Kurt Bereuter

56, studierte BWL, Philosophie und Politikwissenschaften. Organisationsberater und -entwickler, freier Journalist und Moderator, betreibt in Alberschwende das Vorholz-Institut für praktische Philosophie.

Dr. Hans Concin – ein Arzt ohne Maulkorb

November 2022

Gynäkologe Hans Concin, 1983 bis 2012 Primar der gynäkologisch-geburtshilflichen Abteilung im LKH Bregenz, ist noch heute mit einer Gynäkologischen Praxis tätig. In kritischen Kommentaren beschäftigt sich Concin immer wieder auch mit der eigenen Zunft: von zum Teil sinnbefreiten Vorsorgeuntersuchungen bis zum Thema Ärzteausbildung und Schwangerschaftsabbruch.

Ja, KHBG-Chef Gerald Fleisch habe Recht, wir hätten nicht zu wenig Ärzte, sondern wir hätten sie teilweise an den falschen Orten. Und dass wir immer weniger Kassenärzte fin-
den, sei eine systemimmanente Fehlentwicklung, die mit völlig unzeitgemäßen „Knebelverträgen“ der Österreichischen Gesundheitskasse zu tun hätte. Denn die Medizin sei stark weiblich geworden und dem müsse Rechnung getragen werden durch moderne Gruppenpraxen, überschaubares finanzielles Risiko und eine gute Organisation der Vertretung und der Notdienste. PHCs – also Primärversorgungszentren – die mit mehreren ÄrztInnen und multiprofessionell (mit einer Krankenpflegekraft und Physiotherapie) besetzt sind und verlängerte Öffnungszeiten anbieten. Diese wären ein Befreiungsschlag für die schwierige Suche nach „Landärzten“, nach niedergelassenen Allgemeinärzten in den Dörfern. Die Bevölkerung sei mobiler geworden und das erlaube auch, dass nicht mehr in jedem Dorf ein Allgemeinmediziner ansässig sei, dafür aber in regionaler Nähe ein Primärversorgungszentrum mit erweiterten Öffnungszeiten. Im Kleinen Walsertal würde beispielsweise ein solches Zentrum viel Sinn machen. Dort könnten dann aufgrund der besseren Arbeitssituation auch Ärzt:innen gefunden werden, weil mit diesen Zentren die Arbeitsbelastung für die Einzelnen – zeitlich und organisatorisch – verringert, das finanzielle Risiko überschaubarer werde und zugleich ein Team entsteht, mit dem Entwicklung und Austausch möglich sei.
Dr. Concin ist der Meinung, dass der Allgemeinmediziner sehr wohl fachlich qualifiziert ist, die Fallführung bei seinen Patienten zu übernehmen, aber zeitlich sei das angesichts der vollen Wartezimmer kaum möglich. Auch hier könnten PHCs mit angestellten Sekretariatskräften entlastend wirken und der viel zu großzügige Zugang zu Fachärzten gehöre gleichzeitig massiv eingeschränkt. Nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern auch aus medizinischen Gründen. Denn jeder Facharzt, jede Fachärztin sucht in seinem/ihrem Fachbereich und wird oft auch fündig, aber es ist letztlich nicht der krankmachende Faktor, als der er identifiziert wird. Der Universalist ist an erster Stelle gefordert und erst in zweiter Linie der Facharzt. 
Klar sei aber, dass wir zu wenige Allgemeinmediziner hätten, und das habe Gründe in einer jahrzehntelangen Fehlentwicklung: Hin zu einer facharzt- und spitalslastigen Medizin, die zudem sehr teuer sei. Es müsse mehr in die Allgemeinmedizin investiert werden, auch wenn zugegebenermaßen Internisten, Kinder- und Frauenärztinnen und -ärzte oft allgemeinmedizinisch tätig seien. Weil die Medizin weiblich geworden sei, die Arbeitsbelastung und -situation für Einzelkämpferinnen in den Dörfern für viele junge Ärztinnen nicht mehr attraktiv seien und das finanzielle Risiko hinzukomme, brauche es in der Allgemeinmedizin neue Strukturen wie die PHCs. Denn auf der anderen Seite locken die Krankenhäuser mit geregelten Dienstzeiten und Teamarbeit ohne finanzielles Risiko mit fixem, gutem Einkommen für die Ärztinnen. Die Ausbildung zum Allgemeinmediziner in den Spitälern in den einzelnen Fachabteilungen – mit immer weiter fortschreitenden Spezialisierungen und Schwerpunktbildungen – schaffe nicht die dringend nötigen Universalisten, die im niedergelassenen Bereich draußen gebraucht würden. Deshalb gehöre die Ausbildung zur Allgemeinmedizin verstärkt in die niedergelassene Praxis der Praktiker. Die könnten in Vorarlberg auf eine hervorragende Fort- und Weiterbildung mit den besten Referenten in der gesamten medizinischen Breite auf dem neuesten medizinischen Stand zurückgreifen. Die Allgemeinmedizin würde insgesamt gesehen die beste und wirtschaftlichste Medizin machen, gibt sich der Facharzt überzeugt. 
In diese Kerbe argumentiert Hans Concin auch bei den Vorsorgeuntersuchungen. Frühzeitige Erkennung von Risiken im Rahmen von Gesundenuntersuchungen mache durchaus Sinn, vom Bluthochdruck über den Blutzucker bis zum Cholesterin in jungen Jahren. In der Krebsprävention könnten durch ein Screening jedoch nur zwei von circa 100 Krebsentitäten erfasst werden, alles andere sei Früherkennung, die allerdings relativ spät greife. Die Forcierung einer noch früheren Diagnose würde zu vielen Überdiagnosen führen mit belastenden und unnötigen oder sogar schädlichen Therapien. Er würde verstärkt auf die Primärprävention setzen, also darauf, dass Menschen möglichst gesund leben, um möglichst gar nicht erst krank zu werden. 
Zurück zum angeblichen Ärztemangel und den fehlenden Kassenärzten. Mit den beiden Kinderfacharztzentren in Dornbirn und nun auch in Feldkirch konnte mit Hilfe des aks – dem Arbeitskreis für Vorsorge- und Sozialmedizin – unter Beweis gestellt werden, dass Organisationsstrukturen sehr wohl veränderbar sind und dann auch den Erfolg mit sich bringen. An beiden Standorten fehlten Kinderfachärzte mit einem Kassenvertrag und diese konnten durch diese neue Struktur, mit dem aks im Hintergrund, für eine Gemeinschaftspraxis eigentlich mühelos gefunden werden. Dr. Concin ist seit 40 Jahren im aks im Vorstand tätig und war dort sieben Jahre lang ehrenamtlicher Präsident.
Das sei der Beweis dafür, dass sich Systeme ändern müssen und die Systemänderung auch den Erfolg mit sich bringe. Warum es bis heute in Vorarlberg noch keine PHCs gebe, schreibt Hans Concin dem fehlenden landespolitischen Willen zu. Letztlich brauche es das Angebot und den Anschub von geeigneten Strukturen und der aks stünde hier wie bei den Kinderärztezentren zur Verfügung.

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