Karlheinz Kopf

Präsident der Wirtschaftskammer Vorarlberg

Die EU muss auch im 21. Jahrhundert Antworten liefern

Januar 2025

Brief des Herausgebers

Die Gründung und Erweiterung der EU war die Antwort auf die humanitären und völkerrechtlichen Katastrophen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wirtschaftliche Verflechtung auf Basis starker Demokratien lautete das friedenssichernde Konzept Europas. 

Seit Jahrzehnten steht Europa für das einzigartige Lebens- und Wirtschaftsmodell einer solidarischen, demokratischen Leistungsgesellschaft: Stark im Wettbewerb, ebenso im sozialen Ausgleich und pragmatisch im Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Der Beitritt zu dieser Gemeinschaft hat Österreich eine lange Phase des Friedens und der wirtschaftlichen Prosperität beschert. Aber aktuell sehen wir uns mit einer ganzen Reihe von Herausforderungen konfrontiert, die dieses besondere Lebensmodell gefährden: Geopolitische Verwerfungen, die den Weltfrieden bedrohen. Internationale Tendenzen zu Renationalisierung und Protektionismus. Sinkende Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität als Investitionsstandort. Gesellschaftliche Entsolidarisierung, abnehmendes Sicherheitsgefühl und eine zunehmende Sehnsucht nach autokratischen Führungsfiguren und -systemen. 
Wir müssen daher mehr denn je bewusst machen, dass Demokratie nicht nur die höchst entwickelte Form menschlichen Zusammenlebens ist, sondern die Voraussetzung für Freiheit, Frieden, Sicherheit und Wohlstand. Autokratisch geführten Staaten geht es objektiv gesehen meist schlechter, gefühlt sind sie in den Augen vieler augenblicklich im Vorteil.
Wenn ein gemeinsames Europa weiterhin die Antwort auf aktuelle und künftige Herausforderungen sein soll, müssen die Verantwortlichen in den EU-Institutionen Lösungen für die brennenden Fragen der Zeit liefern. Vor allem im Hinblick auf die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit sowie der inneren und äußeren Sicherheit. Gleichzeitig muss Europa aufhören, die Welt moralisch kolonialisieren zu wollen, und sich dabei mit überbordender und meist wirkungsloser Regulatorik wirtschaftlich selbst zu behindern beziehungsweise zu beschädigen. Und dadurch gleichzeitig die Akzeptanz des einzigartigen europäischen Lebens- und Wirtschaftsmodells und die Grundlage unserer solidarischen, demokratischen Leistungsgesellschaft zu unterminieren.
Ich durfte in meiner allerersten parlamentarischen Entscheidung als Abgeordneter zum Nationalrat vor dreißig Jahren den Beitrittsvertrag Österreichs mit der Europäischen Union mitbeschließen. Bis heute glaube ich an die Richtigkeit dieses Schrittes und an die Zukunftsfähigkeit Europas. Aber wir müssen das Gleichgewicht wieder herstellen zwischen sicherheitspolitischen, ökonomischen, sozialen und ökologischen Erfordernissen. Wir haben in den vergangenen Jahren die beiden erstgenannten zu stark vernachlässigt.

 

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