Christian Feurstein

Wirtschaftsarchiv Vorarlberg

Von der 84– zur 40–Stunden–Woche

November 2016

Die Forderung von Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner nach einer Ausweitung der gesetzlichen täglichen Höchstarbeitszeit auf zwölf Stunden sorgt derzeit für Diskussionsstoff. Anlass für einen Rückblick auf den ewigen Interessenkampf um die Arbeitszeit.

Als im frühen 19. Jahrhundert in Vorarlberg die Industrialisierung einsetzte, war eine gesetzliche Arbeitszeitregelung noch kein Thema. In den heimischen Fabriken, hauptsächlich Textilbetriebe, waren 13- bis 14-stündige Arbeitstage üblich. Auch an Samstagen wurde produziert. Darüber hinaus waren die Arbeitsbedingungen damals ungleich härter und gesundheitsbelastender als heute.

Einen Vorstoß in Richtung Arbeitszeitregelung machte ausgerechnet der Feldkircher Textilfabrikant und langjährige Handelskammer-Präsident Carl Ganahl. In seiner Funktion als liberaler Abgeordneter stellte er 1868 im Vorarlberger Landtag den Antrag, bei der Regierung in Wien ein entsprechendes Reichsgesetz zu fordern. Konkret sprach Ganahl von einer generellen Begrenzung der täglichen Arbeitszeit auf zwölf Stunden, samstags eine Stunde weniger. Die Opposition kritisierte, dass dadurch die bestehenden strengeren Schutzbestimmungen für Kinderarbeit unterwandert würden. Ihr Zusatzantrag, die Zwölfstundengrenze ausdrücklich für Erwachsene anzuwenden, fand jedoch keine Mehrheit. Überhaupt stieß die Vor­arlberger Initiative in Wien auf wenig Resonanz und die Höchstarbeitszeit für Erwachsene blieb weiterhin ungeregelt.

Erst 1885 wurden im Zuge einer Novelle zur Gewerbeordnung der Maximalarbeitstag von elf Stunden sowie die 24-stündige Sonntagsruhe festgelegt. Heimische Industrielle protestierten und sahen ihre internationale Konkurrenzfähigkeit gefährdet. Die Unternehmer konnten eine dreijährige Übergangsfrist durchsetzen. In Familienbetrieben wie etwa den zahlreichen Vorarlberger Stickereien war die Arbeitszeit ohnehin kaum überprüfbar.
Auch die Einführung des zehnstündigen Arbeitstags ging nicht reibungslos vonstatten. In den Jahren 1906 und 1907 kam es in mehreren Vorarlberger Textilfabriken zu kurzzeitigen Streiks, so bei F. M. Hämmerle in Dornbirn und Feldkirch, Carl Ganahl & Co. in Feldkirch und Frastanz, Getzner & Comp. in Feldkirch, Samuel Jenny in Hard sowie Rosenthal in Rankweil. Resultat war eine allgemeine Reduzierung der Arbeitszeit auf zehn Stunden bei Lohnausgleich. Nach dem Ersten Weltkrieg erfolgte mit der gesetzlichen Verankerung des achtstündigen Arbeitstags – damals noch an sechs Wochentagen – die nächste große Verkürzung. Die Regelung sah jedoch etliche Ausnahmen vor und wurde in der Praxis nur bedingt eingehalten. Während des Nationalsozialismus kehrte man zum Neunstundentag, nach Beginn des Zweiten Weltkriegs zum Zehnstundentag zurück. In manchen kriegswichtigen Bereichen war die Festlegung der Arbeitszeit sogar freigestellt.

Nach Kriegsende hielt wieder die 48-Stunden-Woche Einzug, ehe die Wochenarbeitszeit im Jahr 1959 per Generalkollektivvertrag auf 45 Stunden begrenzt wurde. 1969 initiierte die SPÖ ein Volksbegehren zur Einführung der 40-Stunden-Woche. Noch im selben Jahr wurde die schrittweise Senkung der Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden bis Jahresbeginn 1975 bei vollem Lohnausgleich generalkollektivvertraglich vereinbart und gesetzlich abgesichert. Gewerkschaftliche Forderungen nach einer 35-Stunden-Woche erwiesen sich als nicht durchsetzbar. Allerdings wurden in einzelnen Branchen Arbeitszeiten von unter 40 Wochenstunden bei gleichzeitiger größerer Flexibilisierung vereinbart.

Flexibilisierung war auch das Schlagwort entsprechender Gesetzesnovellen in den 1990er-Jahren. Kritiker sprachen vom Fall des Achtstundentags. Nach wie vor gilt in Österreich aber grundsätzlich eine tägliche Normalarbeitszeit von acht Stunden und eine wöchentliche Normal­arbeitszeit von 40 Stunden, wenngleich inzwischen Möglichkeiten flexibler Gestaltung wie etwa Gleitzeit oder Schichtarbeit bestehen.
Die Flexibilität weiter ausbauen möchte Reinhold Mitterlehner mit seinem jüngsten Vorstoß, die zulässige  Höchstarbeitszeit pro Tag – nicht die Normalarbeitszeit – auf zwölf Stunden auszuweiten. Hauptargument ist wie schon vor über 100 Jahren die Wettbewerbsfähigkeit des heimischen Wirtschaftsstandorts. Aber auch für das soziale Leben kann eine größere Flexibilisierung vorteilhaft sein – vorausgesetzt, dieser Aspekt findet bei der Gestaltung der Arbeitszeit ebenso Berücksichtigung wie betriebliche Erfordernisse. Ausgezeichnete arbeitnehmerfreundliche Unternehmen in der Region geben berechtigte Hoffnung, Forderungen wie jene nach einem Zwölfstundentag am Bau in Spitzenzeiten bei Ausgleich im Winter hingegen weniger.

Der Blick in die Vergangenheit macht jedenfalls deutlich, dass die Regelung der Arbeitszeiten stets ein Aufeinanderprallen verschiedener Interessen war. Und daran wird sich wohl auch in Zukunft nichts ändern.

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