute zurück. Auf dem gesamten Schaden von 15.000 Euro sitzen blieb hingegen ein weiterer Vorarlberger in dem Jahr.
Sofort Verdacht geschöpft hat 2014 ein Pensionist in Hittisau, von dem ein Anrufer 50.000 Euro forderte. „Er hat umgehend die Exekutive eingeschaltet“, sagt Gantner. Vier Stunden später wollten die Gauner das Geld abholen. Dabei klickten die Handschellen für die Abholerin und den Kurier.
Die Hintermänner dieser besonders skrupellosen Form der organisierten Kriminalität bleiben meist unangetastet. „Die Verhafteten verhalten sich in der Regel wenig kooperativ“, bedauert Ermittler Gantner. „Familienmitglieder verraten sie eben nur sehr ungern.“ Und die leben weiter in Saus und Braus. Luxuriöse Villen, Sportwagen, exklusiver Schmuck – ihnen fehlt es an nichts. An diesen Lebensstil hatte sich auch Arkadiusz „Hoss“ Lakatosz gewöhnt, der als „Erfinder“ dieser Betrugsmasche gilt. Freilich: Im Mai 2014 konnte ihn die polnische Polizei festnehmen – nach über zehn Jahren Fahndung!
Die heimische Kripo schreibt es ihren Fahndungserfolgen zu, dass zuletzt trügerische Ruhe in Vorarlberg herrschte. Dabei handelt es sich, so die Einschätzung der Kriminalisten, jedoch bloß um die Ruhe vor der nächsten Betrugswelle.
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