Inklusion mit Power
Osteogenesis imperfecta (OI) – Glasknochenkrankheit. Sie umfasst eine Gruppe von seltenen, genetischen Erkrankungen. Nur einer bis fünf von 10.000 Menschen ist davon betroffen. Und Karin Stöckler ist eine von diesen Personen. Doch lässt sie sich davon unterkriegen? „Ganz sicher nicht“, so die lebenslustige Lochauerin mit dem unschlagbaren Humor.
Das beweist ihr Werdegang mit großer Eindrücklichkeit. Neben vielen anderen Tätigkeiten ist sie aktuell Präsidentin des ÖZIV-Landesverbands Vorarlberg, Interessensvertretung für Menschen mit Behinderungen, und eine von vier Vizepräsident:innen Österreichs. Wenn Karin in ihrem Heimatort Lochau unterwegs ist, wird sie von allen Seiten gegrüßt. Man kennt sie eben, nicht zuletzt wegen ihrer langjährigen Tätigkeit im Gemeindeamt.
Beten Sie, dass das Kind stirbt.
Rollen wir ihren Lebenslauf aber einmal auf. Karin Stöckler kam am 17. April 1968 zur Welt. Dass etwas nicht stimmte, war den Ärzten schnell klar. Nach der Geburt konfrontierten sie die Eltern mit der Diagnose: Der schlimmstmögliche Fall sei eingetreten, Karin leide an OI. Es ist doch die Pflicht der Ärzte, die Wahrheit zu sagen, würde man meinen. Ja, wird man auch antworten. Doch der Nachsatz ließ mich als Interviewer ratlos und hilflos zurück: Beten Sie, dass ihr Kind sterben wird. Man mag solche Aussagen auf die Zeit zurückführen, doch was mag sie im Herzen und Denken eines jungen Elternpaares bewirken? Zumal diese Aussage nicht nur im Krankenhaus, sondern von einem weiteren behandelnden Kinderarzt getätigt wurde. Darf man solche Sätze mit einem großen Maß an Hilflosigkeit abtun? Doch wer soll Hilfe geben, wenn nicht die Spezialisten? Wer soll Hilfe erhalten, wenn nicht die Eltern? Dies sei als persönliche Bemerkung der Biografie einer Frau, die ihr Leben so vorbildhaft meistert, vorangestellt. Um dann aber auch schon wieder zu den Fakten zurückzukehren.
Glückliche Kindheit
Die Eltern ließen sich von diesen Aussagen nicht beirren, nahmen das Mädchen mit nach Hause und kümmerten sich vorbildhaft um sie. Dafür ist Karin dankbar. Heute noch. „Meine Eltern haben das bestens gemanagt. Sie mussten mich zwar in Watte packen und auch die Schwester musste auf mich Rücksicht nehmen, aber ich durfte eine wunderschöne Kindheit verleben“, blickt sie zurück. Bei Osteogenesis imperfecta (OI) handelt es sich um eine Erbkrankheit, die bei ihr in der Familie das erste Mal aufgetreten sei.
Karin ist im Schwendeweg in Lochau aufgewachsen, wo sie in frühester Kindheit und Jugend alles mit ihren Freund:innen und Kolleg:innen ausprobiert habe: Rollschuhlaufen, mit dem Dreirad die Welt erkunden, über die Rutschbahn zu fliegen, all das habe ihr unbändigen Spaß bereitet. Auch wenn wieder einmal ein Knochen gebrochen sei. Und betont dabei: „Meine Eltern haben mir niemals etwas verboten, obwohl sie sich immer um mich ängstigten. Das hat mich geprägt.“ Denn sie wurde von Anfang an nicht mit Glacéhandschuhen angefasst.
Und als sie registriert hatte, dass ihr Nachbar Heinz sich auf Krücken fortbewegte, sei sie mit diesem Wunsch an ihre Eltern herangetreten: „Das möchte ich auch.“ Der Vater, seines Zeichens Tischler, fertigte ihr kleine Krücken, die gepolstert wurden, und seitdem ist sie auch heute noch unter anderem mit diesen Hilfsmitteln unterwegs.
Anders als die „Ratschläge der Ärzte“ verlief ihre Schullaufbahn in der Volks- und Hauptschule Lochau, wo sie nach bestem Wissen und Gewissen unterstützt wurde. „Ich habe mich selber integriert“, grinst sie schelmisch und blickt auf eine wunderschöne Zeit zurück. Wer sagt das schon von seiner eigenen Schulzeit? Die Mutter habe sich ein Moped gekauft, Karin auf den Sitz gepackt und sie täglich zur Schule gebracht und sie von dort geholt.
Anschließend wechselte sie in die Handelsschule Bregenz, wo sie von einem Taxi vom Schulheim Mäder gebracht und geholt wurde. „Der Schulwart hat mich in Empfang genommen und in die Klasse gebracht.“ Die Wienwoche war ihre erste längere Reise ohne Mutter. Als sie sich anbot mitzufahren, winkte die Klassengemeinschaft ab und meinte nur: „Das schaffen wir.“ Und so war es dann auch.
Gemeinde und ÖZIV
Nach Abschluss der HAS begab sich die junge Frau auf Jobsuche und wurde schnell fündig: Im Dezember 1985 trat sie ihren Dienst im Gemeindeamt Lochau unter dem damaligen BM Schallert an. Während dieser Zeit durchlief sie zahlreiche Abteilungen, so war sie im Meldeamt, in der Telefonvermittlung, im Tourismusamt und auch im Bürgerservice tätig. Einzig der Wunsch nach einer Leitungsfunktion erfüllte sich nicht. „Wohl aufgrund meiner doch häufigeren Krankenstände“, meint sie.
Und irgendwann hatte auch dieses schöne Kapitel ein Ende. 2008 suchte der Landesobmann des ÖZIV Walter Hladschik eine:n Nachfolger:in. Die logische Wahl: Karin Stöckler, die schon seit 1987 ehrenamtlich im Verband tätig war. Sie sei buchstäblich hineingerutscht, als sie zu einer Veranstaltung auf das damals bekannte Partyschiff Elisa eingeladen worden war. Seitdem war sie unter anderem als Schriftführerin und als Landesobmann-Stellvertreterin dabei. Plötzlich bot sich die Chance, „ihr Hobby zum Beruf zu machen“, wie sie eine Freundin ermuntert habe. Und so verließ sie nach Rücksprache mit dem damals amtierenden BM Xaver Sinz das Gemeindeamt und heuerte beim ÖZIV als Präsidentin an.
Inklusion und Integration
Der ÖZIV nimmt zahlreiche Aufgaben wahr, um die Inklusion von Menschen mit Behinderung voranzutreiben. Dazu zählen vielfältige Aufgaben im Verbandsbüro, der Besuch und die Abhaltung vieler Veranstaltungen, Seminare, Workshops, Sensibilisierungstrainings, Öffentlichkeitsarbeit und auch Dienstreisen. Damit das aber überhaupt möglich ist, wird sie von einer Assistentin unterstützt. Dieses Engagement hat ihr nicht nur die Bewunderung ihrer Mitbürger beschert, sondern auch das Große Verdienstzeichen des Landes Vorarlberg und der Republik Österreich.
Karin Stöckler versteckt sich nicht. Ihr offensiver Umgang mit ihren Beeinträchtigungen von Kleinwuchs bis zur Glasknochenkrankheit hinterlässt oftmals staunende Gesichter. Ihr besonderes Highlight ist die Verleihung der Ritterwürde des Ordens des Hl. Konstantin des Großen und der Hl. Helena 2023 in Prag. Seit diesem Tag ist sie eine „Dame“ des Ordens. Eine „Grande Dame“, wie wir befinden.
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