Christian Keuschnigg

Geboren am 9.  Jänner 1959 in St.  Johann in Tirol, ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen. Von Juni 2012 bis Oktober 2014 war der Tiroler Direktor am Institut für Höhere Studien. Keuschnigg ist Vorsitzender des finanzwissenschaftlichen Ausschusses des „Vereins für Social­politik“, Herausgeber des „FinanzArchivs“, Mitherausgeber der „European Economic Review“ und Mitglied in mehreren Forschungsnetzwerken.

(Foto: © Lukas Ilgner)

Der harte Franken

September 2015

Geringere Inflation und Produktivitätssteigerungen der innovativen Schweizer Exportwirtschaft lassen den Franken erstarken. Die Franken-Aufwertung macht die Schweizer reicher und zu kaufkräftigen Kunden für Österreichs grenznahen Handel, den Tourismus und die heimische Exportwirtschaft.

Die einen freut es, die anderen sind schockiert: Nachdem die Schweizerische Nationalbank zu Jahresbeginn die Untergrenze von 1.20 Franken pro Euro aufgehoben hatte, wertete der Schweizer Franken schlagartig auf einen Euro auf. Das ist eine Aufwertung um volle 17 Prozent, die die Schweizer Exporte auf den europäischen Märkten schockartig verteuert, aber die Importe und Auslandsreisen kräftig verbilligt. Die Wirtschaft stöhnt, aber die Schweizer sind schlagartig reicher geworden. Durch die Verbilligung der Importe sinkt die Inflation noch einmal, sodass die reale Kaufkraft der Löhne und anderen Einkommen breit in der Bevölkerung zunimmt. Der Handel wirbt für Autos und andere Importgüter mit einem kräftigen Euro-Rabatt. Was im Inland nicht an Preissenkung weitergegeben werden kann, holen sich die Konsumenten teilweise im grenznahen Ausland. Das freut die Wirtschaft in Vorarlberg, die vom Einkaufstourismus profitiert. Laut jüngsten Berichten entgehen dabei dem Schweizer Handel in den Bereichen Lebensmittel, Bekleidung, Sport und Ähnliches mehr als acht Milliarden Euro.

Wer allerdings Kredite in Schweizer Franken ausstehend hat oder Schweizer Güter und Dienstleistungen braucht und nicht ersetzen kann, zahlt jetzt plötzlich sehr viel mehr. Dementsprechend leiden der Schweizer Tourismus und die Exportindustrie. Ihre Wettbewerbsfähigkeit ist beeinträchtigt, sie müssen an allen Hebeln drehen, um die Stellung zu halten. Besonders die im internationalen Wettbewerb stehenden Unternehmen senken häufig die Preise und müssen wenigstens vorübergehend fallende Gewinnmargen akzeptieren. Kostenintensive Teile der Wertschöpfungskette werden in das billigere Ausland verlagert. Die Unternehmen importieren mehr von den nun billigeren Vorleistungen aus dem Ausland, statt im Inland selbst zu produzieren, oder wandern ganz ab. Sie versuchen zu rationalisieren und Kosten zu senken – bis hin zu Nulllohnrunden, Personalabbau und Verlängerung der Arbeitszeiten. Und es beginnt der Wettlauf, mit noch mehr Innovation und Qualitätssteigerung die Marktposition zu verteidigen und die Wettbewerbsfähigkeit wiederzugewinnen. Das braucht aber Zeit. Wenigstens vorübergehend muss man sich daher gesamtwirtschaftlich auf eine Wachstumsverlangsamung einstellen und vor steigender Arbeitslosigkeit fürchten. Bisher sind die Folgen aber noch erstaunlich gering. Die Schweizer Wirtschaft ist eben eine der innovativsten und robustesten und kann die Aufwertung offensichtlich wegstecken. In der Zwischenzeit hat der Euro-Kurs wieder leicht angezogen und damit den Aufwertungsschock etwas entschärft.

Der Schweizer Franken hätte auch ohne Einfluss der Nationalbank stetig aufgewertet. Zum Beschluss über die Aufhebung des Mindestkurses gab es keine Alternative. Wenn die Schweiz mit nachhaltiger Innovation die Produktivität schneller steigert und die Inflation niedriger hält als das Ausland, dann steigen eben die Preise für Schweizer Güter weniger rasch als die Preise der ausländischen Konkurrenten. Das braucht einen Ausgleich, um die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz und ihrer Handelspartner im Gleichgewicht zu halten. Die Aufwertung ist notwendig, um die wachsenden Exportüberschüsse zu beseitigen, die Anhäufung von Auslandsvermögen auf einem vernünftigen Niveau zu stabilisieren und den erwirtschafteten Wohlstand im Inland zu verteilen. Permanente Handelsüberschüsse und das ständige Wachstum des Auslandsvermögens sind damit nicht vereinbar. Das wäre wie Sparen, ohne je zu konsumieren.

Beunruhigend ist einzig die schockartige Veränderung, die zu überschießenden Reaktionen führt und der Wirtschaft keine Zeit für Anpassungen lässt. Die überschießende Aufwertung ist die aufgestaute Folge des Mindestkurses – und auch eine Folge der Euro-Krise: Je unsicherer die Entwicklung und je riskanter die Vermögensanlagen in der Eurozone sind, desto mehr wollen die Anleger ihr Geld in den sicheren Hafen Schweiz bringen. Diese Kapitalflucht treibt die Nachfrage nach Franken und damit den Kurs auf ein übertrieben hohes Niveau. Wenn sich die Euro-Krise entschärft, dann lässt auch die überschießende Aufwertung des Frankens nach, wie die letzten Tage gezeigt haben.

Die Aufwertung bringt die Franken-Kredite in Österreich und Osteuropa in Schwierigkeiten. Sie hat die Illusion der Anleger und ihrer Finanzberater zerstört, die meinten, sich mit Franken-Krediten billiger verschulden zu können als in Euro, und beschert den Banken Probleme, die jetzt größere Ausfallsraten auf diese Kredite verschmerzen müssen. Aber die niedrigeren Zinsen sind Ausdruck der niedrigeren Inflation und der Produktivitätsgewinne in der Schweiz, die laufend Aufwertungen erfordern. Zählt man zu den niedrigeren Zinsen die Verteuerung der Kreditrückzahlung durch Aufwertung dazu, dann können Franken-Kredite nicht dauerhaft billiger als Euro-Kredite sein. Wenn man aber nur auf die niedrigen Zinsen schaut und vergisst, dass man bei einer Franken-Aufwertung plötzlich mehr in Euro zurückzahlen muss, dann hat man natürlich ein Problem.

Der Franken ist eben eine pickelharte Währung. Er wertet ständig auf, weil die Wirtschaft in der Schweiz innovativer ist und die Preise weniger rasch steigen als anderswo. Dagegen kann auch eine Politik des Mindestkurses nichts ausrichten. Die Aufwertung ist wie eine Produktivitätspeitsche für die Schweizer Wirtschaft, die jetzt mit allen möglichen Anstrengungen und noch mehr Innovation ihre Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen muss. Die nächste Aufwertung ist schon absehbar. Was kann den Schweizern Besseres passieren? Mit jeder Aufwertung steigern sie ihre Kaufkraft und werden reicher. Davon profitieren in Vorarlberg der grenznahe Handel und in ganz Österreich der Tourismus und die Exportwirtschaft. Wer aus der Schweiz importiert oder dort Urlaub macht, für den wird es teuer, umso mehr wird man auf das Preis-Leistungs-Verhältnis achten und Alternativen in Erwägung ziehen müssen. Und bei den Franken-Krediten vergisst man besser nicht das Aufwertungsrisiko – sie sind leider nicht billiger als andere Kredite.

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