Walter Wintersteiger

* 1942 in Dornbirn, Inhaber der Firma MANAGEMENT & INFORMATIK, ehemaliger Geschäftsführer im VRZ und langjähriger Dozent an Universitäten und IT-Fachschulen.

Die Digitalisierung in Vorarlberg - eine Zeitreise

Februar 2021

IT-Pionier Walter Wintersteiger führt durch die Geschichte der Digitalisierung in Vorarlberg: Von der ersten Anlage zur elektronischen Datenverarbeitung, die im Land im Jahr 1958 installiert wurde, über die Anfänge der Ausbildung Anfang der 1970er Jahre – bis hin zu Robotern, die heute in Vorarlberger Unternehmen im Einsatz sind.

Der 7. April 2018 war ein äußerst bemerkenswerter Tag für mich. An dem Tag fand die Eröffnung der Dornbirner Frühjahrsmesse statt. Und erstmals in der langen Geschichte der Messeeröffnungen sprachen alle vier Festredner nahezu ausschließlich über ein Thema: „Digitalisierung“: Die Bedeutung für die Vorarlberger Unternehmen im internationalen Wettbewerb, die Bedeutung der Digitalisierung für lebenswerte Städte und Gemeinden, für das chancenreichste Land für Kinder, für alle Innovationen vom autonom fahrenden Auto bis zur Künstlichen Intelligenz für die Krebsdiagnose. Und ich fragte mich: Warum wohl, und warum gerade jetzt?
Um diese Fragen zu beantworten, ist es hilfreich, zunächst einmal klar zu stellen: Was ist denn Digitalisierung überhaupt? Einfach nur von Digitalisierung zu sprechen ist genauso nichtssagend wie einfach nur von Mechanisierung oder Elektrifizierung zu sprechen. Entscheidend ist, was wir damit machen!
Wir unterscheiden zunächst einmal die Digitisierung von Daten, also die Umwandlung von analogen Daten in digitale und damit maschinenlesbare Form – und die Digitalisierung, also das Herstellen von Computerunterstützung für alle möglichen Tätigkeiten und Prozesse, die irgendwie mit der Verarbeitung von Daten zu tun haben. „Digital“ heißt dann letztlich nicht mehr und nicht weniger als „computerunterstützt“. 
Die Digitalisierung ist für uns alle längst Teil des Alltags geworden, im Beruf und im Privatleben. Der Anteil an Datenverarbeitung bei Produktion und Dienstleistung ist in der Regel viel höher als man gemeinhin wahrnimmt – ein einziger riesiger Datenfluss rund um den Materialfluss. Ohne Digitalisierung funktioniert fast gar nichts mehr – genauso wie ohne Elektrizität. Aber bei aller Begeisterung für die Digitalisierung dürfen wir nie vergessen, dass wir letztlich von unseren Produkten und Dienstleistungen leben und dass Computer eben nur Werkzeuge – mächtige Werkzeuge – sind.

Zurück ins Jahr 1958

Schauen wir nun auf Vorarlberg und fragen: Wie hat das alles angefangen? Die erste Anlage zur elektronischen Datenverarbeitung (EDV) in Vorarlberg wurde von der Firma SPAR Drexel im Jahre 1958 installiert. Damals hieß es in den Nachrichten von Radio Vorarlberg: Hans Drexel wurde in die USA ent­sandt, um dort das Programmieren des ins Auge gefassten „Elektronengehirns“ zu erlernen. Und die erste EDV-Anwendung war die Lagerbewirtschaftung des SPAR-Großhandelslagers in Dornbirn.
In den 1960er Jahren installierten dann etwa zehn größere Unternehmen, namentlich in der Textilindustrie, sogenannte Universalcomputer zur Abwicklung ihres betrieblichen Rechnungswesens; erst nach und nach wurden weitere Aufgabengebiete angegangen.
Ein wesentlicher Schritt für die Verbreitung des Einsatzes der EDV in Vorarlberg war die Gründung des Vorarlberger Rechenzentrums im Jahre 1965, die von seinem geistigen Vater, dem damaligen Direktor der Hypobank, Herrn Dr. Max-Wilhelm Hämmerle „zur infrastrukturellen Komplettierung des regionalen Raumes“ erfolgte. 
Damit war mit einem Schlage die Nutzung der EDV für jedermann möglich geworden, lange bevor preislich erschwingbare Kleinanlagen am Markt erhältlich waren. Zur Illustration sei vielleicht noch erwähnt, dass die damaligen EDV-Anlagen meist nur eine interne Speicherkapazität von 64 Kilobyte hatten – im Vergleich zu den heutigen Smartphons mit 64 Gigabyte.
Der Durchbruch der EDV auf breiter Basis begann allerdings erst in den 1970er Jahren, wo zunächst sogenannte Mittlere Datentechnik und dann die Mikro- und Minicomputer auf den Markt kamen, ab 1980 gefolgt von den Personal Computern, den PCs. Eine erste diesbezügliche Erhebung 1984 ergab, dass in Vorarlberg 25 sogenannte Großcomputer und rund 2000 Kleincomputer im Einsatz waren, nahezu ausschließlich für betriebliche Datenverarbeitung im Sinne der nachmaligen ERP-Systeme. Bemerkenswert daran ist, dass die jeweiligen Rationalisierungseffekte enorm waren, nicht selten konnte die Hälfte des Administrationspersonals eingespart werden.
Hard- und Software kamen in der Regel aus den Händen der Computerlieferanten. Erst nach und nach haben Wirtschaft und Verwaltung begonnen, eigene Softwareentwicklung zu beginnen.

Der Beginn der Ausbildung

Die EDV-Ausbildung erfolgte anfänglich ausschließlich durch die jeweiligen Computerlieferanten. Ab 1970 bot und bietet heute noch das Wifi eine immer größere Zahl von einschlägigen Kursen und Lehrgängen an.
Die schulische Ausbildung startete 1972 in den Berufsbildenden höheren Schulen mit je einem Lehrer an jeder Schule, wobei die Lehrer den Schülern im ersten Jahr in ihrer eigenen Ausbildung meist nur eine Lektion voraus waren. Vier Jahre später kamen dann die Oberstufen der Allgemeinbildenden höheren Schulen dazu. In den 1980er Jahren begann man langsam mit dem Informatik­unterricht an den Allgemeinbildenden Pflichtschulen. Ein Informatikstudium an einer Universität war in Österreich auch erst ab 1972 möglich, 1986 gelang es in Vorarlberg in einer Zusammenarbeit von Schloss Hofen mit den Universitäten St. Gallen und Innsbruck den ersten berufsbegleitenden Universitätslehrgang „Angewandte Informatik“ durchzuführen. 
Flankierend zu den beschriebenen Aktivitäten wurde der Arbeitskreis der Vorarlberger EDV-Leiter zum unternehmens­übergreifenden Erfahrungsaustausch gegründet und der VED, der Verein zur Förderung der EDV in Vorarlberg, der als VIK (Verein für Informatik und Kommunikation) bis 2018 wirkte.
Für sehr wichtig erachte ich das große einschlägige Angebot der Fachhochschule Vorarlberg, wo es auch immer mehr ausgezeichnete Studienmöglichkeiten berufsbegleitend gibt, die schon nahezu die Hälfte der Studierenden nützt. Jährlich gibt es etwa 100 informatikorientierte Absolventen, die in der Regel von der Vorarlberger Wirtschaft kräftig umworben werden. Auch das WIFI Vorarlberg spielt eine entscheidende Rolle. Im vergangenen Jahr wurden rund fünfzig verschiedene Ausbildungsmöglichkeiten in Sachen IT/Digitalisierung angeboten, die von rund 2000 Personen genützt worden sind. 

 

Alte Annahmen

Die ersten Elektronenrechner, heute Computer genannt, wurden in den 1940er Jahren entwickelt, um damit komplizierte Berechnungen durchzuführen, die mit konventionellen Rechenmaschinen nicht mehr bewältigt werden konnten. Und man war damals tatsächlich der Meinung, fünf solcher Maschinen auf der Welt würden reichen.

Allerdings erkannten findige Köpfe schnell, dass diese Maschinen besonders gut geeignet waren, um Massendatenverarbeitung, vornehmlich in den größten Unternehmen der damaligen Zeit, rasch und kostengünstig zu betreiben.
Der weltweite Siegeszug der Computer begann. Die Entwicklung der nunmehr so genannten Informationstechnik (IT) war und ist atemberaubend. Heute wissen wir: Alles was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert – wenn es sich denn auch rentiert!

Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die Erfindung, Ausbreitung und Nutzung des Internets ab den 1980er Jahren.
Sie hat mit der weltweiten Vernetzung von Menschen und Maschinen mit Sicherheit die größte technische Revolution aller Zeiten gebracht, weit mehr als der Computer an sich – erst ganz unscheinbar, aber letztlich doch mit der Wucht eines Meteoreinschlages.

Das Internet ist die Grundlage der heutigen Globalisierung mit all ihren Auswirkungen, von der Information, Kommunikation, Kollaboration bis tief in die Entwicklung von Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Jeder, immer, alles, überall, sofort – und vieles davon, zumindest scheinbar, kostenlos. 

Der Durchdringungsgrad mit Computeranwendungen im täglichen Leben, in Wirtschaft und Gesellschaft hat heute in weiten Bereichen eine Komplexität – Vielfalt und Dynamik – erreicht, die oft nur mehr schwer überblickt werden kann. Das schürt zu Recht auch Ängste, die bis zur Frage reichen: „Wann werden die Computer mit Künstlicher Intelligenz die Herrschaft übernehmen?“ Somit ist es geradezu lebenswichtig, sich auch professionell mit den Risiken und Gefahren der schier unendlichen Digitalisierung auseinander zu setzen.

Das Internet hat mit der weltweiten Vernetzung mit Sicherheit die groeßte technische Revolution aller Zeiten gebracht.

in Überblick

Wo stehen wir heute mit der Digitalisierung in Vorarlberg? Es gibt in Vorarlberg rund 500 IT-Unternehmen mit etwa 2000 Mitarbeitenden, die einschlägig beraten, Hardware und Software liefern, installieren und betreuen. Dazu kommt noch eine Reihe von IT-Unternehmen aus benachbarten Ländern. Wie ich höre, sind alle zufriedenstellend ausgelastet.
Sehr dünn, um nicht zu sagen düster, schaut es aus im Hinblick auf Softwarehäuser, die Standardsoftware produzieren, welche skalierbar und auch international verkauft werden kann. Ich kenne nur etwa fünf an der Zahl mit insgesamt vielleicht 100 Mitarbeitenden. Da wäre noch unendlich viel Luft nach oben – auch wenn Vorarlberg in Sachen Digitalisierung ansonsten ganz gut aufgestellt ist.
Von den rund 25.000 Unternehmen im Lande gibt es vermutlich keines, das nicht mehr oder weniger IT benützt. Der Digitalisierungsgrad, das heißt die Durchdringung der Geschäftsprozesse mit IT-Anwendungen dürfte im Schnitt zwischen 50 und 70 Prozent liegen, wobei in der Regel Großbetriebe die Nase vorn haben. Im Vordergrund stehen dabei seit vielen Jahren der Einsatz der Office-Produkte, flächendeckende ERP-Systeme und zahlreiche Web-Applikationen im kaufmännischen Bereich. 
Dazu kamen im Laufe der letzten zwanzig Jahre immer mehr technische IT-Applikationen, die zur Steuerung der Produktions- und Logistikeinrichtungen dienen und die die Automation in den heimischen Betrieben gewaltig vor­angebracht haben. Eher jüngeren Datums ist die Digitalisierung der erzeugten Produkte, der ich sehr große Bedeutung beimesse, wie Weltmarktführer, beispielsweise Bachmann und Heron, auch beweisen.
Die Zahl der eingesetzten Roboter ist mir nicht bekannt, in jedem Falle aber stark steigend. Ein Beispiel: Die Firma Z-Werkzeugbau hat laut Auskunft der Geschäftsleitung 200 Mitarbeitende und 20 Roboter, wobei ein Roboter im Dreischichtbetrieb (365/24) etwa 60 Mitarbeitende von „Sklavenarbeit“ freihält.
Von den rund 190.000 Erwerbstätigen in Vorarlberg verwenden vermutlich 80 Prozent ein IT-System an ihrem Arbeitsplatz. Ein Blick in die Büros zeigt, dass nahezu alle Mitarbeitenden den ganzen Tag an einem Bildschirmarbeitsplatz werken, als gäbe es nichts anders mehr auf der Welt. 
Unterstützt werden sie dabei von drei bis fünf Prozent der Mitarbeitenden in unseren Unternehmen, in Summe also 6000 bis 10.000 IT-Fachkräften für IT-Systementwicklung, Implementierung, Betrieb und Betreuung. Wozu noch 10.000 weitere IT-Fachkräfte ins Land zu bringen sind, wie es unter anderem im „Dis.kurs Zukunft“ formuliert wurde, bleibt mir ein Rätsel. (Übrigens werden aktuell vom AMS Vorarlberg gerade einmal 366 offene Stellen im IT-Bereich genannt.)
Die öffentliche Verwaltung ist naturgemäß geradezu prädestiniert für eine umfassende Digitalisierung, bestehen doch deren Veraltungsdienstleistungen weitestgehend aus Kommunikation und Datenverarbeitung. Kein Wunder also, dass die Landesverwaltung und die Kommunalverwaltungen ab 1970 einen Aufgabenbereich nach dem anderen digitalisiert haben, anfänglich in Zusammenarbeit mit dem Vorarlberger Rechenzentrum und im Laufe der Zeit mit einer eigenen IT-Abteilung im Lande und dem Gemeinderechenzentrum für die Städte und Gemeinden.
Relativ jung ist die wachsende Digitalisierung der Verwaltungsdienstleistungen für die Bürger, die Kunden der öffentlichen Verwaltungen. Immer mehr Informationen, Kommunikationen und Geschäftsabwicklungen laufen Tag und Nacht zur Selbstbedienung über das Internet auf PCs und je länger je mehr auch über Handys. Dazu kommt eine wachsende Zahl von IT-Anwendungen unter dem Titel Smart City „zur Verbesserung der Lebensqualität im öffentlichen Raum“ – von der ParkApp bis zur Fluss­überwachung. Ja, da ist noch viel zu erwarten …

Private Nutzung

Der schier unglaubliche Preisverfall bei Computern hat namentlich in den letzten zwanzig Jahren dazu geführt, dass heute in der Mehrzahl aller Haushalte mindestens ein PC steht. Und am 29. Juni 2007 kam das erste Smartphone – das iPhone – auf den Markt. Die Verbreitung der Smartphones war ausgesprochen rasant. Nach Angaben der Mobilfunkbetreiber gibt es heute im Lande mehr Handys als Einwohner. Um die Bedeutung dieser Entwicklung einschätzen zu können, muss man sich in Erinnerung rufen, dass heute jedes Handy ein ausgereifter Computer ist, mit mehr Power als vor fünfzig Jahren alle Großcomputer der Welt zusammengenommen hatten.
Machen Sie sich doch einmal die Mühe, Ihre IT-Nutzung im privaten Bereich bewusst wahrzunehmen, einen Tag oder eine Woche lang, und schreiben Sie es auf, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie tief Sie in der Digitalisierung drinnen stecken. Und vielleicht überlegen Sie dabei einmal, was wäre, wenn das alles nicht wäre. Die IT verschmilzt immer mehr – bis zur Unsichtbarkeit – mit unserem herkömmlichen Tun und wir benutzen sie so selbstverständlich und gekonnt wie früher Keil und Hammer, Papier und Bleistift, wie ein „künstliches Organ“ (Hans Hass). Die Zukunft gehört den intelligenten Nutzern der Digitalisierung – nicht nur den Erfindern.
Die rasante Entwicklung auf dem Gebiet der IT verlangt wie kaum ein anderer Sektor nach lebenslangem Lernen.
Bleiben Sie neugierig. Nehmen Sie bewusst wahr, was jeden Tag um Sie herum passiert – privat, beruflich, im öffentlichen Bereich. Erlernen und benutzen Sie alles, was für Sie Sinn macht. Reden Sie mit anderen über Digitalisierung („peer to peer“). Suchen Sie selbständig nach Verbesserungen und Innovationen – an welcher Stelle auch immer. Und bleiben Sie dran!

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