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Die „Hitliste“ der Wintersportverletzungen
In den Unfallambulanzen der Krankenhäuser Vorarlbergs bereiten sich die Teams auf eine arbeitsintensive Wintersaison vor. Oberarzt Dr. Johannes Hartl, erfahrener Unfallchirurg am Landeskrankenhaus (LKH) Bludenz, hält Rodeln für „gefährlicher als Skifahren und Snowboarden zusammen“.
Das LKH ist durch seine Nähe zu den großen Vorarlberger Skigebieten zentrale Anlaufstelle für die Rettungsteams, die verletzte Wintersportler erstversorgt haben. Mit Stand Ende November registrierte man in Bludenz im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg von Operationen nach Unfällen um rund 10 Prozent. „Diese Entwicklung resultiert aus dem Mehr an Sportunfällen“, weiß Oberarzt Hartl. Kein Wunder: Die sportlichen Freizeitaktivitäten nehmen zu.
Blicken wir in dem Zusammenhang noch ein paar Wochen bzw. Monate zurück. In der warmen Jahreszeit sind die Downhiller vom Bikepark Brandnertal ausgezeichnete „Kundschaft“ der Unfallambulanz Bludenz. Hier wiederum machen die unerfahrenen Gelegenheitsdownhiller den Löwenanteil aus. „Beim ersten Sprung bin ich schon gestürzt“ – ein Standardspruch, den Dr. Hartl und Kollegen mit schöner Regelmäßigkeit zu hören bekommen.
Nachahmer gefährdet
Die Ursachen für Unfälle von Wintersportlern ähneln denen der Downhiller, vor allem wenn man die Freerider betrachtet. Diejenigen, die diesen Sport ernsthaft betreiben, sehen das Krankenhaus in der Regel nur von außen. Jene, die nach dem Motto „Was kostet die (Freeride-)Welt“ zur Sache gehen, aber gleichzeitig mit der Sportart wenig vertraut sind, kennen die OP-Säle hingegen gut. „Solche Nachahmer stürzen häufig und erleiden dabei oft Mehrfachverletzungen“, weiß Dr. Hartl.
Bei den klassischen Skifahrern hängen die Verletzungsmuster mit den jeweiligen Schnee- bzw. Pistenverhältnissen zusammen. „Vor zwei Jahren präsentierten sich die Pisten mit viel Kunstschnee extrem hart bis stark eisig. Daraus resultierten viele Kopfverletzungen, Trümmerbrüche der Oberarme und Schienbeinkopfbrüche“, erinnert sich der Unfallchirurg. Überwiegt hingegen der natürliche Schnee, geht es überwiegend den Bändern in den Knien und den Unterschenkeln an den „Kragen“. Im weichen Schnee bleibt man rasch einmal hängen und stürzt. Wenn dann die Sicherheitsbindung nicht rechtzeitig öffnet, müssen eben oft die Bänder – vorwiegend die Kreuzbänder – daran glauben.
Das klassische Verletzungsmuster der Snowboarder hingegen steht nicht in Verbindung mit den Pistenbedingungen Die Snowboarder werden in erster Linie mit schweren Brüchen im Ellbogen- und Handgelenksbereich ins Krankenhaus geflogen. „Wir stellen freilich auch bei diesen Patienten fest, dass es überwiegend die Anfänger trifft“, sagt Oberarzt Hartl.
Unfallrisken weist natürlich jede Sportart auf. Dass allerdings die Rodler einer besonders großen Gefahr unterliegen, wird allgemein unterschätzt. „Ich halte Rodeln für die gefährlichste der bekannten Wintersportarten überhaupt“, warnt Dr. Hartl. Zwei Aspekte treffen hier, einander verstärkend, zusammen: Rodelpartien finden häufig in den Abendstunden statt, nachdem eine zünftige Hüttengaudi das Vorprogramm gebildet hatte.
Rodeln ausnahmslos mit Helm
An einen sehr schweren Rodelunfall, der im Vorwinter passierte und die Sorglosigkeit mancher Rodler veranschaulicht, kann sich Dr. Hartl noch gut erinnern. Sprünge über Schanzen – nicht selten auf Skipisten – stellen für Rodler ein extrem hohes Risiko dar. In diesem speziellen Fall wollte ein jüngeres Mädchen über eine apere Straße springen. Der Sprung misslang, das Mädchen, das keinen Helm trug, schlug mit dem Hinterkopf auf dem Asphalt auf. Die dramatischen Folgen: Schädelbruch samt Hirnblutung, schwere Wirbelfrakturen. „Der Unfall macht deutlich, dass Rodler ausnahmslos Helme tragen sollten“, fordert Dr. Hartl. Die Notwendigkeit der Verwendung von Helmen beim Ausüben der diversen Wintersportarten unterstreicht außerdem der Fall eines Kindes, dem der Helm ganz eindeutig das Leben rettete. Der junge Skifahrer war nach einem Sturz, bei dem er mit dem Schädel gegen einen Holzpflock geprallt war, in die Unfallambulanz gebracht worden. „Er litt zwar unter Gedächtnislücken, die Verletzung schien dennoch nicht lebensbedrohend zu sein“, erzählt Oberarzt Hartl. Der Fall ließ ihm freilich keine Ruhe, bei näherer Begutachtung des Helms entdeckt er darin eine große Delle. „Wir machten daraufhin eine Schädel-CT-Untersuchung, die schließlich das wahre Ausmaß der Verletzung zeigte: Schädelbruch mit Einblutung.“ Der Bub überlebte dank des Helms, der ihn wie ein Polster vor noch Schlimmerem geschützt hatte.
Dr. Hartl zählt für „Thema Vorarlberg“ die häufigsten Verletzungen von Wintersportlern auf:
› Knie: Verletzungen der Bänder (besonders der Kreuzbänder), Bruch des Schienbeinkopfs
› Schulter: Bruch des Oberarmkopfs
› Handgelenk: Verrenkungsbrüche, die dauerhafte Einschränkungen der Beweglichkeit nach sich ziehen
› Beckenbrüche: betrifft vor allem ältere Menschen
› Wirbelsäule: Wirbelbrüche in allen Facetten, inklusive Querschnittlähmung als Folge
› Kopf: Gehirnerschütterung bis Schädelfraktur samt Hirnblutung
Wie lässt sich solchen Sportverletzungen am besten vorbeugen? Dr. Hartl findet dafür – unter anderem – ein sehr einfaches, leicht umsetzbares Konzept: „Man sollte bei der vorletzten Fahrt aufhören.“ Zu oft schon haben ihm Skipatienten während der Untersuchung „gestanden“: „Wir wollten eigentlich eh nicht mehr fahren.“ So kann sich das bedingungslose Ausnutzen der Tageskarte nach dem Vorbild von Karl-Friedrich Sattmann aus der legendären Piefke-Saga bitter rächen.
Mit Blau beginnen
Darüber hinaus würde natürlich eine entsprechende körperliche Vorbereitung schon lange vor Beginn der Saison einige Unfälle verhindern helfen – Stichwort Skigymnastik. Skifahrer, deren Können in Wahrheit bloß für die blaue Piste reicht, sollten sich bei der ersten Abfahrt überdies nicht gleich auf die schwärzeste aller schwarzen Pisten wagen, sondern sich – nach ordentlichem Aufwärmen – mit der blauen Piste begnügen. Und das Après-Ski sollte im Idealfall erst bei der Talstation nach Abschluss des Skitags stattfinden. In Sachen Ausrüstung bricht Oberarzt Hartl außerdem eine Lanze für das Tragen eines Rückenprotektors.
Der Beruf des Unfallchirurgen ist – im wahrsten Sinn des Wortes – ein Knochenjob. Hin und wieder freilich erleichtern unerwartete, berührende Erlebnisse den fordernden Alltag. „Neulich sprach mich in einem Einkaufszentrum eine Dame an, die mich als den Arzt erkannte, der sie vor 16 Jahren in Bregenz am Unterschenkel operiert hatte“, erzählt Dr. Hartl. Die ehemalige Patienten erinnerte sich an noch etwas: Hartl musste unmittelbar nach der Operation in die Gynäkologie, wo seine Frau gerade eine Tochter zur Welt brachte.
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