Robert Seeberger

* 1960 in Bludenz, Diplomstudium Physik an der Universität Innsbruck bis 1986, Dissertation 1994 (Universität Innsbruck und Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Bonn, Deutschland), Wirtschaftsingenieurstudium in Liechtenstein bis 1994; Forschungsaufenthalte an Instituten und Observatorien in Deutschland, Italien, Frankreich und Spanien. Seit 1995 beim Arbeitsinspektorat Bregenz. 2000: Mitarbeit beim Zentralarbeitsinspektorat Wien und bei der Europäischen Agentur für Sicherheit in Bilbao, Spanien.

Stärken und Grenzen der Wissenschaft

November 2024

In den vergangenen Jahren war eine gewisse Skepsis gegenüber der Wissenschaft erkennbar. Gleichzeitig wurde von ihr erwartet, gesellschaftspolitische Entscheidungen zu treffen. Die Stärken und die Grenzen der Wissenschaft werden anhand zweier Fallbeispiele  – einer historischen Supernova und der Grenzwertebildung für Schadstoffe – besprochen.

Hört auf die Wissenschaft! Folgen Sie der Wissenschaft!“ So lauten die Aufrufe von Menschen, die um ihre Umwelt besorgt sind. Die Forderung scheint grundvernünftig zu sein, denn die wissenschaftliche, insbesondere die naturwissenschaftliche Methode hat sich bewährt; sie war ein Garant für soliden Wissenszuwachs und Fortschritt.
Aber: Wissenschaftliche Erkenntnisse können zu jedem Zeitpunkt falsch oder richtig sein. Neue Wahrnehmungen, Beobachtungen und Experimente können den gesicherten Stand des Wissens auf den Kopf stellen. Es ist eine Stärke der Wissenschaft, dass sich ihre Erkenntnisse dynamisch entwickeln und nie endgültig sind.

Ein historisches Fallbeispiel
Kehren wir gedanklich an den Beginn des 17. Jahrhunderts zurück und folgen den Erkenntnissen des berühmten Galileo Galilei (1564–1641). Er stellte das bis dorthin geltende Weltbild auf den Kopf, weil er mit dem Linsenfernrohr als einer der ersten Menschen den Himmel betrachten konnte. Seine Entdeckung der Jupitermonde stützte das kopernikanische Weltbild.
Galileo beobachtete auch „Keplers Stern“. Der neue Stern im Sternbild Schlangenträger war im Jahre 1604 heller als alle anderen.
Galileo hatte einen weniger bekannten Konkurrenten in Süddeutschland. Auch Simon Marius (1573-1624) erforschte „Keplers Stern“. Beide Gelehrte waren sich darüber einig, dass die Konjunktion von Jupiter und Mars, also die scheinbare Begegnung am Himmel, den neuen Stern hervorbrachte. 
Die These war innovativ im Vergleich zu anderen Annahmen, die davon ausgingen, dass Dampf von der Erde entwichen war und Keplers Stern formte. Galileis Begründung für seine Hypothese war, dass der neue Stern am selben Ort und zur selben Zeit wie die Konjunktion erschien. „Folgen Sie der Wissenschaft! Über die Entstehung von Keplers Stern müssen wir nicht mehr diskutieren“, hätten seine Zeitgenossen sagen können. 
Doch wissenschaftliche Ergebnisse sind eben immer nur vorläufig. Galilei sagte, dass er den Stern weiterhin sorgfältig beobachten müsse, ob es Änderungen des Ortes, der scheinbaren Helligkeit und der Art des Sternenlichtes gäbe. Mit Karl Popper würden man sagen, er hat seine Theorie getestet, indem er sie falsifizieren wollte. Heute wissen wir, dass Keplers Stern eine Supernova vom Typ Ia war, also das explosive Ende eines massereichen Sterns. Das Phänomen war die bis heute letzte Supernova-Explosion in unserer Milchstraße.

Exkurs: Simon Marius
Anlässlich des 400. Todesjahres von Simon Marius fand in seiner Geburtsstadt Ansbach ein wissenschaftliches Symposium mit dem Titel „Simon Marius und der Wandel im Weltbild“ statt. 
Ralph Neuhäuser von der Universität Jena referierte nicht nur über die alte Interpretation von „Keplers Stern“, sondern berichtete auch, dass um dieselbe Zeit die Sichtbarkeit des veränderlichen Sterns Mira mit Planetenkonjunktionen erklärt wurde. Tatsächlich ändert Mira seine Helligkeit, weil er pulsiert. Der Präsident der Simon Marius Gesellschaft, Pierre Leich, berichtete über einen Plagiatsstreit zwischen Marius und Galilei um die Entdeckung der Jupitermonde. 
Als Entdecker gilt immer der Forscher, der seine Ergebnisse zuerst veröffentlicht hat. 
Einen ähnlichen Wettlauf gab es 1994 bei der Entdeckung des ersten Exoplaneten. Amerikanische Astrophysiker führten ihre Messungen an Dimidium 51 Pegasi b erstmals durch, warteten aber mit der Auswertung der Daten zu. Michel Mayor and Didier Queloz von der Universität Genf publizierten früher und ihnen wurde dafür 2019 der Physik-Nobelpreis zuerkannt.
Ein Zwischen-Resümee ist, dass die Wissenschaft die beste Methode zur Erkenntnisgewinnung ist, aber dass die Resultate keinen endgültigen Wissenschaftsstand abbilden. Durch den Druck zur raschen Veröffentlichung wird dies noch verstärkt.

Fallbeispiel 2: Radon, ein gefährliches Gas
Auch der aktuellen Wissenschaft sind Grenzen auferlegt. Das lässt sich gut anhand der zulässigen Konzentrationen von gesundheitsgefährdenden Substanzen erläutern.
Schadstoffe, die in der Luft, im Wasser und in Lebensmitteln vorkommen, werden von Wissenschaftlern gemessen. Andere Untersuchungen erforschen die Auswirkung dieser Stoffe auf unsere Gesundheit. 
Radon ist beispielsweise ein radioaktives Gas. Es zerfällt mit eine Halbwertszeit von 3,8 Tagen und gibt dabei radioaktive Strahlung ab. Laut AGES werden in Österreich zirka zehn Prozent der Lungenkrebsfälle durch Radon verursacht. 
Radon kommt überall vor, aber in unterschiedlicher Konzentration. Es gelangt auch therapeutisch in Heilstollen zur Anwendung. Die Frage einer zulässigen Radon-Aktivität korreliert mit dem akzeptierten Risiko. Die Grenze der wissenschaftlichen Forschung ist bei der Entscheidung über die Höhe der akzeptierten Schäden erreicht. 
Der Grenzwert (Referenzwert) von 300 Zerfällen pro Sekunde und Kubikmeter Luft ist in der Radonschutz-Verordnung seit 2020 festgeschrieben. Diese Festlegung war die Aufgabe des Gesetzgebers. Grundlage für solche Entscheidungen sind die erforschten Dosis – Schaden – Zusammenhänge. 
Den eingangs erwähnten Aufruf an Entscheidungsträger gilt es daher etwas abzuändern: Informieren sie sich über den Stand der Wissenschaft und bewerten sie die Ergebnisse. Treffen Sie auf dieser Basis gute Entscheidungen für die Gesellschaft!

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