Helmut Steurer

Ehemaliger Direktor der Wirtschaftskammer Vorarlberg

(Foto: ©Christine Kees)

Jahrhundertchance – Jahrhundertprojekt

Juni 2016

Geplante Bauzeit 20 Jahre, geschätzte Kosten von mindestens 600 Millionen Franken: Rhesi ist ein gigantisches und ein notwendiges Projekt, um den Hochwasserschutz auf beiden Seiten des Rheins den heutigen und zukünftigen Forderungen anzupassen. Die Herausforderungen sind groß: Es gilt, das Projekt so zu entwickeln, dass es nach Schweizer, nach österreichischem und nach EU-Recht genehmigungsfähig wird. Es gilt, die Trinkwasserversorgung sicherzustellen, es gilt ökologische Aspekte zu berücksichtigen. Und es gilt vor allem, dem gemeinsamen Interesse Vorrang zu geben vor Einzelinteressen. Diese bisher medial breit kommunizierten Einzelinteressen findet man vor allem auf Seiten der Umweltschützer und der Landwirtschaft – wobei die einen am liebsten den ganzen Rhein als Naturbiotop gestalten würden und die anderen das Projekt zum Schutz ihrer gepachteten Flächen möglichst klein halten wollen.

Gerade die Argumente der Bauern sind hanebüchen: Die Flächen gehören nicht ihnen, sondern dem Staat. Seit Jahrzehnten wissen die Bauern, dass sie diese Flächen für allfällige Hochwasserschutzprojekte zur Verfügung stellen müssen. Und wenn die Bauern einen sparsamen Umgang mit Grund und Boden fordern, dann ist das besonders bemerkenswert – sie hätten im eigenen Einflussbereich jede Menge Gelegenheiten, mit Grund und Boden weit sparsamer umzugehen. Im Übrigen nennen sich beide Seiten „Naturschützer“, und beide fordern Unmögliches: die Bauern mit ihrem Wunsch nach Halbierung des Projekts, die Umweltschützer mit ihrer ausschließlichen Konzentration auf immer noch mehr Ökologie. Diese Gruppen geben nur vor, an einem Ausbau des Hochwasserschutzes interessiert zu sein, gefährden mit ihren Einzelinteressen aber das gesamte Projekt.

Dabei wäre angesichts des enormen Schadenpotenzials jede vorsätzliche Verzögerung geradezu fahrlässig. Und was der Lebensraum von 300.000 Menschen jenseits und diesseits des Rheins und der Wirtschaftsstandort schon gar nicht vertragen, wäre, wenn das Projekt Rhesi, sinnbildlich gesprochen, zur zweiten S18 würde. Eine Erhöhung der Hochwassersicherheit ist ein Gebot der Stunde. Und ein historischer Auftrag: Vor über 120 Jahren wurde – unter ungleich schwierigeren politischen, finanziellen und technischen Rahmenbedingungen – die Rheinregulierung in ihrer derzeitigen Form geschaffen. Erst durch diesen Kraftakt konnte sich das Rheintal entwickeln. Was die damalige Gesellschaft vollbracht hat, muss auch die heutige Gesellschaft können: Es braucht den politischen Willen, das erneute Jahrhundertprojekt entscheidungsreif zu machen und die Umsetzung voranzutreiben, nötigenfalls auch gegen den Widerstand von Einzelinteressen.

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