
Ein Schwächling unter Starken
Am 14. September 1901 fand in der Royal Albert Hall in London „The Great Competition“ statt. Vor 15.000 begeisterten Zuschauern war dies der erste Wettbewerb für Bodybuilding, der eine neue Ära der Körperkultur einläutete. Im Sog dieser Bewegung kam 1910 auch Max Sick nach London, groß geworden als schwächlicher Junge in Bregenz-Vorkloster.
Als Kind mit angeborener Schwäche bezeichnete sich Max Sick (1882-1961), als er im Alter von 30 Jahren auf seine Kindheit und frühe Jugend zurückblickte. Er wuchs in Bregenz als Einzelkind Schweizer Eltern auf, die wegen seiner schwachen Gesundheit in ständiger Sorge um ihren Sprössling waren. Eindringlich beschreibt er, wie allgemeine Schwäche sein Leben beeinflusste: „Da ich das einzige Kind meiner Eltern war, widmeten sich mein Vater und meine Mutter eingehend meiner Erziehung; man ließ mir jegliche Pflege angedeihen, ich war aber ein so kränkliches Kind, daß meine angeborene Schwäche trotz der nie nachlassenden Pflege und der Bemühungen der Ärzte wuchs, und ich mir derartige Krankheiten zuzog, wie sie für Kinder im zarteren Alter gewöhnlich den Tod zur Folge haben.“ Erst mit fünf Jahren konnte das ungewöhnlich kleine Kind selbstständig stehen, an einen regulären Schulbesuch war jedoch nicht zu denken. Als sich sein Gesundheitszustand ein wenig verbesserte, und er mit sieben Jahren endlich doch eingeschult werden konnte, war es nun vor allem der Vergleich mit Gleichaltrigen, der ihm zu schaffen machten: „Jetzt aber kam ich in direkte Berührung mit Knaben meines eigenen Alters, deren überschäumendes Temperament eine beständige Quelle der Verwunderung für mich war. Aus der Verwunderung entstand dann Neid, und mit dem Neid kam ein Gefühl der Demütigung.“ Als er versuchte, mit kleinen Hanteln seine wenigen Muskeln zu vermehren, wurde ihm das von den Eltern verboten, mit dem Argument, „daß ein so schwaches Kind nichts weiter tun sollte, als möglichst viel ausruhen.“
Als Max Sick schließlich zehn Jahre alt wurde, man ihn aber oft für sechs oder sieben Jahre alt hielt, veränderte ein einschneidendes Erlebnis sein Leben. In Bregenz war ein Zirkus angekündigt, dessen größte Attraktion ein außergewöhnlich starker Mann war, der das Interesse des kleinen Max anzog. Er sparte eisern, um sich ein Billett zu kaufen und war dann auch schwer beeindruckt von der Muskelmasse des „Herkules“. „Als ich nach Hause ging und unterwegs einen geeigneten Stein fand, beschloss ich, diesen heimlich als Hantel zu verwenden“. Seine Eltern verboten jedoch dem Kleinen, aus Sorge um seine Gesundheit, das Krafttraining mit Gewichten aufzunehmen.
Im Rückblick sollte das der entscheidende Moment im Leben von Max Sick gewesen sein, denn er war nun fest entschlossen, seine Muskeln ohne Gewichte zu trainieren. Zu Beginn mit Problemen: „Anfangs bestanden meine Übungen aus unheimlichen Bewegungen und Verrenkungen, die ich jeden Morgen und Abend in der Einsamkeit meines Schlafzimmers ausführte“. Die regelmäßigen Übungen, die grob gesagt aus einer Abfolge von An- und Entspannung bestanden und die er sich autodidaktisch beigebracht hatte, wirkten sich sehr positiv auf seinen Körper aus und mit 14 Jahren wurde er vom neugegründeten I. Athletenclub „Austria“ in Bregenz-Vorkloster aufgefordert, Mitglied zu werden, obwohl die Altersgrenze eigentlich bei 18 Jahren lag. Ohne wie alle anderen mit Gewichten zu trainieren, entwickelte der junge Mann in kürzester Zeit eine erstaunliche Muskelmasse. Die Öffentlichkeit wurde auf ihn erstmals aufmerksam, als er in einer benachbarten Stadt an einem Wettkampf für Gewichtheber teilnahm. Da Sick damals nur 50 Kilo wog, startete er regulär bei den Leichtgewichten, gewann dann aber auch den Mittelgewicht- und Schwergewichtsbewerb. Damit erlangte er regional eine gewisse Berühmtheit und galt als körperliches Phänomen.
Bereits 1902 fand Max Sick Erwähnung in der österreichischen Wochenzeitung „Das Interessante Blatt“: „Bei den letzten Wettstreiten hat insbesondere ein junges Mitglied Aufmerksamkeit erregt. Herr Sick, welcher seit circa zwei Jahren den athletischen Sport pflegt, hat es durch unablässige Trainierung und eisernen Fleiß zu erstaunlichen Leistungen gebracht.“
Im Alter von 23 Jahren brach er seine Ausbildung als Mechaniker ab und verließ Bregenz, da ihm bewusst wurde, dass er in der Provinz mit dem „Stellen von Muskelposen“ nicht weit kommen würde. So verlegte er seinen Wohnsitz nach München, wo er als Modell für Künstler und als Trainer bald ein gutes Einkommen hatte. Sein Ruf als „strongman“ brachte ihm eine Einladung nach London ein, wo es eine rasch wachsende Szene von – heute würde man sagen: Bodybuildern – gab. Dort lernte er mit seinem späteren Freund Monte Saldo – bürgerlicher Name: Alfred Montague Woollaston (1879-1949) – einen Pionier dieses neuartigen Sports kennen. In ihm fand er einen perfekten Freund und Geschäftspartner, da Sicks körperliche Vorzüge und die Erfahrung Monte Saldos mit Körperkultur im Allgemeinen ihre ideale Symbiose im Maxalding-System (zusammengesetzt aus den Namen Max und Saldo) fanden: Ein neuartiges Trainingsprogramm, das ohne Übungen mit Gewichten auskam und das man heute als isometrisch bezeichnen würde. Sie boten gut besuchte Trainingskurse an und verfassten zahlreiche Publikationen, die auf Deutsch und Englisch in zahlreichen Auflagen erschienen. Da der Name Sick (engl. krank) völlig ungeeignet war, um im englischsprachigen Raum Gesundheit und Kraft zu verkörpern, wurde Max Sick aus Marketinggründen kurzerhand zu Maxick umbenannt.
Während wir über die Karriere von Sick bis zum Ersten Weltkrieg gut informiert sind, werden die Informationen über sein Leben ab diesem Zeitpunkt immer spärlicher. Zuerst in England als Staatsbürger eines feindlichen Landes interniert, kehrte er später nach Deutschland zurück, wo er 1921 am Kraft-Kunst-Institut in Dresden, geleitet von Sascha Schneider, dem Illustrator der Karl-May-Bücher, als Trainer und Modell in Erscheinung trat. Wenig angetan vom Aufstieg der Nationalsozialisten verließ er später Europa Richtung Südamerika. Er unternahm dort zahlreiche Reisen, unter anderem auch richtige Expeditionen an den Amazonas und Orinoco, und ließ sich schließlich in Argentinien nieder.
Maxick starb 1961 im Alter von fast 80 Jahren in Buenos Aires, wo er ein Fitness- und Gesundheitsstudio betrieb. Am Tag seines Todes hatte er sich mit einem Freund im Armdrücken gemessen und war dann mit dem Fahrrad nach Hause gefahren. Später wurde er tot aufgefunden, offenbar entspannt auf dem Rücken liegend, mit ausgestreckten Armen und einem sorgfältig gefalteten Abschiedsbrief unter der rechten Ferse, auf dem geschrieben stand: „Mein Herz schlägt ziemlich langsam, mir ist extrem kalt, ich glaube, es wird vorbei sein. Denken Sie daran, dass das Unendliche unsere Freiheit ist, die sich durch unser Bewusstsein manifestiert.“
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