Helmut Kramer †

(*1939 in Bregenz, † 2023 in Wien)  war von 1981 bis 2005 Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, ab 1990 Honorar­professor an der Universität Wien, 2005 bis 2007 Rektor der Donau-­Universität Krems.
Foto: Robert Newald

 

Die EZB lügt nicht

Februar 2023

Mit ein wenig Erfahrung kann sich jeder Interessent das Bild machen, dass der Job als Finanzminister nicht zu den ruhigsten Berufsaufgaben zählt. Nicht einmal zu den dankbarsten, denn der Finanzminister hat einen noch dazu individuell störenden Auftrag: Steuern einheben, um den Staat finanzieren zu können. Das gehört nicht zu seinen sympathischsten Obliegenheiten.
Dabei sind zahllose Regeln zu beachten: die Zölle, die Wechselkurse, das Verhältnis zu den Nachbarn, die Amtsblätter der EU, die Reaktionen der Kapitalmärkte, aber auch Spekulationen über den Wechselkurs und über Sanktionen gegen Traumyachten und Luxus-Appartements von Putin-Freunden. Schließlich auch die Stimmung in der Bevölkerung und ihre Einschätzung des noch nicht feststehenden Termins der nächsten Wahl. Und letztlich die internationale Konjunktur mit schwer einschätzbaren Akteuren, namens Trump oder Biden. Dazu noch die Einschätzung der Investoren auf den Kapitalmärkten und – nicht zuletzt – das Klima auf der Zürcher Bahnhofstrasse.
Zu all dem kommt eine neue und für die Zukunft entscheidende Staatsaufgabe hinzu: Die Verschlechterung des Erdklimas zu bremsen. Eine bedrohlich verfinsterte Konjunkturlandschaft sollte eigentlich einen Anlass geben, die Wirtschaft zu stimulieren. Aber damit steigen wieder die klimaschädlichen Treibhausgase! 
Die Chefs der am europäischen Währungssystem beteiligten Nationalbanken sind bei den Entscheidungen als ständige Mitglieder dabei. Die Grundlinien der österreichischen Währungspolitik werden nicht etwa von den Finanzministern persönlich vertreten, sondern von den Chefs (den Gouverneuren) der beteiligten Nationalbanken argumentiert. Dies gilt auch für den Gouverneur der österreichischen Nationalbank. Dass der Wirtschaftsteil der „Presse“ Frau Lagarde gleich mit „Lüge“ kommen muss, ist wenig glaubwürdig und unhöflich. Frau Lagarde hat auch die Interessen schwächerer Mitgliedes Euro-Geleitzuges zu beachten. Vielleicht ist es nicht weit hergeholt, dabei die unterschiedlichen Perspektiven der Kapitalmärkte, vor allem hoch verschuldeter Mitgliedsländer entsprechend einfließen zu lassen. Dies kann nur mit den Interessen DM-verwöhnter Sparer auf deutsche Sparguthaben erklärt werden, deren Interessen – nachweisbar in einer langen Reihe von Leitartikeln – die Zeitung als bürgerlich ausweisen sollten. Der Finanzminister sorgt dafür, dass die Beschlüsse des Rates der EZB mit den Vorhaben der europäischen Währungspolitik nach gründlicher Beschlussfassung widerspruchsfrei zusammenpassen. 
Magnus Brunner hat schon vorher wichtige Funktionen durchlaufen. Er hat sie wenig dazu genutzt, berühmt zu werden. Vielleicht kann das der deutsche Finanzminister besser: kein Wunder, der muss auch zehnmal mehr einnehmen. 
Magnus Brunner, geboren in Höchst, wohnhaft in Bregenz, Absolvent des Privatgymnasiums der Zisterzienser in der Mehrerau, gewann Unterstützung durch seine ruhige, besonnene Art, die ihm auch Spitzenpositionen sicherte. 
Nichts hätte Österreich in der historischen Phase des Umbruchs etablierter Machtgefüge und umstrittener Steuer- und Abgabenreformen dringender brauchen können. Dazu kommen aber gleichzeitig auch die Gefahren einer internationalen Rezession, einer drohenden Inflation und einer – na sagen wir halt – einer wackligen Regierung. Das drohte allerdings zusammen mit Rücksichten auf benachbarte oder befreundete Nationen in Europa oder jenseits des Atlantik. Jetzt sollte man annehmen können, dass die Theorie der Budgetpolitik ziemlich gut beweisbare Hinweise gibt: tut sie jedoch nicht, im Gegenteil; die einen sagen, Sparen des Staates ist immer gut, die anderen behaupten, Ausgaben des Staates sichern die Konjunktur vor allem in unsicheren Ländern, etwa in Portugal oder in Italien. Was für den Einzelnen gut und richtig sein kann, nämlich für schlechte Zeiten vorzubeugen, kann erst recht eine internationale Währungskrise hervorrufen, wie sie die Welt zuletzt 2008 erlebt hat.
Sparen ist nicht immer gut: Investoren und andere Geldanleger ziehen sich vielleicht zurück, um Wertverluste ihrer Ersparnisse zu entgehen. Eine Rezession kann folgen. In der Währungsunion, den über den Euro verbundenen Währungen, entscheidet darüber der Rat der Zentralbankgouverneure: auch die entbehren eines objektiven Maßstabs. Manche wissen vielleicht nur, dass die Bevölkerung „Sparen des Staates“ begrüßen würden, Geldausgeben jedoch für verfehlt halten. Das kann man auch auf Wahlplakate schreiben: nur leider stimmt‘s nicht immer. 
Präsidentin der EZB ist die Französin Christine Lagarde, die über viele Jahre Erfahrung verfügt. Sie hat am ehesten mit dem „deutschen“ Vorurteil zu hoher Schulden der EZB zu kämpfen: niedrige Zinsen lassen zwar die Sparguthaben ungeschoren, aber für die Unterstützung von Arbeitslosen und Bedürftigen fehlt dann das Geld. 
Die ruhige Art, seine Argumente im Parlament vorzubringen, hat Magnus Brunner in der österreichischen und der europäischen Landschaft enorme Pluspunkte gebracht: Weit über das Gewicht Österreichs hinaus, um schwierige Entscheidungen besser begründen zu können. 
Damit sei nicht gesagt, dass Europa dieses Mal von internationalen Bankrott-Bekenntnissen schwächerer EU-Mitglieder verschont bleibt. Doch sollten die Schreiber von ernst zu nehmenden Kommentaren davon Abstand nehmen, Frau Lagarde als „Lügnerin“ oder gar als leichtsinnig zu qualifizieren. Das wird jedenfalls nicht überzeugender, wenn man die Gefahr der Rezession in einzelnen Mitgliedsstaaten unterschätzt und dann in einen Staatsbankrott schlittert, wie Griechenland 2010 und sich kaum über eine mehrjährige Krise retten kann.

 

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