Herbert Motter

Gebt den Bürgern die Gemeinden zurück!

Juli 2024

Politische Parteien haben den Anspruch, auf allen Ebenen Einfluss zu nehmen: Bund, Land, Gemeinde. Überall wird es zu einem Farbenspektrum der besonderen Art; seit jeher weiß man, wer die Schwarzen sind, die Roten, Blauen oder Grünen, jüngst auch die Pinken. Erkennbar sind sie auch an den Standpunkten, denen sich die politischen Parteien in Österreich seit Jahrzehnten verpflichtet fühlen. Verwässert zwar, aber dennoch immer noch eindeutig zuordenbar.
Aber: Kommunalpolitik findet vor der eigenen Haustür statt – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Es ist nichts Abstraktes, Ideologiegetriebenes oder in Parteiprogrammen Festgeschriebenes. Vom Bürgersteig über das Schulgebäude, den Radweg, die Jugendfreizeiteinrichtungen bis hin zur Müllabfuhr finden wir kommunale Angelegenheiten direkt vor unserer Nase. Und darum geht Kommunalpolitik jede und jeden etwas an! Eine breite Aufgabenpalette – nun gut. Aber was hat das mit Politik zu tun? Es gibt doch keine linke oder konservative Kanalsanierung! Natürlich nicht, aber Politik findet statt, wenn Menschen zusammen Entscheidungen treffen, die uns alle berühren. Und zu entscheiden gibt es wahrlich genug. Besonders, wenn das Geld knapp ist: Was ist wichtiger – das Jugendzentrum oder die Straßensanierung? Was ist dringender – der Radweg oder der neue Kindergarten? Solche Fragen kann man nicht in Bregenz, Wien oder Brüssel beantworten. Kommunale Entscheidungen sind konkret und direkt spürbar. Sie bedürfen keines parteipolitischen oder gar dogmatischen Hintergrunds. 
Parteifreie Wählergemeinschaften haben sich in den vergangenen Jahrzehnten auf Gemeindeebene zu ernsthaften Konkurrenten gegenüber den Parteien entwickelt. Und das ist auch gut so. Hier steht sachpolitischer Pragmatismus abseits von Parteipolitik und politischer Ideologie, die auch immer wieder am kommunalen Interesse vorbeischrammt.
Diesen Gruppierungen von am Ort interessierter Bürgerinnen und Bürgern spreche ich die Funktion zur Mobilisierung politisch bisher inaktiver Bürger zu. Sie fungieren quasi als Intermediäre zwischen Sozialgemeinde und Rathaus.
Erschreckend sind seit einiger Zeit die Wahlbeteiligungen. Bei der Vorarlberger Gemeindevertretungswahl 2020 lag sie bei knapp über 53 Prozent. Politik- und auch Parteienverdrossenheit lassen die Nichtwähler zur größten Gruppe werden. Und das bei inzwischen jeder Wahl. Mit ihrer schwerfälligen Organisationsform werden Parteien jedenfalls den gewandelten Partizipationsbedürfnissen in der Bevölkerung zunehmend weniger gerecht. Parteifreie Akteure sehen sich nicht genötigt, ihre politischen Ideen mit denen übergeordneter Parteiinstanzen in Einklang zu bringen, weshalb sie flexibel auf örtliche Problemlagen reagieren und von den Parteien vernachlässigte Themen aufgreifen können. Damit bieten sie zudem Bürgern, die sich keiner bestimmten politischen Ideologie oder Partei verbunden fühlen, einen Anreiz zur Partizipation – als eine quasi in den Stadt- oder Gemeinderat hinein verlängerte Bürgerinitiative.
Ich gehe einen Schritt weiter und bringe die Idee der Lottokratie ins Spiel. Was wäre, wenn wir komplett aufhörten, Abgeordnete zu wählen – und stattdessen zufällig ausgeloste Bürgerinnen und Bürger an ihrer Stelle Politik machten? Neben dem Recht wählen zu dürfen, hätte man so auch die Pflicht, Entscheidungen im Sinne der Gemeinschaft zu treffen. In einem solchen System gäbe es keine Parteien mehr. Es würde themenbezogen diskutiert und entschieden, man müsste sich nicht entlang von Parteilinien einordnen. Ein derart gewähltes Gemeindegremium hätte den Vorteil, dass Entscheidung nicht aufgrund von Fraktionszwang, Lobbyismus, Machtgier und Pfründendenken getroffen werden. 
Daher: Gebt den Bürgerinnen und Bürgern die Gemeinden zurück und befreit sie von den politischen Parteien.

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