Helmut Kramer †

(*1939 in Bregenz, † 2023 in Wien)  war von 1981 bis 2005 Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, ab 1990 Honorar­professor an der Universität Wien, 2005 bis 2007 Rektor der Donau-­Universität Krems.
Foto: Robert Newald

 

Die budgetäre Antwort auf die Covid-Krise

November 2020

Vielleicht wäre der saloppe Spruch ein wenig vorsichtiger zu fassen, etwa: „Koste es, was es kosten muss.“

Die budgetäre Antwort auf die Covid-Krise ist teuer, aber wir können sie uns leisten“, versicherte Finanzminister Blümel in der Budgetrede Anfang Oktober. Seine pflichtgemäße Zuversicht stützt sich auf eine einigermaßen zurückhaltende Budgetpolitik in den vorangehenden Jahren.
Die österreichischen Staatsfinanzen haben zwar, bevor die Pandemie auch unser Land erfasste, die strengen Budgetvorgaben, zu denen sich die Mitglieder der Europäischen Union verpflichtet haben, nicht ganz erreicht, doch signalisieren sie im Vergleich zur Mehrheit der EU-Partnern fast so etwas wie Seriosität und Tugendhaftigkeit. Das wird auch von den Finanzmärkten, auf denen der Staat die Schulden durch die Ausgabe von Staatsanleihen finanzieren muss, mit nur geringen Risikozuschlägen (spreads) im Vergleich zu deutschen Bundesanleihen („Bunds“) honoriert. Wirklich gravierende und überfällige Korrekturen an den problematischen Strukturen der Staatsfinanzen wurden dabei allerdings nicht angerührt. 
Als im vergangenen März die Dimensionen der Krise erkennbar wurden, gab es viel Zustimmung in der Bevölkerung und bei den meisten politischen Kräften, als die Regierung vollmundig erklärte, sie werde die Ausfälle der schwer getroffenen Wirtschaftszweige, den rapiden Anstieg der Arbeitslosigkeit und der in unmittelbare Not geratenen Menschen „koste es, was es wolle“ ausgleichen. Das ist eine Redensart, die normalerweise nicht zum Wortschatz von Regierungschefs oder gar von Finanzministern zählt. Sie könnte leicht in rutschiges Terrain führen. 
Nun legte der Finanzminister dem Parlament einen Budgetentwurf für das kommende Jahr vor. Der weist einen weiteren Anstieg der Staatsschulden auf 85 Prozent des BIP vor, mehr als der erwartete Abgang im laufenden Unglücksjahr. Auf die bange Frage, ob sich dieser Staat auch im nächsten Jahr noch ein so hohes Defizit wird leisten können, versicherte Herr Blümel, dass auch dieser Aufwand ohne böse Folgen in Grenzen finanzierbar sein werde. Das Budget sei ein Hinweis darauf, dass sich „die Nebelschwaden langsam lichten“. Seit der Präsentation des Budgets haben sich die Nebelschwaden aber bedenklich verdüstert. Die Zahl der Neuinfektionen ist in wenigen Tagen förmlich explodiert. Das Contact Tracing (Nachverfolgen von Ansteckungsnestern) stößt bereits an Grenzen, die Kapazität der Spitäler vor allem in den Intensivstationen, ist in sehr absehbarer Zeit erreicht. 
Die Regierung sieht sich Anfang November genötigt, dem Parlament einen neuen Lockdown vorzulegen, der zunächst einen Monat gelten soll. Niemand ist derzeit in der Lage, die Entwicklung der Pandemie darüber hinaus verlässlich abzusehen. 
Eine gewisse Zuversicht erlauben die Nachrichten über den fortgeschrittenen Stand der Arbeiten an Impfstoffen. Wann die allerdings breitenwirksam zur Verfügung stehen werden, ist sehr unsicher. Die Erwartungen für 2021 werden dadurch nicht nur im Winter-Fremdenverkehr, sondern auch schon in anderen Dienstleistungen und in manchen Sparten der Industrie gedämpft. Für das Jahresende und für 2021 werden die Wirtschaftsforscher die Prognosen deutlich herunterfahren müssen.
Aber selbst, wenn die Krise, wie es jetzt aussieht, die Welt länger gefangen hält, wäre es bedenklich, im Budgetvollzug 2021 von „koste es, was es wolle“ gänzlich zurückzuschrecken, etwa mit Hinweis auf eine durchaus denkbare Krise des globalen Finanzsystems, vor deren schattenhaften Umrissen sich die Nebel wahrlich nicht lichten. Forciertes Sparen in einer solchen Situation könnte erst recht eine anhaltende Wirtschaftskrise auslösen. Vielleicht wäre der ziemlich saloppe Spruch ein wenig vorsichtiger zu fassen, etwa in: „koste es, was es kosten muss“. Ein verfrühter Umstieg auf Schuldenabbau könnte Investitionen und Reformen blockieren, die die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft längerfristig sicherstellen könnten. Die Arbeitslosigkeit würde sich verfestigen, besonders bei jungen Menschen. Deren Entmutigung würde dem Land wertvolle frische Kräfte vorenthalten. Das darf nicht passieren. Das zu verhindern müsste sich die Regierung im Interesse der Zukunft des Landes leisten. 
Politische Planungen für die Zeit nach Corona sind im Haushaltsentwurf kaum erkennbar. Schließlich reagieren beachtliche Teile des Volkes, hat es einmal die Corona-Krise überstanden, auf Zwänge und Eingriffe, die vor allem die Klimakrise erfordert, doch eher zurückhaltend. Wo sich ein seit langem aufgestauter Bedarf gar nicht mehr aufschieben ließ, wurde der budgetäre Christbaum, abgesehen von der Dotierung der Corona-Hilfsprogramme, mit einigen eher bescheidenen Lichtlein geschmückt. Polizei und Justiz werden verstärkt, das Bundesheer bekommt Hubschrauber (noch keine Abfangjäger), Kunst und Kultur können die Festspielhäuser in Salzburg und Bregenz sanieren, Impfstoff kann beschafft werden, Schulen können digital besser ausgerüstet werden, Umwelteinrichtungen gefördert, Tarife im öffentlichen Verkehr sollen attraktiver werden, sogar eine minimale Aufstockung der blamabel mickrigen österreichischen Auslandshilfe geht sich noch aus. Also: da und dort einige zehn Millionen plus, gelegentlich gar ein paar hundert Millionen mehr als bisher. Wo mächtigere Interessen zu beruhigen sind (Land- und Forstwirtschaft, Pensionisten) lässt es sich der Staat auch etwas mehr kosten. Damit ist der politisch zwingende Finanzbedarf einigermaßen gedeckt. 
Die hektische Arbeit an den Corona-Notmaßnahmen hat allerdings Fortschritt bei der Behandlung der großen Reformkomplexe weitgehend verhindert: unzureichende Schritte in Grundsatzfragen der Klimapolitik und der künftigen Energiestruktur, technologische Strategien, soziale Rücksichten. Dazu, nicht mehr zu übersehen, der steigende Bedarf an Pflege einer alternden Bevölkerung, steigendes Lebensalter nicht nur mit Folgen für das Pensionssystem, sondern auch für Pflege- und Gesundheitssystem. Diese Großvorhaben finden im Haushalt 2021 keinen Niederschlag, weil sich das Corona-Virus plausibel zur Ablenkung eignet, weil sie großflächig zusammenhängen, und politische Unterstützung wohl über den Rahmen der Regierungskoalition und über das vollmundig klingende Regierungsprogramm hinaus gesucht werden müsste. 
Die Nach-Corona-Welt, an die der Autor trotz allem glauben möchte, wird sich nicht einfach aus den bisher erprobten Modellen für einen Wirtschaftsaufschwung ergeben. Dagegen sprechen die grundlegend veränderten Rahmenbedingungen im 21. Jahrhundert: Klimaproblem und die bedrohte Natur unserer Erde einerseits, der weltumspannende Horizont statt nationalstaatlicher Grenzen, gravierende weltpolitische Gewichtsverschiebungen und schließlich die unüberblickbaren Potentiale der neuen revolutionären Technologie. Diese Fragen werden das Jahrhundert prägen. Nichts weniger als eine tiefgreifend veränderte Landschaft wird sich aus diesen epochalen Vorgängen ergeben. 
Wer bietet Orientierung? Die Wissenschaft? Die Medizin? Die digitale Intelligenz? Deren Grenzen haben uns während der Epidemie oft irritiert. Aber ein Zurück gibt es nicht. Immerhin haben wir auch viel gelernt.

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.