Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Von guten Ideen – und dem Tal des Todes

Juli 2024

Ein erfolgreicher Unternehmer und eine Hochschul­lehrerin für Entrepreneurship erklären, wie gute, unternehmerische Ideen entstehen. Doch der Übergang von der Forschung in die industrielle Umsetzung ist in aller Regel steinig. Was es braucht? Neugier, Geduld und Durchsetzungsvermögen.

Wie entstehen eigentlich Ideen, die zum unternehmerischen Erfolg werden? In aller Regel, sagt die Hochschullehrerin für Entrepreneurship, Magdalena Meusburger, sind gute Überlegungen das Ergebnis scharfer Beobachtung. Gute Ideen beginnen demnach, indem Menschen ein Problem identifizieren, mit dem entweder sie selbst oder andere Menschen konfrontiert sind. „Eine gute Idee“, sagt Meusburger, „ist immer auch eine Lösung für ein relevantes Problem.“ 
Erst Ende Juni hat sich die Bundesregierung auf eine Aufhebung des seit 2011 in Österreich geltenden CO2-Speicherverbots geeinigt. Ein neuer Leitfaden zum Umgang mit unvermeidbarem CO2-Ausstoß, die sogenannte „Carbon Management Strategie“, soll den Weg zu einem entsprechenden Gesetz ebnen. Finanzminister Magnus Brun<ner hatte im vergangenen Herbst die entsprechende Initiative gestartet, und dabei unter anderem gesagt: „Das Vermeiden und Einsparen von CO2 steht im Vordergrund. Aber wir müssen alle Technologien im Auge behalten. Daher bin ich dafür, das Gesetz zum Verbot der geologischen Speicherung von Kohlenstoffdioxid aufzuheben. Nur so können wir unsere ambitionierten Klimaziele erreichen.“ Was diverse Umweltschutzorganisationen ärgert, und wogegen das grün geführte Klimaministerium lange, aber letztlich vergebens protestiert hatte, weil man den absoluten CO2-Verzicht predigt, ist für den Lustenauer Günter Grabher, den CEO der Grabher Group, eine äußerst erfreuliche Nachricht. 
Denn um CO2 im Boden speichern zu können, braucht es auch ein System, das CO2 aus der Luft filtern kann. Und der von seiner Unternehmensgruppe entwickelte C-Hoover – ein Kohlendioxid-Sauger, der auf einer weltweit einzigartigen Methode beruht, um CO2 aus der Luft herauszufiltern – ist einsatzbereit. „Ab sofort ist möglich, was lange verboten war“, sagt Grabher, „ab jetzt stehen uns die Türen offen.“ Grabher hatte die entsprechende Firma C-Hoover bereits im Vorjahr gemeinsam mit Partnern aus dem Silicon Valley gegründet; also nicht nur Innovationskraft, sondern auch das richtige Gespür bewiesen. Von Wolf Lotter, dem Publizisten und Innovationsforscher, stammt der Satz: „Innovation ist das Kind einer Kultur der Neugier, verbunden mit Geduld und Durchsetzungsvermögen.“

Eine Kultur der Neugier
Günter Grabher hatte sich bereits mit 25 Jahren selbstständig gemacht. Damals sei der Rückgang der Vorarlberger Textilindustrie bereits deutlich zu sehen gewesen. Die Strukturen waren überdimensioniert, sagt der heute 54-Jährige. Doch er habe darin eine Chance gesehen – „die Chance, gerade mit einem kleinen Unternehmen die Textilindustrie bis zu einem gewissen Grad für die Zukunft verändern zu können.“ Die Entwicklung gab Grabher recht. Die Grabher-Group und andere erfolgreiche Unternehmen reüssieren, Experten sagen, dass Vorarlberg heute im Bereich der sogenannten Smart-Textiles zu einem weltweiten Brennpunkt, gar zur international führenden Region geworden ist. Die Grabher-Group hat mit einer ihrer Tochterfirmen – der RAC GmbH – elektromagnetische Abschirmungsgewebe für die Ariane-Raketen entwickelt, produziert und geliefert. Im April 2023 startete die bislang letzte Rakete mit diesem Textil. Sie fliegt mit Vorarlberger Know-how zum Jupiter, soll dort in sieben Jahren ankommen. Grabher hat mit seinen Unternehmen auch eine Salzwasser-Ionen-Batterie entwickelt, oder einen Herzvorsorgegut.
Wie entstehen denn in seinem offenkundig erfindungsreichen Unternehmen die Ideen? Ob man die Grabher-Group als erfinderisch bezeichnen könne, sei dahingestellt, sagt Grabher: „Wir sind eher ein Unternehmen, das oftmals für Lösungen gesucht wird. Und in der Diskussion über mögliche Lösungen entsteht dann möglicherweise die Idee, wie man die Sache lösen könnte. Am Beginn steht also die Aufgabenstellung, die von außen an uns herangetragen wird – oder die wir uns selbst stellen – und daraus resultiert dann die Idee.“

Eine konkrete Aufgabe
Der Kohlendioxid-Sauger, der C-Hoover, zeigt das. Dass man CO2 aus der Luft filtern könne, das sei schon seit 30 Jahren bekannt, berichtet Grabher: „Das Problem aber war, dass diese Prozesse zu teuer, also schlichtweg nicht wirtschaftlich waren.“ Also sind Unternehmer und ein Investor mit der Frage auf die Grabher-Group zugekommen, ob man die Sache nicht beispielsweise mit textilem Know-how – sprich: mit Smart Textiles – markttauglich machen könne. In der Grabher-Group begannen die Diskussionen, auch in der zur Unternehmensgruppe gehörenden außeruniversitären, gemeinnützigen V-trion, in der Ingenieure und Wissenschaftler aus unterschiedlichsten, speziellen Wissensbereichen forschen. Und daraus entstand dann letztlich der – auch auf Wirtschaftlichkeit bewertete – Lösungsansatz, der letztlich in einem konkreten Forschungs- und Entwicklungsprojekt C-Hoover mündete. Die Lösung, die konkrete Idee, entstand in diesem Fall also aus einer Aufgabenstellung heraus. Und sie entstand, wie Grabher ausdrücklich betont: „Im Teamwork.“ Gerade bei derartigen Sachen müsse branchenübergreifend gemeinsam gearbeitet werden. Auch lasse sich ein guter Gedanke oder gar die Lösung nicht in kurzer Zeit erarbeiten, der V-trion werde die notwendige Zeit und der notwendige Raum zugestanden, um kreativ sein zu können.

Raum, Zeit, Geld
Wenn man Magdalena Meusburger fragt, wie Innovation entsteht, dann sagt sie: „Innovation braucht Freiraum und Zeit und ein bisschen Geld. Gerade in Zeiten, in denen alles so strukturiert und auf Effizienz getrimmt ist, wäre es sehr wichtig, sich mehr Zeit für Kreativität nehmen zu können. Denn Kreativität ist der Treiber jeder Innovation.“ 
Und Vorarlberg ist da durchaus innovativ. Das zeigt die jährlich publizierte Statistik des österreichischen Patentamtes, das regelmäßig mit dem Satz begleitet wird, dass Vorarlberg auf Platz eins bei der Anzahl an Erfindungen pro Einwohner liege. Das zeigen die Hidden Champions, die industriellen Vorarlberger Weltmarktführer. Das zeigen aber auch Unternehmen mit jüngerem Gründungsdatum. Manuela de Pretis, Projektleiterin bei der Wirtschaftsstandortgesellschaft, recherchiert für Thema Vorarlberg seit nunmehr zehn Jahren die Rubrik „Made in Vorarlberg“, und präsentiert dort Monat für Monat neue Produkte und neue Dienstleistungen Vorarlberger Unternehmen. „Es ist immer wieder beeindruckend, was da entsteht“, sagt De Pretis, „und es ist auch kein Ende in Sicht.“

Drei gute Überlegungen
Apropos Innovation. Meusburger nennt auf Nachfrage drei in jüngster Vergangenheit entstandene und erfolgsversprechende, innovative Vorarlberger Start-ups. Beispiel eins: VLOW, eine App für spontane Mitfahrgelegenheiten, gegründet vom FHV-Absolventen Patrick Schedler und von Stefan Türtscher. Über diese App werden spontan jene zusammengebracht, die entweder eine Mitfahrgelegenheit anbieten – oder eine suchen. Gemeinsam mit der Regio Bregenzerwald läuft bereits ein Pilotversuch. Beispiel zwei: Jause-Pause. Gegründet von FHV-Dozentin Julia Zambonin und Donnie Kienitz steht hinter diesem Start-up die Vision, allen Schulkindern im Land eine gesunde Pausenverpflegung zu ermöglichen, und das auf einer Basis eines – laut Meusburger – sehr innovativen Logistikkonzepts. Auch dieses Start-up ist bereits am Markt. Beispiel drei: Les Ensembles, eine AI-basierte App für personalisierte Outfitvorschläge, gegründet von der FHV-Studentin Viktoriia Simakova. Diese App befindet sich aktuell noch im Prototypenstatus. 
Und was sollte derjenige oder diejenige tun, die mit einer vermeintlich guten Idee ein Start-up gründen wollen? „Auf alle Fälle Start-up Vorarlberg kontaktieren und ganz unverbindlich ein Gespräch mit einem der Coaches vereinbaren. Man kann seine Ideen dort mit einer unabhängigen Person durchsprechen, und man bekommt, wenn die Idee gut ist, weitere Hilfen mit auf den Weg.“
Meusburger sagt, dass es gerade in der Anfangsphase nicht viel brauche, damit angehende Gründer und Gründerinnen ihre Ideen auch weiterverfolgen, im besten Fall umsetzen können: „Da ist oftmals schon mit 2000 Euro Fördermitteln oder mit einem Platz in einem Co-Working-Space geholfen.“

Das Tal des Todes
Wie aber steht es generell um die Finanzierung? Da wird es düster. Denn Forschung und Entwicklung, sagt Günter Grabher, würden in Österreich zwar „ordentlich unterstützt“. Aber: „Sobald Forschung und Entwicklung abgeschlossen sind, wird es sehr, sehr schwer, dieses Tal des Todes – wie das oftmals genannt wird – zu durchschreiten, also diesen Übergang von der Forschung in die industrielle Umsetzung.“ Denn für diese Phase gibt es kaum Förderungsmöglichkeiten, noch sind Banken zur Finanzierung bereit, es gibt auch kaum Investoren in Österreich, die in dieser kritischen Phase in Unternehmen respektive in Projekte investieren. Wenn, dann findet man diese Investoren lediglich irgendwo im Ausland.“ Grabher sagt: „Sehr viele Start-ups scheitern in dieser Phase: Im Tal des Todes.“ Beispielsweise an nicht vorhandenen Mitteln, um das gute Produkt oder die gute Dienstleistung auch entsprechend vermarkten zu können: „Wobei der notwendige Aufwand für die Vermarktung generell sehr oft unterschätzt wird.“ Doch eine jede gute Idee, eine jede gute Überlegung, die sich nicht realisieren lässt, schadet auch dem Wirtschaftsstandort. Die Politik, sagt Grabher, müsse sich mehr als Ermöglicher neuer Ideen verstehen: „Von den Fördergebenden wird immer argumentiert, dass öffentliche Gelder natürlich nicht dazu da sind, Einzelunternehmen zu fördern. Bis zu einem gewissen Maße kann ich das noch verstehen. Aber es braucht dennoch neue Mechanismen, neue Überlegungen, wie junge Unternehmer tatsächlich durch dieses Tal des Todes kommen, und nicht auf halbem Weg abbrechen müssen. Es braucht da ein neues Bewusstsein seitens der Politik.“

Die weite Welt
Magdalena Meusburger verweist auf ein Beispiel aus dem Silicon Valley. Eines der vielen Töchterunternehmen von Alphabet, dem Mutterkonzern von Google, nennt sich X, the moonshot factory. Dieses Unternehmen ist mit einem gigantischen Budget und mit Freiraum und mit Zeit ausgestattet, um teilweise richtig skurrile Projekte verfolgen zu können. „Entscheidend ist nicht, was aus den konkreten Projekten herauskommt“, berichtet Meusburger, „entscheidend ist, was dabei gelernt wird.“
Wobei man aus dieser Dimension nicht den falschen Schluss ziehen sollte. Ideen lassen sich nicht erzwingen. Meusburger sagt: „Ideen entstehen immer im Kleinen.“ Das zeigt auch ein Blick in die Unternehmensgeschichte der hiesigen Weltmarktführer. Meusburger verweist etwa auf die Brüder Helmuth und Alwin Lehner, die mit ihrer 1955 gegründeten „Alpenplastik Lehner Alwin GmbH“ zunächst die Waschküche des elterlichen Wohnhauses zur Produktionshalle umfunktioniert hatten. Heute beschäftigt ALPLA über 23.300 Mitarbeiter in 196 Produktionsstätten in 47 Ländern.

Furchtlosigkeit
Aber egal, ob man nun ein Unternehmen oder ein Start-up gründet – der Unterschied liegt übrigens darin, dass letzteres skalierbar ist und von vornherein auf Wachstum setzt – eines müsse der Gründer oder die Gründerin mitbringen: „Eine gesunde Furchtlosigkeit.“ Soll heißen? „Wer auch immer gründet, muss sich mit der Frage auseinandersetzen: Was bin ich persönlich bereit, einzubringen? An Engagement, an finanziellen Mitteln?“ In der Wissenschaft, sagt Meusburger, werde das der „leistbare Verlust“ genannt. Es gibt Beispiele, die Mut machen, Start-ups, die zum riesigen Erfolg werden. Ein von einem Vorarlberger im Mai 2022 mitbegründetes Start-up im Softwareentwicklungsbereich war bereits ein halbes Jahr später vom US-Unternehmen Confluent, einer Tochter des sozialen Netzwerks LinkedIn, gekauft worden. Um kolportierte 100 Millionen Dollar.

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