Bewegung in der digitalen Welt
Eine aktuelle Studie zählt Vorarlberg zu den bisherigen Gewinnern der Digitalisierung. Positive Beschäftigungseffekte seien feststellbar, dank der teils hochdigitalisierten Industrieleitbetriebe. Im Schwerpunkt nennen Vorarlberger Experten Stärken und Schwächen unseres Landes.
Udo Filzmaier, Guntram Bechtold, Andreas Salcher, sie alle sind Experten auf dem Gebiet des Digitalen – und sie alle honorieren, wenn auch in unterschiedlicher Intensität, was sich zuletzt in Vorarlberg getan hat. „Die Sensibilität in der Materie ist stark angestiegen“, sagt Bechtold. „Die Schlagzahl ist hoch“, erklärt Filzmaier. Salcher legt nach: „Dem Thema wird mehr Aufmerksamkeit geschenkt.“ Im Bemühen, sich für die Zukunft zu rüsten, ist in Vorarlberg in der Tat einiges in Bewegung gekommen. Initiativen wurden ins Leben gerufen, konkrete Projekte wurden aufgesetzt, von „Code4Kids“ über die Digitale Agenda bis hin zum Dis.Kurs Vorarlberg, nur um Beispiele zu nennen. Der Fokus richtete sich öffentlichkeitswirksam auf das Neue, wichtig, im Sinne einer Bewusstseinsbildung. Wobei die eingangs erwähnten Experten das bis dato Geschehene nur als Auftakt verstehen. „Es wurde sensibilisiert, es wird konkretisiert“, sagt Salcher, „jetzt müssen wir auch liefern.“
Ein relativiertes Szenario
Riskieren wir zunächst einen Rückblick? In ihrer Studie zur Zukunft der Arbeit hatten die Oxford-Forscher Osborne und Frey 2013 prognostiziert, dass binnen zweier Jahrzehnte die Hälfte aller Jobs verschwinden würden. Medien griffen das düstere Szenario bereitwillig auf, schrieben von der Invasion der Roboter, die Studie fand rasche Verbreitung, wurde in aller Dramatik auch auf lokale Ebenen heruntergebrochen. Roboter würden künftig Roboter beaufsichtigen, die Roboter produzieren, lautete eine dieser Schlagzeilen.
Mittlerweile aber relativieren immer mehr Experten das Szenario von Osborne und Frey. Und medial? Ist ebenfalls ein Schwenk wahrnehmbar. Die „Presse“ schrieb, dass die Alarmglocken von Studie zu Studie leiser läuten würden und befand: „Die Roboter verlieren ihren Schrecken“. Die „Zeit“ nannte die Sache eine „Pi-mal-Daumen-Studie“, der „Spiegel“ berichtete, dass gerade von Ökonomen zunehmend Widerstand gegen das Prognostizierte komme. Ein Beispiel? Terry Gregory vom Mannheimer Forschungsinstitut ZEW habe mit seinen Arbeiten gezeigt, „dass Digitalisierung in der Vergangenheit nicht zu weniger Arbeit geführt hat – sondern sogar zu mehr Jobs“.
Eine aktuelle Studie
Mehr Jobs? Eine aktuelle Studie des Österreichischen Wirtschaftsforschungsinstituts kommt nun zu demselben Schluss. In der Studie, in der die Beschäftigungseffekte der Digitalisierung in Österreich untersucht wurden, heißt es: „Es zeigen sich vorwiegend positive Gesamteffekte aus der fortschreitenden Digitalisierung auf die Gesamtbeschäftigung. Ängste vor dem massenhaften Verlust von Arbeitsplätzen durch das Rationalisierungspotenzial aus der Verwendung digitaler Technologien scheinen daher bislang unbegründet.“ Nachsatz: „Zumindest aus heutiger Sicht.“ Für Vorarlberg erfreulich ist auch ein anderer Teil der Studie. Denn vor allem in stärker industriell geprägten Bundesländern, insbesondere in Oberösterreich, der Steiermark und in Vorarlberg, habe man positive Beschäftigungseffekte der Digitalisierung feststellen können, berichteten die Forscher: „Die Beschäftigung in hoch digitalisierten Branchen ist insgesamt stärker gewachsen als die Gesamtbeschäftigung.“ Vorarlberg – dank zugkräftiger, teils hoch digitalisierter Industrieleitbetriebe – zähle zu den Gewinnern.
Andreas Salcher (47), Leiter Koordinationsstelle Digitalisierung bei der Wirtschaftsstandortgesellschaft Vorarlberg
Wo also stehen wir?
Udo Filzmaier, Guntram Bechtold, Andreas Salcher, die Experten, kommen an dieser Stelle wieder ins Spiel. Ist die WIFO-Studie zu positiv? Gar naiv? Anders gefragt: Wo steht Vorarlberg im Jahr 2019 in Sachen Digitalisierung und Automatisierung?
„Diese Frage“, antwortet Andreas Salcher, „ist nur schwer zu beantworten.“ Eigene Studien zu Vorarlberg gebe es nicht, der Kontakt zu Unternehmen und Unternehmern aber erlaube Rückschlüsse: „Und demnach gibt es eine immense Bandbreite. Das Ausmaß des Fortschritts ist branchen- und größenabhängig.“ Das hat klarerweise mit der Struktur der einzelnen Unternehmen zu tun: „Je größer ein Unternehmen ist, umso weiter ist es in der Regel in Sachen Digitalisierung, weil sich eigene Mitarbeiter dort um die entsprechenden Themen kümmern können.“ Salcher zufolge widmen sich Vorarlbergs Konzerne und die Hidden Champions dem Thema bereits mit aller Vehemenz, seit Längerem schon und auf hohem Niveau, „während Klein- und Mittelbetriebe in Summe deutlich zurück sind“.
Software und Service: „Verschlafen“
Udo Filzmaiers Diagnose? Gute Beispiele ausgenommen, hätten die kleinen und mittleren Unternehmen sicherlich den größten Aufholbedarf in Sachen Digitalisierung, während einige große Leitbetriebe im Land schon sehr weit seien, auf sehr hohem Niveau: „In der Industrie 4.0, da ist Vorarlberg führend in Österreich, da ist Vorarlberg auch in Europa schon sehr gut positioniert.“ Sehr viel Energie sei da bereits in die Automatisierung und in die Digitalisierung betreffend Fertigungsanlagen gesteckt worden: „Aber das Thema ,Software as a Service‘, das haben wir in Vorarlberg bisher definitiv verschlafen, eine eigene Industrie hat sich in Vorarlberg in diesem Bereich nur punktuell entwickelt.“
Bechtolds Bestandsaufnahme
„Ein Großteil unserer Unternehmen ist nach wie vor zu wenig in der Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle aktiv“, sagt Guntram Bechtold. Das Interesse sei zwar da, Digitalisierung werde in den meisten Fällen aber auf bloße Prozessoptimierung reduziert. Zudem fehle die Kundenzentriertheit. In Bechtolds Augen berücksichtigen nach wie vor „viele Unternehmen zu wenig, was dem Kunden letztlich für ein Nutzen entstehen soll“. Dabei hat sich auch der Kunde im digitalen Wandel längst schon geändert.
Auf der Homepage von „Massive Art“, einer Digitalagentur mit Sitz in Dornbirn, steht zu lesen: „Vielen Händlern ist noch nicht bewusst, dass der maßgebende Treiber für die Notwendigkeit der Digitalisierung die Erwartungshaltung der Kunden ist. Der digitale Wandel hat das Verhalten des Kunden und seine Erwartungen in den letzten Jahren enorm verändert.“ Bechtold sagt: „Der Kunde ist viel mündiger geworden, viel wacher, viel entschiedener. Er wechselt schneller, versteht besser, was am Markt angeboten wird.“
Salchers entscheidende Fragen
Zitieren wir wieder Salcher. Ihm zufolge ist das Land Vorarlberg in sehr vielen Dingen höchst erfolgreich unterwegs: „Aber die Frage ist, wenn wir auch zukünftig so erfolgreich sein wollen, was müssen wir tun? Und was hat die Digitalisierung damit zu tun?“ Auf diese Fragen die richtigen Antworten zu finden, das sei entscheidend, Denn die Zielsetzung, sagt Salcher, „kann ja nicht sein, Vorarlberg zur digitalsten Region Europas zu machen, das wäre völlig vermessen. Es gehe vielmehr darum, was wir denn tun müssen, um den bisherigen Erfolg in die Zukunft tragen zu können“. Und in diesem Verständnis sei die Digitalisierung kein Selbstzweck, „sie soll helfen, den Erfolg, den wir in der Vergangenheit hatten und in der Gegenwart haben, in die Zukunft zu tragen“.
Udo Filzmaier (48), CEO der SIE Holding AG
Die Vision der Zehntausend
Ausgehend vom Befund, dass im Land „Software as a Service“ verschlafen worden seien, sagt Filzmaier: „Da ist noch ultimativ viel Potenzial. Deswegen haben wir im Dis.Kurs auch gesagt: Da ist Potenzial für zehntausend neue Arbeitsplätze – für zehntausend Programmierer und Digitalisierungsexperten.“ Auch an diesem Punkt greift das eingangs Gesagte, greift die Sache mit der Bewusstseinsbildung. Denn Filzmaier ist überzeugt davon, dass „die Digitalisierung auch Menschen eine Chance geben wird, die sich das jetzt noch gar nicht vorstellen können“. In den USA etwa habe sich in „Brutkästen“ gezeigt, dass man in sechs Monaten durchaus Programmierer werden könne, „es hat sich da auch herausgestellt, dass Produktionsarbeiter an Fertigungslinien sehr gute Fähigkeiten haben, Programmierer werden zu können“. Diese Chancen sehe man aber meistens nicht, auch weil man sich die falschen Vorstellungen mache: „Es wird für viele Menschen, die bislang keine hochtechnologische Ausbildung haben, die Möglichkeit geben, einen Job in der digitalen Entwicklung zu bekommen.“ Allerdings werde es auch Menschen geben, in die viel investiert werden muss, um sie überhaupt am Arbeitsmarkt halten zu können.
Salcher schließt da an. Es werde ein Bedarf im Land entstehen, der durch das hiesige Angebot allerdings nicht abgedeckt werden könne. Man werde Zuwanderung brauchen, man habe die Ausbildung im Land zu forcieren, man könne aber auch vollkommen neu denken: „Digitale Arbeit ist flexibel, die kann überall gemacht werden.“ Man könne also umdenken, nicht Experten zur Arbeit ins Land holen, sondern die digitale Arbeit zu den Experten bringen, sagt Salcher: „Wer sagt denn eigentlich, dass diese Zehntausend auch im Land physisch anwesend sein müssen? Wir könnten in den europäischen Hotspots mit vereinten Vorarlberger Kräften einen digitalen ,workspace Vorarlberg’ schaffen.“ In diesem workspace für Vorarlberger Unternehmen zu arbeiten, um gutes Geld, gleichzeitig aber weiterhin in Berlin, Barcelona, London wohnhaft zu bleiben, „das könnte doch für sehr viele junge und bestens ausgebildete Menschen unglaublich attraktiv sein“. Drei Viertel der Zeit könnten die Menschen dann in ihrem gewohnten oder erwünschten Umfeld arbeiten und ein Viertel der Zeit vor Ort, in Vorarlberg. „Denn der persönliche und soziale Kontakt zum Unternehmen und zu den Kollegen in Vorarlberg ist wichtig. Dabei können Konzepte wie etwa ‚Co-Living Villas‘ sehr hilfreich sein.“ Und irgendwann, wer weiß, „könnten diese digitalen Experten dann mit ihren Familien tatsächlich in Vorarlberg leben. Das ist die Vision“.
Schlussworte der drei? Udo Filzmaier sieht „sehr viel Potenzial für Vorarlberg, dieses dynamische Land. Die Digitalisierung ist eine sehr große Chance, die wir nützen können – und nützen müssen, indem wir schnell aufbauen und das nachholen, was wir bislang verabsäumt haben“. Salcher sagt, die Zukunft sei eine Chance: „Aber die Frage ist, wie man damit umgeht. Man kann, selbst wenn man den Wandel als Bedrohung versteht, positiv damit umgehen, da gibt es verschiedene Möglichkeiten.“ Bechtold ist sich sicher, dass weitaus mehr Gutes als Schlechtes entstehen werde: „Die Realität, dass wir in dieser digitalen Transformation bereits mitten drinnen stehen, müsste die Menschen eigentlich motivieren, es gibt ja auch viele positiven Neuerungen.“ Die Chancen zu benennen, den Menschen klar zu machen, dass die Digitalisierung auch eine große Chance ist, an der man teilhaben kann, sagt Bechtold, „das ist wohl die Beobachtung am Puls der Zeit“.
„Wir neigen dazu, die Auswirkung von Technologie kurzfristig zu überschätzen und langfristig zu unterschätzen“, hatte der Silicon-Valley-Vordenker Roy Amara (1925-2007) einst gesagt. In Fachkreisen wird Amaras Gesetz oft zitiert.
Guntram Bechtold (36), Projektmanager, StarsMedia IT Management
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