Gerald A. Matt

Kunstmanager, Publizist und Gastprofessor an der Universität für angewandte Kunst Wien

„Dem dummen Forever Young gehört ein Forever Clever entgegengesetzt“

Mai 2025

Gerald A. Matt traf Chris Lohner (81). Sie ist Journalistin, Schauspielerin, Kabarettistin und Autorin. Sie engagiert sich für soziale Projekte wie „Licht für die Welt“, wo sie augenkranke Menschen in Afrika unterstützt und ihre Stimme ist auf allen ÖBB Bahnhöfen omnipräsent.
Als die bekannteste österreichische Fernsehmoderatorin und Ansagerin ist sie eine Fernsehlegende. Ihr Markenzeichen sind die roten Haare und die Pagenkopffrisur.

Ihre Stimme kündet auf jedem Bahnhof von Abfahrt und Ankunft der Züge. Stimmt es, dass aufgrund von Fahrgastprotesten die ÖBB sich entschlossen hat, 2015 Ihre Stimme wieder zurückzuholen? 
Ja, sie haben eine kurze Zeit eine digitalisierte Stimme gehabt, eine Computerstimme. Die Leute haben sich furchtbar aufgeregt und haben gesagt, wir wollen die Chris Lohner wieder haben. 
 
Aber wie viele Sätze mussten Sie da einsprechen? Das klingt nach einem Herkules-Projekt. 
Ja, das war es auch. Da habe ich bestimmte Sätze bekommen, die völlig sinnentleert waren. Aber das waren 15.000 Sätze in Deutsch und 15.000 in Englisch. Ich bin den ganzen Juli im Studio gesessen. Jeden Vormittag. Das wurde dann alles per Computer aufbereitet und digitalisiert.
 
Sie waren für 30 Jahre das Gesicht des ORF. Werden Sie noch erkannt, nervt Sie das auch manchmal?
Ja, aber ich finde es immer noch bezaubernd. Wenn einen das nerven würde, müsste man einen anderen Job machen. Ich war ja in allen Wohnzimmern oder Schlafzimmern. Es gab nur den ORF. An mir ist man ja nicht vorbeigekommen, egal ob man mich wollte oder nicht. 
 
Wie kam es zur rothaarigen Pagenfrisur? 
Das war halt die Frisur, die ich hatte. Ich habe sehr feines Haar. Als ich beim ORF anfing, wollten sie aber keine roten Haare. Also haben sie mit meiner Frisur eine Perücke gemacht, in mausbraun. Die habe ich ungern aufgesetzt. Bis ich sie eines Tages nicht mehr gefunden habe. Ab da war ich in Rot.
 
Nach all den Jahren sind Sie immer noch eine vielbeschäftigte Frau. In einigen Ihrer Bücher geht es um das Altern.
Da schaue ich mir schon eine lange Weile zu.
 
Was raten Sie, wie soll man mit dem Alter umgehen?
Wie geschrieben: Keine Lust auf Frust, keine Zeit für Neid. Dem dummen Forever Young und Jugendwahn gehört ein Forever Clever entgegengesetzt. Das ist das, was uns bis ans Ende unseres Lebens bleiben sollte. Ich habe nichts von einem knackigen Po, wenn das Hirn das nicht mehr mitkriegt. 
 
Sie haben in einem Interview gesagt, ich halte es für ein Menschenrecht ein Leben lang zu arbeiten.
Ja, ich wäre für die Abschaffung des Pensionsalters. Es sollte jeder so lange arbeiten, solange er möchte, solange er kann und will. Ich rede nicht von Schwerarbeit, aber es gibt Berufe, wo so viel Expertise da ist, so viel Know-how. Und dann muss man damit aufhören, obwohl man alles noch kann und alles noch weiß. 
 
Sie beschäftigen sich in Ihren Büchern wie „Ich bin ein Kind der Stadt, Wienerin seit 1943“ oder unlängst auch mit „Zeitgeschichte in Bildern und Anekdoten“ mit Ereignissen der österreichischen Nachkriegsgeschichte, die Ihr Leben geprägt haben. Sie schildern Ihre Kindheit als eine Zeit des Mangels, Bassenawohnung, Klo und Wasser am Gang.
Wir haben ja nichts gehabt, aber wir hatten alles, hatten Kultur, Bildung und Lesen. Mein Vater war der jüngste Erwachsenenbildner in Österreich und Volkshochschuldirektor in der Stöbergasse. Er war gelernter Bibliothekar. Ich hatte, sobald ich lesen konnte, die richtigen Bücher. Wenn das Licht abgedreht wurde, haben meine Schwester und ich unter der Bettdecke immer noch mit der Taschenlampe gelesen. Ich glaube auch, dass jemand, der nie liest, auch nicht selber schreibt.
 
Wenn Sie zurückdenken, gibt es etwas außer Ihrer Jugend, das Sie an dieser Zeit vermissen? 
Meine Jugend vermisse ich nicht. Ich weiß jetzt viel mehr über mich und kann mit mir viel besser umgehen als in der Pubertät. Aber was ich vermisse, sind  Empathie und Respekt. Wir hatten ja alle nix und das Wort Neid ist überhaupt nicht vorgekommen. Wenn man ein bisschen etwas hatte, hat man es mit dem Nächsten geteilt. 
 
Sie haben in den USA Matura gemacht. Was haben Sie von dort mitgenommen? 
Das Amerikajahr war für mich eigentlich das wichtigste Jahr in meinem Leben. Ich habe sehr viel über mich gelernt. Ich war 1961 Austauschstudentin vom American Field Service und bin im Mittleren Westen der USA mit allen Farben der Welt in die Schule gegangen. Und ich habe das ‚they open their arms and never close them‘ erlebt. Wenn ich dort auf der Straße gesagt habe, ‚it’s a beautiful day today‘, antwortete gleich jemand ‚yes, you’re right, lady‘. Wenn ich das in Wien mache, glaubt einer, ich habe nicht alle Tassen im Schrank oder ich will was von ihm. Aber so wie ich Amerika erlebt habe, wird es nicht mehr sein. Und solange dieser Mann an der Macht ist, werde ich dort nicht mehr hinfahren.
 
Sie haben sieben Jahre in Italien, Frankreich, Schweiz, Deutschland als sehr erfolgreiches Fotomodell gelebt. Wie ist aus dem Modell eine Fernsehansagerin geworden?
Ich habe mir von Anfang an gesagt, mit 29 will ich nicht mehr vor der Kamera stehen. Und da ging ich nach Wien zurück. Ich wollte ein Engagement beim Theater und dachte, da wartet man schon auf jemanden wie mich. Dem war aber nicht so. Und dann habe ich gesehen, dass Fernsehsprecherinnen gesucht werden. Ich habe keine Ahnung gehabt, was das ist. Beim Vorstellungsgespräch wurde ich gefragt, sprechen Sie Englisch? 
 
Das war natürlich kein Problem.
Begonnen habe ich, indem ich in der Früh um 9 Skirennen ansagte, und um halb elf wegen Schlechtwetter wieder absagte. Das nervte mich bald, aber das Medium selbst hat mich fasziniert. Es war ja großartig, was in diesem Haus damals alles passiert war. Bald konnte ich auch machen, was ich mir gewünscht habe. 
 
Wie sehen Sie die Zukunft des Fernsehens? Was würden Sie sich für einen ORF wünschen? Ein reines Nachrichten - und Bildungsprogramm oder einen Mischsender zwischen Bildung und Unterhaltung? 
Also der ORF nennt sich ja öffentlich-rechtlich. Ich bin der Meinung, ein Esel und ein Pferd können nicht um die Wette rennen. Und seit es die Privatsender gibt, muss man sich da nicht in Konkurrenz begeben. Es ist so wie bei Mann und Frau. Die Frauen sollen sich auf ihre Stärken besinnen und nicht die Männer nachmachen.
 
Also Qualität anstelle von Quantität und Unterhaltung.
Ja. Der Gerd Bacher hat einmal gesagt, man kann das Publikum erziehen und er hat recht gehabt.
 
Sie haben ja in Filmen und im Theater gespielt, legendär etwa in der Serie ‚Kottan‘. Haben Sie sich für die Rolle beworben? 
Nein, die guten Dinge kamen immer auf mich zu. Das ist das Interessante an meinem Leben. Als mich ein Fotograf auf der Straße ansprach, war das der Beginn meiner Modellkarriere. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, das zu machen. Und so war es auch beim Film. Auch mein erstes Buch „Keiner liebt mich so wie ich – oder die Kunst in Harmonie zu leben“ muss einen Nerv getroffen haben. Ich ging mit meinem Hund Gassi und eine Sonntagszeitung holen. Und schau auf die Bestsellerliste und sehe meinen Namen. Ich habe von meinem ersten Buch 150.000 Stück verkauft, in nicht einmal einem Jahr. 
 
Vielleicht hat Ihr Erfolg auch damit zu tun, dass Sie eine gehörige Portion Selbstironie und Humor haben.
Nach der Liebe halte ich Humor für das Wichtigste im Leben. Es ist ein Geschenk des Universums, wenn man über sich lachen kann. 
 
Haben Sie als Frau in Ihrem Beruf Übergriffe erlebt? Wie stehen Sie zur MeToo-Debatte? 
Ja, das habe ich immer wieder hautnah erleben müssen. Aber ich bin jemand, der sich sehr wohl wehren kann. Ich habe mir nie etwas gefallen lassen. Was MeToo angeht, ist trotzdem noch viel zu tun. Aber mit Maß und Ziel.
 
Sie haben vor einigen Jahren einen Brief gegen die Töchter in der Bundeshymne mitunterschrieben. Singen Sie die Töchter mittlerweile oder lassen Sie das weg?
Wir sind in erster Linie Menschen. Und erst dann sind wir Männchen, Weibchen und noch vieles anderes. Für mich ist vieles an Political Correctness ein Feigenblatt, unter dem genau dieselben Vorurteile nach wie vor vorhanden sind. Es gibt mehr Femizide, es gibt mehr Rassismus, es gibt mehr Fremdenfeindlichkeit, es gibt mehr Antisemitismus. Dagegen müssen wir kämpfen. 
 
Ihr mittlerweile verstorbener Partner war für viele Jahre der aus Jamaika stammende Ex-Tennis-Spieler, aber auch Reggae-Sänger Lance Lumsden. Mussten Sie wegen seiner Hautfarbe rassistische Beleidigungen erleben?
Ja. Ich wurde als N***-Hure beschimpft. Wenn es um Rassismus geht, ist es in Österreich nicht besser geworden. Ganz und gar nicht. 
 
Sie haben sich ja für Menschen insbesondere in Afrika engagiert und dabei Ihre Prominenz in den Dienst der guten Sache gestellt. Das wurde nicht nur positiv aufgenommen.
Nein, ein Nachbar, sagte mir, was fahren Sie denn alle wieder zu den „N***? Und ich habe gesagt, weil Sie nicht fahren.
 
Eine wichtige Aktion, die Sie mit vollem Herzen unterstützen ist „Licht für die Welt“?
Ja, da geht es um Hilfe für augenkranke Menschen in Afrika. Seit drei Jahren setze ich mich auch für „Jugend eine Welt“ ein. Allein in Lagos leben 100.000 Kinder auf der Straße. Man muss die Kinder von der Straße wegkriegen. Da ist Bildung die Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben. Prominenz und Öffentlichkeit helfen natürlich beim Kampf um die nötigen Mittel. 
 
Afrika scheint Ihnen besonders ans Herz gewachsen zu sein. Was macht diese besondere Verbindung zu Afrika aus? 
Ich mag die Afrikaner. Die Menschen, die ich dort getroffen habe, haben trotz aller Not eine ungeheure Lebensfreude. Oft haben sie nur das, was sie am Körper tragen. Die Menschen gehen anders miteinander um, reden noch miteinander. Und oft strahlt einen jemand nur mit einem Auge an, das noch gesund ist, während man hier meist nicht einmal mit zwei Augen angestrahlt wird.
 
Der Titel Ihres neuen Buches „Wenn Afrika lächelt“ klingt optimistisch. 
Das Buch ist eigentlich ein Zeitzeugnis. Ich war immer wieder in vielen Ländern, in Äthiopien, Tansania, Mosambik, Somalia, Sudan und Burkina Faso. Es ist eigentlich urtraurig. Es sind überall Islamisten und die Konflikte und das Leid wächst. Dennoch glaube ich an Afrika. 
 
Wie soll man Afrika begegnen?
Man muss seine europäische Festplatte löschen und schauen, was auf einen zukommt. Wir haben so viel angerichtet auf diesem Kontinent. So viel durch unsere Kolonisation zerstört. Also sollte man gefälligst Respekt und Empathie zeigen.
 
Gibt es noch einen Traum, den Sie realisieren wollen?
Ich wollte immer schon Klavier spielen lernen. Und das mache ich jetzt seit drei Monaten. Und ich fotografiere. Ich habe ein Projekt, das ich Findungen nannte. Ich fotografiere winzige Teilchen unserer Welt, eine Baumrinde oder ein Gras.
 
Frau Lohner, herzlichen Dank für das Gespräch! 

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