Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Über Musterbrecher – und die Kunst, das Spiel zu drehen

Juli 2022

Nachhaltig denken und handeln war das Thema des Business Summits 2022 an der Fachhochschule Vorarlberg, einer der Redner dabei „Musterbrecher“ Stefan Kaduk. Musterbrecher? Im Jahr 2001 als Forschungsprojekt an der Universität der Bundeswehr München 2001 gegründet, blickt das deutsche Unternehmen seither hinter die Bühne vermeintlich professioneller Muster von Organisation und Führung. „Musterbrechen“, sagte Kaduk in Dornbirn, „heißt nicht aussteigen. Musterbrechen ist die Kunst, das Spiel zu drehen.“
So wie es – beispielsweise – Ulrike Reinhard gelungen ist, mit einem verblüffenden Projekt in einem indischen Dorf namens Janwaar. Die deutsche Internet-Pionierin hatte dort, um die patriarchalischen Strukturen aufzubrechen, mit dem Geld eines Finanziers im Jahr 2005 kein herkömmliches Projekt ins Leben gerufen, sondern einen Skater-Park gegründet. Zeitgleich hatte Reinhard zwei unumstößliche Regeln erlassen: Wer nicht in die Schule ging, durfte nicht skaten. Und: Frauen hatten stets Vorrang. Es habe zunächst geknirscht, berichtete Kaduk, schließlich aber sei das Projekt ein beeindruckender Erfolg geworden: Die Schulbesuche stiegen um 30 Prozent, die Mädchen wurden selbstbewusster, setzen sich durch, eines der Mädchen aus dem Dorf vertrat Indien bei den Skate World Champion­ships. Das Patriarchat bröckelte. Und warum? Weil Reinhards Idee laut Kaduk eine besondere war: Sie implantierte mit dem Skater-Park ganz bewusst eine global anerkannte Gegenkultur, sorgte damit für Irritationen und letztlich für ein Aufbrechen der Strukturen. 

Wirkliche Veränderung

Janwaar, sagte Kaduk, sei ein Sozialexperiment gewesen. Und für den Musterbrecher ist das Wort „Experiment“ entscheidend. Denn in der heutigen Welt der Ungewissheit sei die Zeit der Projekte vorbei: „Wollen wir substanzielle Veränderungen, liegt die Zukunft in Experimenten.“ Auf der Homepage der Musterbrecher heißt es, man sei nach über 1000 narrativen Interviews mit Führungskräften und Mitarbeitenden und über 100 Beratungsmandaten in fast allen Branchen und Organisationstypen mehr denn je von einem überzeugt: „Wirkliche Veränderung kann nur gelingen, wenn Menschen in Organisationen mit neuen Mustern experimentieren.“ Soll heißen: Mit dem Management alter Muster ist Veränderung offenbar nicht möglich. Denn Denken in nachhaltigen Kategorien lasse sich genauso wenig managen, wie sich Innovationen herbeimanagen ließen, erklärte der Deutsche, „wir aber wachsen im festen Glauben an diese alten Muster auf, wir wachsen im festen Glauben auf, alles ließe sich steuern, alles ließe sich kontrollieren.“ 

Mitspielen, ausbrechen

Der Abschied von alten Mustern aber falle auch deswegen schwer, weil sie eben immer noch Gültigkeit haben, sagte Kaduk; ein Unternehmen könne beispielsweise nicht auf Qualitätsmanagement verzichten, „dann ist das Spiel aus.“ Musterbrechen heißt also: „Mitspielen, wo es sein muss und gleichzeitig ausbrechen, indem man mitspielt.“ Seit Beginn an würden die Musterbrecher deswegen jene Menschen porträtieren, begleiten und beraten, „die mutig Dinge substanziell anders machen – und dabei oft auch im Verborgenen bleiben.“ Für diese Menschen, sagte der Unternehmer, habe er den allerhöchsten Respekt. Unternehmen, Organisationen, Menschen dieser Kategorie hätten eines getan: „Sie haben erkannt, dass es neben der klassischen Professionalität noch eine zweite Seite geben muss; eine zweite Seite, die man Arbeit am System nennen könnte.“ Eben das hatte Ulrike Reinhard in Janwaar gemacht, „sie hat sich überlegt, was sie diesem klassisch denkenden System entgegensetzen kann.“ 
Ein weiteres Beispiel ist laut Kaduk die Firma Allsafe in Engen, ein Unternehmen, das mit Fahrzeugbau und Luftfahrt eine umfangreiche Produktpalette anbietet. Dieses Unternehmen nahe des Bodensees habe seine Führungs- und Organisationsstrukturen geändert und letztlich ein nachhaltiges Geschäftsmodell entwickelt, nach den Cradle-to-Cradle-Prinzipien. Unter anderem setzt die Firma als einzige ihrer Branche ausschließlich auf „Made in Germany“, es gebe dort aber auch keine Abteilungen mehr, insgesamt „einen radikalen Verzicht auf Kontrolle“. Der dahinterstehende Finanzinvestor, der anfangs skeptisch war, darf sich heute über ein Unternehmen freuen, das seinen „Gewinn in den vergangenen 15 Jahren verzwanzigfacht hat“. Kaduk: „Aus einem andersdenkenden Unternehmen ist ein anderes Unternehmen entstanden, das die Zukunft tragen soll, diese Dinge beeindrucken mich.“ 

Ein Gegengewicht

Organisationen, auch das sagte der Referent, würden sich per se nicht verändern wollen; Organisationen seien eingerichtet worden, damit alles so bleibt, wie es ist: „Reproduzierbar, messbar, immer dasselbe Ergebnis, auf gar keinen Fall eine Überraschung.“ Wer das ändern wolle, müsse ein Gegengewicht bilden, dabei aber so klug sein, sich nicht aus dem Spiel zu nehmen und letztlich positive Ergebnisse erzielen; das Spiel also gewissermaßen im bestehenden System drehen.
„Musterbrecher“, erklärte Kaduk abschließend, „sind starke Experimentatoren. Und Nachhaltigkeit hat immer auch damit zu tun, dass substanzielle Wirksamkeit über einen längeren Zeitraum erzielt wird.“ Dem Publikum empfahl der Musterbrecher abschließend: „Experimentieren Sie, stellen sie die Dinge auf den Prüfstand! Wenn jemand sagt, das funktioniert nicht: Mach es trotzdem. Und wenn du glaubst, du bist zu klein, um etwas zu ändern, dann hast du noch nie eine Nacht mit einem Moskito im selben Raum verbracht.“

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