Ein Berufsleben, gewidmet der Medizin und der Homöopathie
Wenn Menschen der Vorarlberger Landesbibliothek ihren Vorlass (zu Lebzeiten) oder die Erben deren Nachlass (nach dem Tode) übergeben, dann handelt es sich meist um Materialsammlungen, die eine bekannte Persönlichkeit oder deren Erben der Institution verkaufen oder schenken. Die Bestände können entsprechend dem Forschungsfeld unterschiedlichsten Inhalts sein, zum Beispiel Urkunden, Fotosammlungen, ganze Bibliotheken, Autographen, Manuskripte, Tagebücher, Kunstwerke und mehr und mehr auch digitale Dateien. Archive und Bibliotheken sind besonders an den Beständen von Personen interessiert, die das Land geprägt, es zum Positiven verändert haben. Sinn und Zweck solcher Übernahmen ist die sichere Aufbewahrung sowie die Katalogisierung der Materialien, alles mit dem Ziel, sie der Nachwelt für zukünftige Forschung zugänglich zu machen, um gesellschaftliche Entwicklungen sichtbar und nachvollziehbar zu machen.
So erst kürzlich geschehen mit dem Vorlass von Medizinalrätin Dr. Jutta Gnaiger-Rathmanner, die vor einigen Monaten großzügig der Bibliothek ihr schriftliches Vermächtnis übergab. Es handelt sich dabei um eine umfangreiche Sammlung von mehr als 50 Artikeln zur homöopathischen Medizin in den Zeitschriften Documenta Homöopathica, Allgemeine Homöopathische Zeitung, Homöopathie konkret und Spektrum der Homöopathie, zahleichen Beiträgen in Büchern sowie ihre zwei Bücher Homöopathie bei Psychotrauma und Homöopathie in Österreich – eine Chronik, sowie schriftliche Unterlagen zu Kongressen und Seminaren im In- und Ausland, die sich über eine Dauer von mehreren Jahrzehnten erstrecken. Dass Gnaiger-Rathmanner große Verdienste in ihrem Fachgebiet erworben hat, wurde für eine große Öffentlichkeit sichtbar gemacht, als ihr 2014 vom Bundeministerium für Gesundheit der Titel Medizinalrätin und 2015 vom Land Vorarlberg aufgrund ihres besonderen Engagements für die Homöopathie das große Verdienstzeichen verliehen wurde.
All dies ist für eine Homöopathin nicht selbstverständlich, wird doch dieser Behandlungsmethode bis heute immer wieder Unwissenschaftlichkeit vorgeworfen, wie unlängst in einer Kolumne einer lokalen Zeitung („Homöopathie und ähnlicher Quatsch“), wo Homöopathen, Zweifler an Wissenschaft und Forschung sowie Impfgegner gleichermaßen in einen Topf geworfen werden. All diesen Widerständen zum Trotz hat sich die Homöopathie aber auch in Vorarlberg zu einer festen Größe in der Komplementärmedizin etabliert. Auch die Vorarlberger Landesbibliothek verschließt sich dem nicht und verfügt über eine große Zahl an Fachbüchern und Ratgebern zur Homöopathie, die sich großer Nachfrage erfreuen.
Als Jutta Gnaiger sich Ende der 1960er Jahre aufmachte, um in Wien Medizin zu studieren, war ihre Erwartung, als Hausärztin auf dem Land in Vorarlberg tätig zu werden. Aber es kam ganz anders als ursprünglich geplant, denn als sie 1981 tatsächlich den Weg zurück ins Ländle fand, gründete sie in Feldkirch eine Privatpraxis für Allgemeinmedizin mit Schwerpunkt auf Homöopathie. Die Jahre dazwischen, die sie in Wien, kurz in Vorarlberg, in Augsburg und Mexiko verbrachte, waren für sie intensive Jahre der Suche. Sie beschreibt, was sie in diesen Jahren geprägt und ihr den Weg zur Homöopathie gewiesen hat: „Meine innere Berufung zur Medizin entsprang dem Impuls, Menschen mit und in ihrer Krankheit zu verstehen und als Ganzes, an Körper und Seele zu behandeln und zu begleiten. … Doch bei allem Eifer konnte ich während des Studiums keine Antworten auf meine inneren Fragen an das Arzttum und an die Existenz des Menschen finden.“ 1974 lernte sie Prof. Dr. Mathias Dorcsi, den damals führenden Vertreter der Homöopathischen Medizin in Wien, kennen. Er lehrte seine Schülerinnen und Schüler, die Augen und alle Sinne zu öffnen, um den ganzen Menschen in der Begegnung wahrzunehmen. Er lehrte sie, genau hinzuschauen, die nonverbale Kommunikation mit einzubeziehen, die Körpersprache zu lesen, indem er seine Schüler anregte: „Schaut euch diese Frau an. Ist sie ein müder, gebeugter Mensch? Ist sie ein glücklicher Mensch? ...“ Das ausführliche Gespräch und die ganzheitliche Wahrnehmung des Menschen als Methoden übten auf die junge Medizinerin eine große Anziehungskraft aus. Allerdings stand dieser Ansatz schon damals in krassem Gegensatz zum naturwissenschaftlichen Weltbild, wie es ihr bis dahin in Schule und Studium vermittelt worden war. Ein Widerspruch, der sie lange Jahre in Unruhe versetzte, sie aber nicht davon abhielt, parallel zur klassischen Spitalsausbildung eine dreijährige Ausbildung in Homöopathie zu absolvieren.
Zur Gründung ihrer Praxis in Feldkirch kamen ihr, im Rückblick gesehen, gesellschaftliche Veränderungen zugute: „Ich hatte das Glück der Anfängerin“, denn sie glaubt, dass die aufkommende Grünbewegung den Boden für neue Schulsysteme, biologische Landwirtschaft und eben auch für die Homöopathie bereitete. Die Praxis begann zu florieren und hatte sich bereits nach einem Jahr einen guten Namen gemacht. Besonders die Behandlung von Frauen aller Altersschichten sowie von Kindern, sei es mit wiederkehrenden Infekten, mit Allergien, mit Verhaltensproblemen etc. bildeten einen Schwerpunkt.
Jutta Gnaiger-Rathmanner beließ es nicht dabei, sich auf einer gutgehenden Praxis auszuruhen, denn überzeugt von der Wirksamkeit der Homöopathie engagierte sie sich national und international in der Standespolitik, seit 1978 in der Funktion als Vorstandsmitglied in der Österreichischen Gesellschaft für Homöopathische Medizin, deren Präsidentin sie schließlich zwischen 1994 und 1996 wurde. In dieser turbulenten Zeit – von Konflikten zwischen unterschiedlichen Strömungen innerhalb der homöopathischen Gesellschaft geprägt – war sie maßgeblich für die Ausbildungsordnung für Homöopathie verantwortlich und vertiefte die Kontakte mit osteuropäischen Kollegen. Von 1991 bis 1995 bekleidete sie das Amt der Vizepräsidentin der Internationalen Liga für Homöopathische Ärzte und besuchte in dieser Funktion die jährlich stattfindenden Kongresse auf der ganzen Welt.
Wenn die nun seit ein paar Jahren pensionierte Ärztin auf ihr ungewöhnliches berufliches Leben zurückblickt, kann sie für sich eine erfreuliche Bilanz ziehen: „Es war mir vergönnt, genau die Medizin für meine Patienten auszuüben, von der ich überzeugt war. Die Medizin muss auch heute – bei aller Achtung vor Wissenschaft und Technologie – mit der Frage nach dem Menschen und seinem Innenleben verbunden bleiben.“
Weiterlesen!
Gnaiger-Rathmanner J. (Hrsg.):, „Homöopathie in Österreich – eine Chronik“, Verlag der Provinz 2021
Kommentare