Robert Seeberger

* 1960 in Bludenz, Diplomstudium Physik an der Universität Innsbruck bis 1986, Dissertation 1994 (Universität Innsbruck und Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Bonn, Deutschland), Wirtschaftsingenieurstudium in Liechtenstein bis 1994; Forschungsaufenthalte an Instituten und Observatorien in Deutschland, Italien, Frankreich und Spanien. Seit 1995 beim Arbeitsinspektorat Bregenz. 2000: Mitarbeit beim Zentralarbeitsinspektorat Wien und bei der Europäischen Agentur für Sicherheit in Bilbao, Spanien.

Der Weg der naturwissenschaftlichen Erkenntnis

Februar 2022

Während der letzten beiden Jahre erläuterten Experten ihre Forschungsergebnisse in den Medien an prominenter Stelle. Sorgte die Pandemie für eine Sternstunde der Wissenschaft oder gab es zu viele Missverständnisse? Anhand harmloser Beispiele aus der Astrophysik werden Wege und Grenzen der Forschung aufgezeigt.

Was bedeutet es, wenn Entscheidungsträger meinen, sie handeln fakten- oder evidenzbasiert? Weshalb sagen Experten vorsichtig, dass für eine konkrete Prognose die Datenlage zu schwach ist? Wie konnte man so rasch neue Impfstoffe und Medikamente entwickeln? Wieso konnten Begriffe wie Reproduktionszahl und 7-Tages-Inzidenz so rasch in den allgemeinen Sprachgebrauch Eingang finden? Helga Rietz, promovierte Physikerin und Wissenschaftsjournalistin bei der NZZ, meint in einem Artikel des „Deutschen Physik Journals“, dass die Pandemie für die Wissenschaft eine Sternstunde war und plädiert für mehr MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) in den Redaktionen. Sie meint weiter, dass es keine Wissenschaftsmuffel mehr gab, seit die Pandemie Europa erreicht hat. Andererseits ist festzustellen, dass ein beachtlicher Teil der Bevölkerung Zweifel an den Resultaten der Forschung äußert. Es ist auch wahrscheinlich, dass Experten und Laien trotz redlichen Bemühens aneinander vorbei reden.
Anhand einiger Beispiele aus der Astrophysik wird die Erfolgsgeschichte der naturwissenschaftlichen Methode erläutert. Dabei werden Hürden und Irrwege nicht verschwiegen.

Vergeblich einen Planeten suchen

1776 beschrieben Titius und Bode die Abstände der Planeten zur Sonne anhand einer mathematischen Reihe. Ein Planet zwischen Mars und Jupiter wartete auf seine Entdeckung. Der 1781 von Wilhelm Herschel entdeckte Uranus passte in die Gesetze der mathematischen Reihe. Ab dem Jahr 1800 gingen mehrere Astronomen systematisch auf „Planetenjagd“. Giuseppe Piazzi fand kurz darauf das gesuchte Objekt mit dem Namen Ceres, das 50 Jahre lang als Planet galt. Mitte des 19. Jahrhunderts stieg die Zahl der neu entdeckten Objekte in der Region rasch an. Ceres entpuppte sich als der größte Vertreter einer neuen Objektklasse. Einige dieser Asteroiden werden heute sehr genau verfolgt, da sie mit der Erde kollidieren könnten.

Die Energie der Sonne

Durch geologische Altersbestimmungen um das Jahr 1900 herum wurde klar, dass die Erde und damit die Sonne seit Milliarden Jahren existieren. Die Energie – so war die damalige Vorstellung – erhielt die Sonne, indem sie sich durch ihre Schwerkraft zusammenzog. Lord Kelvin errechnete einen Energievorrat für zirka 20 Millionen Jahre. Damals war die Wissenschaft nicht in der Lage die Diskrepanz zu erklären. Die Zeit war noch nicht reif. Erst als die Kernphysik die Verschmelzung von Wasserstoffkernen zu schwereren Elementen wie Lithium und Helium beschrieben hatte und die dabei freiwerdende Energie ermittelt wurde, lag die Lösung auf der Hand.

Zu wenig Datenmaterial

Sterne unterscheiden sich unter anderem durch ihre Farbe. Zerlegt man das Licht in die Spektralfarben, so werden dunkle Linien sichtbar, die Auskunft über die chemischen Elemente geben. Bis 1864 wurden zirka 50 Sterne auf ihre Spektrallinien untersucht. Der Jesuitenpater Angelo Secchi gewann im darauffolgenden Jahrzehnt 4000 Sternspektren. Er erkannte in diesem Datensatz grob drei Klassen von Sterntypen. Für ein tieferes Verständnis der Absorptionslinien war der Datensatz zu klein. Nach mehreren Irrwegen wurden Sterne nach der Stärke von Wasserstofflinien klassifiziert. Damit war eine Temperaturklasse verbunden. Die Irrwege erkennt man noch heute an der Buchstabenfolge der Harvard-Klassifikation der Sterne. O-Sterne haben 20.000 Grad Oberflächentemperatur, M-Sterne sind 3500 Grad kühl. Die alten Bezeichnungen blieben unverändert, und so lautet die Temperaturskala abweichend vom Alphabet: O, B, A, F, G, K, M.

Die Große Debatte

Wissenschaftler können und sollen sich nicht immer einig sein. Kontroverse ist die Grundlage für Fortschritt. Der Andromedanebel war im Jahr 1920 Gegenstand einer Kontroverse um die Entfernung von verschiedenen Nebeln. Harlow Shapley glaubte, dass unsere Milchstraße mit 300.000 Lichtjahren extrem groß ist und die Sonne nicht im Zentrum der Galaxie steht. Das schloss er aus der Verteilung von Kugelsternhaufen. Heber Curtis hingegen ging von vielen Galaxien, die er Welteninseln nannte, aus. Der Andromedanebel war ein Beispiel dafür. Die Sonne lag im Zentrum unserer Milchstraße. Beide Kontrahenten hatten teilweise Recht, teilweise lagen sie falsch. Erst mit neuen Messungen war klar, dass die Sonne nicht im Zentrum der Milchstraße liegt (welch ein Glück, denn dort befindet sich ein supermassives Schwarzes Loch) und es Milliarden von Galaxien wie unsere Milchstraße gibt. M 31 ist mit 2,5 Millionen Lichtjahren unsere Nachbargalaxie.

Vorhersagen überprüfen

Wissenschaftlicher Erfolg basiert häufig auf einem Zusammenspiel von Theorie und Beobachtung. Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie führte zu mehreren Vorhersagen, an deren Überprüfbarkeit er selbst zweifelte. Der Nachweis von Gravitationswellen gelang erst 2015, hundert Jahre nachdem sie vorhergesagt worden waren, als Forscher die Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher detektierten. Heute ist die Gravitationswellen-Astronomie ein blühender Forschungszweig.

Querdenker

Unkonventionelle Denkansätze bringen die Wissenschaft weiter. Klar, dass auch exotische Überlegungen und gerade diese einer genauen Prüfung unterzogen werden müssen. Erst seit kurzer Zeit ist der Begriff des Querdenkers negativ besetzt. Was passiert eigentlich mit Sternen, die mehr als 25mal massiver als die Sonne sind? Wenn der Brennstoff solcher Sterne verbraucht ist, stürzen sie immer weiter in sich zusammen und nichts kann den Kollaps aufhalten. In der Mathematik nennt man solche Situationen Singularitäten und weiß, dass sie in der Natur nicht vorkommen können.

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