Gerald Mathis

Leiter ISK-Institut, Dornbirn

Trickle-down-Effekt und soziale Gerechtigkeit

Juni 2016

Die Begründer des Kapitalismus, Adam Smith und David Ricardo, sind vom Trickle-down-Effekt und damit von einer halbwegs gerechten Verteilung im Kapitalismus ausgegangen. Beide waren zwei tiefgläubige Gelehrte und haben unterstellt, dass es, wenn alle Bedürfnisse befriedigt sind, eine Obergrenze für Reichtum gibt. Sie glaubten, ab einer bestimmten Höhe des Reichtums akkumulieren die Reichen keine Reichtümer mehr, sondern sie verteilen sie und erhöhen den Lohn ihres Chauffeurs und ihrer Arbeiter. Beide haben sich dramatisch geirrt. Der Unterschied zwischen Reich und Arm wird weltweit in beängstigender Weise immer größer – auch in Österreich. Chancengleichheit findet nicht statt. Dramatisches Beispiel ist unser Bildungssystem. Unsere Gesellschaft driftet immer weiter auseinander. Wenn der Wohlstandswinkel zu groß wird, beginnt die Gesellschaft zu rutschen. Am Anfang langsam, dann mit sozialen Unruhen bis zu Bürgerkrieg und Destabilisierung. Die Menschen wehren sich. Und genau das ist am vergangenen Wahlsonntag passiert. Die weniger Privilegierten, die von Abstiegsängsten Geplagten, die Ohnmächtigen und Zornigen haben sich mit Nachdruck gegen die da oben, gegen die, denen es besser geht, und gegen das Establishment positioniert. Das Wahlergebnis hat in ganz Europa Wellen geschlagen.

Die soziale Frage muss daher parallel zur Schaffung von Arbeitsplätzen und Wirtschaftsstrukturen, der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und einem chancengleichen Bildungssystem in die Mitte unserer Gesellschaft und unserer Politik gerückt werden. Es gibt inzwischen genug fundierte Literatur, Studien und Expertisen, die belegen, dass eine Gesellschaft nur dann gut und sozial harmonisch funktioniert, wenn der Unterschied zwischen Arm und Reich nicht ausufert und wenn Chancengleichheit herrscht. Nehmen wir diese Warnung um Gottes Willen ernst.