Vom Guten und Schlechten
Natürlich ist Österreich in einigen zentralen Bereichen reformbedürftig, keine Frage. Aber genauso funktioniert in unserem Land Vieles auch hervorragend. Das eine kann ohne das andere nicht gesehen, nicht bewertet werden. Differenzierung ist notwendig. Doch die öffentliche Debatte widmet sich fast ausschließlich dem Negativen. Bestimmte Politiker und bestimmte Medien vermitteln bewusst den Eindruck, in Österreich läge alles im Argen. Das ist nicht nur falsch, nicht nur Ausdruck nicht vorhandenen Selbstbewusstseins, nein, es richtet auch Schaden an. Denn Wirtschaft und Gesellschaft sind in starkem Maße von Psychologie beeinflusst. Ergo müssten sich Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik wesentlich stärker darum bemühen, Positives anzusprechen, anstatt sich im ausschließlichen Verbreiten von Negativem zu ergehen. Differenzieren hieße, Schlechtes zu kritisieren, aber eben auch Gutes herauszustreichen.
Als ein Beispiel mag da das IMD-Ranking dienen, ein Ranking, in dessen Rahmen das Lausanner „International Institute for Management Development“ Wettbewerbsfähigkeit und Standortattraktivität von insgesamt 61 Ländern misst. Laut diesem Ranking liegt Österreich zwar in der Wirtschaftsgesetzgebung, in den öffentlichen Finanzen und in der Fiskalpolitik schlecht, in anderen, zentralen Bereichen rangiert Österreich aber im internationalen Spitzenfeld. Duales Ausbildungssystem? Platz 3! Unternehmenseffizienz von KMU? Platz 6! Diversifikation der Wirtschaft? Platz 7! Nun war in Medien zwar von diesem IMD-Ranking berichtet worden; in den Mittelpunkt waren dabei aber nur die schlechten Bereiche gestellt worden.
Um unserem Land gerecht zu werden, müsste man fragen, warum Österreich in einigen Bereichen unter den besten, in anderen Bereichen aber bei den Schlechtesten rangiert – und selbst da muss weiter differenziert werden. Vorarlberg hat beispielsweise mit 52,5 Prozent die höchste Lehrlingsquote aller Bundesländer, die Innovationsquote ist österreichweit die höchste, die Exportquote pro Kopf gerechnet ebenso. Immense Unterschiede gibt es auch bei dem vom Lausanner Institut gerügten Sektor der öffentlichen Finanzen. Der Bund ist säumig, Reformbedarf ist unstrittig. Kärnten ist knapp an der Insolvenz vorbeigeschrammt, andere Bundesländer haben mit hohen Budgetdefiziten und steigenden Schuldenständen zu kämpfen. Der Vorarlberger Landesregierung aber gelingt es mit eiserner Disziplin, seit Jahrzehnten ausgeglichene Haushalte aufzustellen, von denen nur in Ausnahmefällen, etwa im Hochwasserjahr 2005, abgegangen wird. Damit soll nicht das Lied von den „Besten im Westen“ gesungen werden, es soll nur zeigen, wie notwendig Differenzierung ist – und welch falsches Bild es erwecken kann, wenn man eben nicht differenziert, sondern pauschal argumentiert, urteilt, verurteilt. Also, Entscheidungsträger, Politiker, Medienvertreter: differenziert! Berücksichtigt, dass Wirtschaft Psychologie ist! Denn Exzellenz erreichen wir gewiss nicht, indem wir dauernd übers Mittelmaß reden.
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