Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Sabine Barbisch

Von der Kraft der Innovation

Dezember 2020

Wie Vorarlberger Unternehmen auf Innovation setzen und damit der gegenwärtigen Krise trotzen.
Und warum sich Beharrlichkeit lohnt.

Wie entstehen Produkte und Dienstleistungen, die an Märkten eine reale Chance haben und mehr sind als alte Ideen in neuer Verpackung? Mit dieser Frage beginnt ein interessantes Dossier des Zukunftsinstituts zum Thema Innovation. Doch das dort Geschriebene lässt sich auch an Vorarlberger Unternehmen illustrieren, in unserem Fall an drei Beispielen von Unternehmen, die mit ihrer Innovationskraft auch der gegenwärtigen Krise trotzen.
Die Heron-Gruppe, ein von Christian Beer im Dezember 1987 gegründetes Industrie- und Technologieunternehmen mit Sitz in Dornbirn, ist weltweit erfolgreich tätig – unter anderem mit dem von der Unternehmensgruppe entwickelten, autonom agierenden Transportroboter „Servus“, der bei Google und vielen anderen Konzernen im Einsatz ist. Das jüngste Beispiel für die Innovationskraft der Gruppe ist der Abstandswarner und das Contact Tracing System „Safedi“, das – basierend auf einer weiterentwickelten Bluetooth-Technologie – den Abstand zwischen Personen im Nahbereich schnell und berührungslos misst und damit einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen die Pandemie leistet. Der Abstandswarner wurde binnen kürzester Zeit erdacht, entwickelt und zur Marktreife gebracht. 

Die einzige Chance

Heron punktet also mit Innovation. Auf der Unternehmens-Homepage steht das Credo von Christian Beer geschrieben: „Innovation ist das Einzige, das eine Gesellschaft reicher macht. Alles andere ist reine Umverteilung.“ Der Inhaber und Geschäftsführer der Gruppe sagt im Gespräch, dass Vorarlberger Unternehmer gar keine andere Wahl hätten; sie müssten innovativ sein, um sich auf den Weltmärkten behaupten zu können. Mehr noch: Angesichts der Tatsache, dass internationale Mitbewerber bessere Voraussetzungen in Bezug auf Kosten, Auflagen und Rahmenbedingungen hätten, sei Innovation für Vorarlberg „die einzige Chance, dass wir überhaupt eine Chance haben auf der Welt.“ 
Ist Vorarlberg eine innovative Region? „Auf jeden Fall“, sagt Jakob Eder, Autor der 2019 erschienen Studie „Innovation ohne Agglomeration“. Dem Wiener Innovationsforscher zufolge sieht man an mehreren Kennzahlen, dass Österreichs westlichstes Bundesland in Sachen Innovation im Vergleich mit anderen Regionen „überdurchschnittlich gut“ abschneide. Es gebe zwar nicht in jedem Tal den innovativen Weltmarktführer, wenn man aber das Land in seiner Gesamtheit betrachte, berichtet Eder, „gibt es sehr namhafte Unternehmen, die die gesamte Region mitziehen“. Vorarlberg sei da, neben dem oberösterreichischen und dem Grazer Zentralraum eine der innovativsten Regionen in Österreich, insbesondere im produzierenden Sektor.
Heron ist ja nur ein Beispiel für die Innovationskraft eines Vorarlberger Unternehmens, es lassen sich viele andere finden: In der „Air Force One“, dem Flugzeug des US-Präsidenten, finden sich Beschläge von Blum. Zumtobel beleuchtet Spielstätten von Borussia Dortmund und die Allianz-Arena der Münchner Bayern. Hinter jedem gängigen Automodell, von Mercedes bis BMW, stecken Vorarlberger Zulieferer. Alpla stellt Kunststoffflaschen unter anderem für Coca-Cola her, jedes zweite Windrad weltweit funktioniert mit Automatisierungstechnik von Bachmann electronic. Getzner Werkstoffe, Spezialist für Schwingungsisolierung und Erschütterungsschutz, realisierte spezielle Lösungen für die U-Bahn in New York. Die Liste lässt sich fortsetzen.
Ein Gradmesser für Innovation ist auch die Anzahl angemeldeter Schutzrechte. Und ein Vorarlberger Unternehmen, das in dieser Hinsicht äußerst produktiv ist, ist die Firma Inventus mit Sitz in St. Anton im Montafon. 2003 von Stefan Battlogg in der Garage eines Einfamilienhauses gegründet, hat das „Mechatronik-Unternehmen, das sehr tief in der Technologie verankert“ ist, weltweit mittlerweile mehr als 300 Schutzrechtanmeldungen registrieren lassen. „Wir sind ein sehr innovatives Unternehmen“, sagt der Firmenchef im Gespräch, „das bestätigen uns auch unsere Kunden immer wieder“. 

 

„Innovation ist das Einzige, das eine Gesellschaft reicher macht. Alles andere ist reine Umverteilung.“

Christian Beer

 

Eine beeindruckende Liste

Um zu verstehen, was Inventus mit seinen 18 Mitarbeitern macht, ist ein kurzer technischer – allerdings stark vereinfachender – Einschub angebracht: Die Basis aller Entwicklungen des Unternehmens ist eine ganz spezielle Flüssigkeit, die sogenannte Magnetorheologische Flüssigkeit. Diese Flüssigkeit, kurz MRF genannt, ist ein Stoffgemisch aus einer Trägerflüssigkeit und magnetisierbaren Eisenpartikeln, welche die Viskosität ändert, wenn sie mit einem Magnetfeld in Kontakt kommt. Daraus entwickelt Inventus Dämpfer. Und eben diese Dämpfer sind in den verschiedensten Branchen weltweit gefragt. So zählen sämtliche deutsche Premium-Autohersteller zu den Kunden des Vorarlberger Unternehmens. Auch die größten Hersteller von Küchengeräten, Computern, Smartphones, Gaming-Equipment und die Gesundheits- und Militärindustrie, stehen im Kundenportfolio der Technologie- und Innovationsschmiede.

Die Sache mit den Fachkräften

Auch wenn Vorarlberg so manches Kriterium einer Peripherie nicht erfüllt, etwa im für die Wirtschaft maßgebenden Rheintal, so teile Vorarlberg doch auch so manche, spezifische Probleme kleinerer Einheiten, berichtet wiederum Innovationsforscher Eder: „Sind ländliche Regionen innovativ, benötigen sie viele Fachkräfte – und überfordern den lokalen Arbeitsmarkt damit schneller als das in Metropolen oder Metropolregionen der Fall ist.“ Vorarlberg, sagt Eder, hat in einigen Bereichen vielleicht schon das Problem, „für die eigene Bevölkerungsentwicklung wirtschaftlich fast zu stark zu sein“.
In der Tat: Fachkräfte werden im Land dringend gesucht, im Dis.kurs Zukunft wurde beispielsweise die Vision formuliert, zehntausend IT-Fachkräfte ins Land bringen zu wollen. Doch auch wenn laut Eder nahezu alle Unternehmen angeben, dass die Suche nach geeigneten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Standort schwierig sei, so würden die meisten einen anderen großen Vorteil in der Region nennen: „Die hohe Loyalität der Belegschaft.“ Ein Standort in einer ländlichen Region könne zudem den Vorteil bieten, Wissensabflüsse zu anderen Unternehmen in Form von Abwerbungen in Grenzen zu halten.“
Zurück zu Heron. Christian Beer sucht mit seiner Gruppe die stete Innovation, die stete Verbesserung. Wer keinen Druck mehr verspüre, Produkte und Prozesse ständig besser machen zu wollen, der habe bereits aufgegeben. Und da muss es nicht wundern, dass die Corona-Krise für den Unternehmer auch „beste Gelegenheit“ ist, Bestehendes zu hinterfragen und Neues zu suchen. In seinem Betrieb, berichtet Beer, sei jetzt alles in Bewegung. Die Zeit werde genutzt, um Werkzeuge zu schärfen, Produkte zu hinterfragen, Prozesse zu hinterfragen: „Wir pushen jetzt die Veränderung.“ Denn in der Krise, auch davon ist der Unternehmens-Gründer überzeugt, „ist es extrem wichtig, innovativ zu sein. Wobei ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess sowieso immer vonnöten ist.“ 

„Wir sind Unternehmer“

Und so ist eben auch der zuvor erwähnte „Safedi“ entstanden, im steten Bemühen um Innovation, und zurückzuführen im Wesentlichen auf die „Ablehnung des Gedankens, dass wir uns einfach dem Schicksal ergeben.“ Beer sagt: „Wir sind ja Unternehmer, keine Unterlasser.“ Und dass der Abstandswarner erfolgreich ist, auch das ist im Verständnis des Unternehmers entscheidend: „Eine Innovation bedeutet, dass der Markt das Produkt annimmt und das Unternehmen damit Gewinn machen kann, um die nächste Innovation finanzieren zu können. Sonst ist es keine Innovation, nur eine Idee.“ 
Apropos. Wie innovativ und begehrt die Erfindungen von Vorarlbergern geworden sind, das belegt folgende Anekdote: Inventus hatte Anfang 2020 an der Consumer Electronic-Messe in Las Vegas teilgenommen und mit wachsender Begeisterung registriert, wie sich „die größten und innovativsten Unternehmen aus der Computer- und Smartphone-Industrie“, unter anderem Dell, aber auch Whirlpool – ein führender Hersteller von Haushaltsgroßgeräten, für den kleinen Stand der Vorarlberger interessiert hatten. Es sei „cool“, was Inventus mache, hätten die US-amerikanischen Fachleute gesagt. Es wurden Kontakte geknüpft, mit nachfolgenden Projekten.

Ab ins Silicon Valley

Auch Leute von Apple kamen am Stand vorbei, einmal, zweimal. Um beim abschließenden Besuch die Vorarlberger zu bitten, doch direkt nach der Messe im Hauptquartier des Technologie-Giganten, in Cupertino im Silicon Valley vorbeizukommen – und sich der Entwicklungsmannschaft zu präsentieren. „Also haben wir die Flüge umgebucht, sind im Apple-Headquarter erschienen – und haben unsere Technologien vorgestellt“, berichtet Battlogg. Was danach kam? „Das ist geheim.“ Was also in St. Anton im Montafon erdacht und entwickelt worden ist, begeistert den Technologie-Giganten im Silicon Valley, besser lässt sich die Innovationskraft der Vorarlberger wohl nicht beschreiben.

 

„Wir haben nicht aufgehört, wir haben nicht aufgegeben, wir haben immer weiterentwickelt.“

Stefan Battlogg

 

Die Sache mit der Kultur

Wie erklärt sich Christian Beer eigentlich die Tatsache, dass es – über Heron hinaus – derart viele innovationskräftige Vorarlberger Unternehmen gibt? Ein Grund sei sicher die Tatsache, dass es in der Region samt benachbartem Ausland derart viele unterschiedliche Kulturen gebe: „Innerhalb von nur 500 Kilometern denken wir unterschiedlich, verhalten uns unterschiedlich, haben unterschiedliche Kulturen und unterschiedliche Lebensweisen, das wirkt befruchtend.“ Und ein weiterer Grund für die hohe Investitionskraft sieht Beer in dem Umstand, dass Vorarlberg keinen Industrie-Cluster hat: „Wir haben in unserem kleinen Land eine ganz vielseitige Industrie, in der die eine Branche von den Impulsen aus anderen Branchen profitiert. Man kennt sich, man tauscht sich aus, man ist sich nicht gegenseitig Konkurrenz, wie das in einem Cluster eben der Fall ist.“
Man sucht den Austausch. Diese Aussage lässt sich durch die Kooperation des Koblacher Schutzbekleidungsherstellers Pfanner mit dem Automobilzulieferer Carcoustics Austria aus Klaus illustrieren. Anton Pfanner, Geschäftsinhaber von Pfanner Schutzbekleidung, wirft einen Blick zurück an den Jahresanfang: „Im März war klar, dass in Zukunft auch Schutzbekleidung in Form eines Gesichtsschutzes gefragt sein würde. Wir haben zusammen mit der Produktion und Montage eines aus PET-Folie hergestellten transparenten und stufenlos herunterklappbaren Schutzvisiers begonnen.“ 

Innerhalb von drei Wochen

Innerhalb von wenigen Tagen ist so das „NanoShield® 4x4“ entstanden. Als Vorbild diente den Entwicklern das Gesichtsvisier der Protos-Helme von Pfanner: Das Schutzvisier wird mittels Druckknöpfen auf Schildkappen und ähnlichen Kopfbedeckungen montiert. Für die Produktion wurde in den Produktionshallen von Carcoustics in Klaus eine eigene Fertigungsstraße errichtet, rund 50 Mitarbeiter arbeiteten dort im Dreischicht-Betrieb an der Herstellung und Montage des gebogenen Visiers. Durch die gute und lange Zusammenarbeit, die Pfanner und Carcoustics schon zuvor verband, „hat die Aufgleisung des ,NanoShield® 4x4‘ sehr rasch und unkompliziert geklappt“, resümiert Pfanner: „Von der ersten Idee bis zum Produktionsbeginn sind schlussendlich nur drei Wochen vergangen.“ Das „NanoShield® 4x4“ ist aktuell bei sämtlichen Rettungsorganisationen zum zusätzlichen Schutz der Augenschleimhäute sehr gefragt.
Neben dieser Produktionsschiene wurde im Frühjahr 2020 auch die Schneiderei von Pfanner innerhalb von Stunden komplett umgestellt: „Wir haben ausschließlich Mund-Nasen-Schutz-Masken aus lagernden Stoffen genäht. Bis heute sind diese auf dem Markt erhältlich – und zwar bis in die USA und Neuseeland. Durch die schnelle Reaktion auf die neue Situation und den unermüdlichen Einsatz der Beteiligten konnte auch der Mitarbeiterstand von 52 auf 64 Beschäftigte erhöht werden – auch das eine gute Nachricht in dieser herausfordernden Zeit.

Beharrlichkeit!

Wie aber entsteht Innovation? Wie entsteht Derartiges? Er als gelernter Maschinenbauer habe sich im Erfinden und im Verbessern immer schon relativ leicht getan, sagt Battlogg: „Wir haben diese Basistechnologie MRF nicht erfunden, aber wir haben ihre Anwendungsmöglichkeiten immer weiterentwickelt.“ Gemeinsam „in einem interdisziplinären, tollen Team wird über den Tellerrand hinaus gedacht“. Man geht Entwicklungen oft auch auf unkonventionelle Art und Weise an. Es brauche einen offenen Geist, eine bestimmte Kultur und auch ein Gefühl für den Markt, was gefragt sein könne, damit Innovation gedeihen könne, erklärt der Unternehmer: „Und es braucht Beharrlichkeit.“ Mit diesem einen Wort sei gut beschrieben, was Inventus auszeichne: „Unsere Mitbewerber haben beim Entwickeln aufgegeben. Wir haben aber nicht aufgehört, wir haben nicht aufgegeben, wir haben neue Lösungen gesucht und konsequent weiterentwickelt.“
Dass dabei auch Fehler passieren, liege in der Natur der Sache. Ausprobieren, scheitern, umdenken, neu beginnen, all das sei wichtig auf der Suche nach der besten Lösung, „Scheitern gehört dazu, um Lernen zu können und Grenzen zu erkennen.“ Ein Kunde habe ihm da einst das Kompliment gemacht: „Dort, wo andere aufgeben, da legt ihr erst richtig los. Ihr sucht immer neue Lösungen und geht konsequent weiter.“ 
Könnte ein Credo dieser innovativen Unternehmen also „nach der Krise ist vor der Krise“ lauten? Aktuell ist Anton Pfanner schon wieder mit der Entwicklung einer neuen Innovation „gut beschäftigt“: Die Firma AR Real Sim ist mit der Microsoft HoloLens auf das Koblacher Unternehmen zugekommen – weil sie auf der Suche nach einem tragfähigen Helm waren. Pfanners „Protos Integral“, ein weltweit sehr beliebter Sicherheitshelm“ war bisher vor allem in den Bereichen Forst, Industrie, und Outdoor verwendet worden. Doch jetzt soll das Produkt eine neue Funktion bekommen: „Die Microsoft HoloLens ist ein Mixed-Reality-Gerät und gilt als Vorzeigegerät im Bereich Intelligent Edge. Protos bietet nun als einziger Helm die Möglichkeit, HoloLens direkt zu montieren und das System etwa bei Feuerwehr- oder Polizeiübungen zu nutzen: Dabei werden die Teilnehmer mit holografischen Gefahren konfrontiert und können mithilfe des Systems für ihre Einsätze trainieren.“
Das gilt auch in der aktuellen Krise. Inventus hat aktuell mehr Aufträge als jemals zuvor in der Unternehmensgeschichte. Auch weil man die Zeit der Pandemie nutzt, um weitere Innovationen zu kreieren und Produkte in Serie zu bringen. Denn von einem ist Battlogg überzeugt: „Wir wissen, dass diejenigen Unternehmen gestärkt aus der Krise hervorgehen werden, die ihren Kunden Innovation bieten können.“ Im Fall von Inventus heißt das: „Wir nutzen die Zeit, um unseren Vorsprung weiter auszubauen.“
Der österreichische Publizist Wolf Lotter, Mitbegründer des Wirtschaftsmagazins „Brand eins“ hatte in diesem Zusammenhang einmal geschrieben: „Innovation ist der berechtigte Anlass für die Hoffnung, dass es besser wird. Der Beweis, dass die Zukunft existiert. Dass es einen Fortschritt gibt, eine Perspektive.“ Und das ist doch ein guter Satz – in der gegenwärtigen Krise.

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