Bernhard Herz

Professor für Geld und Internationale Wirtschaft an der Universität Bayreuth.
bernhard.herz@uni-bayreuth.de

David Stadelmann

* 1982, aufgewachsen in Sibratsgfäll, ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth, Fellow bei CREMA – Center for Research in Economics, Managemant and the Arts; Fellow beim Centre for Behavioural Economics, Society and Technology (BEST); Fellow beim IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues; Fellow am Ostrom Workshop (Indiana University); Mitglied des Walter-Eucken-Instituts.

 

Mit Wettbewerb zur Preisstabilität

Juni 2022

Hohe Inflation ist in Europa angekommen. Sie dürfte uns länger erhalten bleiben. Viele politische Entscheidungsträger in Österreich verweisen auf den Krieg in der Ukraine als Erklärung für die Inflation. Erklärungen, die die Schuld im Ausland suchen sind zwar oft beliebt, doch greifen sie im Regelfall zu kurz und vernachlässigen hausgemachte Probleme. Bereits seit mehreren Monaten ist die Inflation deutlich über der Zielmarke der EZB von zwei Prozent.

Inflation ist ein monetäres Phänomen

Unter Inflation versteht man einen allgemeinen Anstieg des Preisniveaus. Ein hohes Preisniveau bedeutet, dass die vorhandene Geldmenge im Vergleich zur vorhandenen Gütermenge hoch ist. Geld ist dementsprechend wenig wert. Insofern ist Inflation immer ein monetäres Phänomen. Drei fundamentale Wege zur Stabilisierung der Inflation stehen in jedem Grundlagenlehrbuch der Makroökonomik.
Erstens könnte versucht werden, die Güterproduktion auszudehnen. Eine höhere Güterproduktion geht bei konstanter Geldmenge mit fallenden Preisen einher. Zweitens könnten die Staatsausgaben gesenkt werden. Egal ob es sich um kluge oder weniger kluge staatliche Konsumausgaben oder Investitionen handelt, verursachen sie jeweils eine Nachfrage nach derzeit knappen Gütern. Drittens könnte die vorhandene Geldmenge durch die Zentralbank gesenkt werden, was äquivalent zu einer Zinserhöhung wäre und einer restriktiven Geldpolitik entspräche. Mit weniger Geld im Umlauf fallen die Preise bei konstantem Güterangebot. 

Nur Geldpolitik realistisch

Eine Ausdehnung der Güterproduktion ist kurzfristig derzeit unrealistisch. Sie müsste breit und weltweit erfolgen. Die chinesische Null-COVID-Politik verursacht Brüche in internationalen Lieferketten, was viele Güter noch knapper macht. Die europäische Produktion muss von Corona und der eigenen Corona-Politik erst noch richtig genesen. Und tatsächlich verringern Krieg und damit verbundene Sanktionen ebenfalls das Angebot einiger Güter, was in manchen Bereichen zusätzlich preistreibend wirkt.
Düster sieht es auch bei staatlichen Ausgabenreduktionen aus. Sie fallen den politischen Entscheidungsträgern ohnehin immer schwer, denn es ist für sie angenehmer mit Steuergeldern oder Schulden etwas aus ihrer Sicht Wichtiges zu tun. Nulldefizite oder leichte Überschüsse waren in den Ländern der EU selbst in guten Jahren vor Corona eine nahezu eine heroische Leistung. In schlechteren Zeiten ist der Sparwille noch geringer ausgeprägt. 
Bleibt also nur eine restriktive Geldpolitik. Die EZB hätte gemäß ihrem Mandat für Preisstabilität im Euroraum zu sorgen. Damit sie das ohne große politische Einflussnahme tun kann, ist sie formal unabhängig. Unter Preisstabilität wurde in der Vergangenheit eine Inflationsrate von knapp unter zwei Prozent verstanden. Mittlerweile strebt die EZB ein Inflationsziel von rund zwei Prozent nur noch mittelfristig an. Das Wörtchen „mittelfristig“ stellt eine grundlegende Änderung der Interpretation des Mandats dar. Da die Inflation weit über zwei Prozent ist, scheint die EZB offenbar der Meinung, auf die aktuell hohe Inflation würde in näherer Zukunft ein spürbarer Rückgang folgen, womit sie mittelfristig ihr neu definiertes Mandat erfüllen würde. Tatsächlich ist es nicht völlig ausgeschlossen, dass die Inflation vielleicht im Jahr 2023 oder 2024 wieder unter zwei Prozent liegen könnte – es könnte aber auch völlig anders kommen. Umfragen bei privaten Haushalten und Unternehmen sowie viele Modelle deuten darauf hin, dass die Marktteilnehmer für die Zukunft deutlich höhere Inflationsraten erwarten als die von der EZB erhofften zwei Prozent. Damit werden die gefürchteten Zweitrunden-Effekte auf die Inflation über die Lohn-Preis-Spirale noch deutlich wahrscheinlicher.

Wettbewerb und Vergleichsmöglichkeiten

Ohne restriktivere Geldpolitik wird die Inflation hoch bleiben. Warum also dreht die EZB nicht an der Zinsschraube und nimmt Geld vom Markt, indem sie ihre enormen Volumina an Staatsanleihen reduziert? Die Federal Reserve in den USA beschreitet diesen Weg bereits. Manche behaupten, die EZB verfolge nicht mehr ihr Mandat zur Preisstabilität, sondern andere politische Ziele, etwa die Rettung der Staatsfinanzen von Italien und anderen Ländern. Wir hingegen erachten insbesondere den fehlenden Wettbewerb zwischen Zentralbanken als Erklärung für das Zögern der EZB bei der Bekämpfung der Inflation.
Derzeit dominieren mit der Fed und der EZB zwei große Zentralbanken die Geldpolitik der demokratischen Industriestaaten. Als Schilling, D-Mark, Franc, Lira, etc. neben Dollar, Pfund und Franken existierten, waren alle Zentralbanken einem deutlich stärkeren Wettbewerb um internationale Reputation und den Wert ihrer Währungen ausgesetzt. Die Österreichische Nationalbank achtete selbstverständlich nicht nur darauf, was in den USA passierte, sondern Vergleiche mit der Deutschen Bundesbank oder auch kleiner Zentralbanken wie der Schweizerischen Nationalbank waren der Standard. Kein Zentralbank-Gouverneur wollte Schlusslicht in Europa sein. Diese Art von Wettbewerb eröffnete Vergleichs- und Lernmöglichkeiten. 
Heute sind Vergleiche schwieriger, der Wettbewerb spielt eine weniger wichtige Rolle, und das Lernen ist eingeschränkt. Die Fed und die EZB achten zwar darauf, was der jeweils andere Zentralbankriese macht und sie reagieren aufeinander. Daher wird die kürzlich erfolgte Erhöhung der Leitzinsen in den USA auch bald in der Eurozone zu einer restriktiveren Politik führen. Doch der Wettbewerb zwischen zwei Riesen ist oft schwach. So werden die Zentralbanken in Skandinavien oder der Schweiz mit eigenen Währungen vom Riesen EZB als kleine Sonderfälle abgetan. Die erfolgreichen Zwerge achten zwar genauestens darauf, was die Riesen machen, aber die Riesen nehmen die Zwerge nicht besonders ernst. Selbst die Bank of England vertritt im Wettbewerb eine im Vergleich zur Eurozone und den USA kleine Volkswirtschaft. Als Vergleichsmaßstab und Anspruchsniveau dienen der EZB heute vor allem die eigenen makroökonomischen Prognosen. Diese wurden in den vergangenen Jahren immer weniger informativ. Sie beinhalten eher Punktprognosen und oft wenige Informationen über die zugrundeliegenden Unsicherheiten. 
Ohne Wettbewerbsdruck wird die EZB wohl nur sehr behäbig und langsam auf die Inflation reagieren, denn formale Unabhängigkeit und ein selbst interpretierbares Mandat allein reichen nicht, um die Inflation schnell zu bekämpfen. Doch Wettbewerb kann nicht einfach hergezaubert werden. Deshalb schlagen wir vor, systematische Vergleiche in Form eines Benchmarkings zwischen Ländern zu institutionalisieren. Solange die Inflation nicht unter zwei Prozent ist, sollte die EZB öffentlich und allgemeinverständlich Stellung beziehen, warum die Inflation in anderen europäischen Ländern ohne den Euro als Währung und in ausgewählten Ländern der Welt, wie zum Beispiel Japan oder Australien, niedriger ist. Um ihre Stellungnahme glaubwürdig zu machen, wird die EZB schnell auf eine restriktive Geldpolitik setzen und damit die Inflation etwas näher an zwei Prozent bringen.

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