Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Eine solche Durststrecke hat es seit 1945 noch nie gegeben“

Juni 2016

Der Vorarlberger August Gächter, Forscher am Zentrum für Soziale Innovation in Wien, untersuchte im Rahmen einer Studie die österreichischen Wirtschaftskrisen seit 1945. Das Ergebnis ist unerfreulich: Dem Forscher zufolge leidet Österreich nach wie vor an den Folgen der 2008 ausgebrochenen Finanz- und Wirtschaftskrise. Der gebürtige Klauser im „Thema Vorarlberg“-Interview über „Nebelgranaten, Täuschungen und Selbsttäuschungen“.

Sie sagen, dass die Krise seit 2008 andauert, nicht überwunden wurde …

Das ist richtig. Es gab nach 2007 nur ein einziges Jahr mit ausreichendem Wirtschaftswachstum, dass die Arbeitslosenquote hätte sinken können, und das war 2011. Dieses eine Jahr war aber nur der Ausgleich für den Einbruch 2009 und kam auch nur deswegen zustande. In keinem der anderen acht Jahre seit 2008 wuchs die Wirtschaft real auch nur um zwei Prozent. 2012 bis 2015 betrug das Wachstum jedes Jahr weniger als ein Prozent. Eine solche Durststrecke hat es seit 1945 noch nie gegeben.

Diese Tatsache ist den Menschen aber nicht bewusst.

Wenn das Wachstum in einem dieser vier Jahr einmal negativ gewesen wäre, dann wäre das ganz anders ins öffentliche Bewusstsein getreten. Wir lassen uns aber von dem Miniwachstum einlullen, als ob 0,3 Prozent oder 3,0 Prozent keinen Unterschied machte. Wir spüren alle die Folgen, werden uns aber meist nicht bewusst, was wir da spüren und wo es herkommt. Deswegen dichten wir vordergründigen Ereignissen, wie den Flüchtlinge oder den Arbeitskräften aus Ungarn, alle möglichen Wirkungen an und konzentrieren unsere Befürchtungen darauf statt auf die wirkliche Ursache unseres Unbehagens und unserer Zukunftsängste, nämlich das mangelnde Wachstum. Diese Täuschungen und Selbsttäuschungen wirken wie Nebelgranaten. Vor lauter Erregung werden wir komplett blind für die eigentliche Quelle unserer Sorgen.

Reagiert die Politik entsprechend?

Die jetzige hartnäckige Wachstumsschwäche ist nur die Steigerungsform – und noch nicht das Finale – einer sich schon lange anbahnenden Tragödie. Das Wachstum geht schon seit den 1990er-Jahren zurück. Dieser Trend hat sich in den letzten 15 Jahren katastrophal beschleunigt. Trotzdem kommen aus der Politik bisher nur Signale betreffend Symptome wie die Arbeitslosigkeit, und Einzelprobleme. Mir ist nicht bekannt, dass irgendwer Zuständiger in der Politik oder in der Sozialpartnerschaft auf die Beharrlichkeit des unzureichenden Wachstums hingewiesen hätte. Medien und Funktionäre entwickeln vielmehr eine Neigung, völlig unzureichende Wachstumsraten zu bejubeln, als ob sie die Lösung brächten, während sie weiterhin Teil des Problems zu sind.

Ergo hat der neue Kanzler Kern großen Handlungsbedarf?

Es gibt Handlungsbedarf, aber ein rein nationaler Ansatz wird verpuffen. Geld in die Bauwirtschaft zu pumpen, beispielsweise, freut vor allem die Baumaschinenindustrie, von der nur ein sehr kleiner Wertschöpfungsteil in Österreich beziehungsweise in Vorarlberg zu finden ist. Der Junckerplan ist der erfolgversprechendere Ansatz, müsste aber a) viel größer dimensioniert und b) national in der Umsetzung diskutiert und flankiert werden. Investitionen, zumal staatliche, müssten in der jetzigen Situation in jene Zukunftstechnologien fließen, die am Durchbruch zur Massentauglichkeit stehen.

Soll heißen?

Sie müssten so gefördert werden, dass sie für die breite Masse erschwinglich werden, aber nicht indem der Endpreis subventioniert wird, sondern indem die Entwicklung jener Technologien ermöglicht wird, die eine kostengünstige Produktion erlauben. Die Massentauglichkeit hängt aber nicht am Preis allein. Denken Sie an das selbstfahrende Auto. Das kann jetzt sehr schnell Realität werden, aber nur, wenn auch die rechtlichen Fragen geklärt sind und die geeignete Infrastruktur bis weit in die Peripherie hinein bereitgestellt ist. Für Österreich sind stets Impulse aus Deutschland wichtig, aber dort herrscht nach zehn Jahren sinkender Arbeitslosenraten alles andere als wirtschaftspolitische Alarmstimmung. Außerdem muss man sich fragen, warum disruptive Technologien in den letzten 40 Jahren fast nur aus den USA gekommen sind. Wir sollten im Export vielleicht stärker versuchen, in den USA erfolgreich zu sein, um mehr gefordert zu werden und bei neuen Entwicklungen früher dabei zu sein. Auch innerhalb Österreichs gibt es offene Fragen um die großen Unterschiede. Warum ist das Inntal eine Boomgegend und die Mur-Mürz-Furche nicht? Warum bewältigt das Rheintal den Strukturwandel ganz gut, das südliche Niederösterreich aber nicht? Die Antwort darauf können ganz sicher nicht Schuldzuweisungen sein, aber Handlungsspielräume wird man nur gewinnen, wenn man versteht, was die Wirtschaft bewegt.

Vielen Dank für das Gespräch!

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