Thomas Feurstein

* 1964 in Bregenz, Studium der Germanistik und Geografie, Biblio­thekar und Leiter der Abteilung Vorarlbergensien an der Vorarlberger Landes­bibliothek seit 1998.

 

Lorenz Böhler (1885 – 1973) – Pionier der modernen Unfallmedizin

Mai 2015

Lorenz Böhler wurde am 15. Jänner 1885 in Wolfurt geboren und verbrachte seine Jugendzeit bei seiner Tante „Im Holz“, oberhalb des Dorfs. Bereits in der Volksschule fiel den Lehrern das Talent des Jungen auf, und trotz finanzieller Schwierigkeiten gelang es dem Vater, das Schulgeld aufzubringen, das einen Schulbesuch im fürst­erzbischöflichen Knabenseminar in Brixen ermöglichte. Nach zwei Jahren wechselte Lorenz Böhler dann an das Bregenzer Gymnasium.

Studium und erste Erfolge

Nach dem Studium in Wien lernte er während eines Praktikums in Bozen seine spätere Frau Poldi Settari kennen und promovierte 1911 zum Doktor der gesamten Heilkunde. 1914 folgte er einer Einladung zu einem internationalen Chirurgenkongress nach New York und lernte bei der folgenden Studienreise in Rochester (Minnesota) die damals weltweit führenden Unfallchirurgen Will und Charles Mayo kennen (noch heute existieren in den USA die bekannten Mayo-Kliniken).

Im 1. Weltkrieg wurde Böhler nach dem Einsatz an der Dolomitenfront in ein Lazarett bei Bozen abkommandiert. Er machte die „Bozner Fachschule“ zum Experimentierfeld für seine Technik und Schule, die er später in jahrzehntelanger Detailarbeit verfeinerte und perfektionierte. Das wohl Entscheidende an Böhlers Konzept war die neuartige Organisation, in der jeder Handgriff rationalisiert und jeder Knoten standardisiert wurde. Aufbauend auf den Ideen des amerikanischen Ingenieurs Frederick W. Taylor analysierte er jeden Arbeitsschritt, überprüfte ihn mithilfe einer akribischen Dokumentation auf seine Nützlichkeit und Effektivität und änderte ihn – wenn notwendig – ab.

Böhler und sein Krankenhaus erlangen Weltruhm

In Kooperation mit der AUVA (damals noch Arbeiter-Unfallversicherungs-anstalt) eröffnete er 1925 in der Webergasse in Wien das erste Unfallkrankenhaus Österreichs, das aufgrund seiner Organisation und der daraus resultierenden Heilungserfolge bald weltbekannt wurde. Es setzte ein Besucherstrom von Fachkollegen nach Wien ein (im Jahr 1937 waren es 749 Gäste aus aller Welt). Besonders interessant war das Konzept der Unfallversicherung auch aus volkswirtschaftlicher Sicht, da die Aufwendungen für Invalidenrenten durch die Böhlerschen Methoden signifikant gesenkt werden konnten.

Nachdem Böhler schon 1915 begonnen hatte, wissenschaftlich zu publizieren, gelang es ihm, 1929 einen Verleger für sein Buch „Die Technik der Knochenbruchbehandlung“ zu finden. Das Lehrbuch entwickelte sich schnell zum Bestseller, der in rascher Abfolge neu aufgelegt und später in viele Sprachen übersetzt wurde. Anlässlich einer Ausstellung baute die Vorarlberger Landesbibliothek eine umfangreiche Sammlung an Böhler-Publikationen auf.

Irrungen und Ehrungen

Auch eine honorige Persönlichkeit wie Böhler war aber offensichtlich nicht davor gefeit, den Versuchungen des Na­tionalsozialismus zu erliegen. 1938 trat er noch vor dem Anschluss Österreichs der NSDAP bei und wurde 1940 als beratender Chirurg in Polen und später in Russland eingesetzt. Nach 1945 versuchte er seine Position zu begründen, und schließlich intervenierte sogar Staatskanzler Renner persönlich für ihn: „Am Ende haben doch die durch einen Unfall betroffenen Arbeiter das höhere Recht auf rettende ärztliche Behandlung als der Staat auf Ahndung einer staatsfeindlichen Haltung.“ Die endgültige Entlastung Böhlers erfolgte durch das Nationalsozialistengesetz von 1947, das es allen „Minderbelasteten“ erlaubte, ihre berufliche Laufbahn fortzusetzen. Im Alter wurden dem damals weltberühmten Mediziner rund um den Erdball zahllose Ehrungen und Orden verliehen. Dazu gehört etwa das Goldene Ehrenzeichen des Landes Vorarlberg, die Ehrenbürgerschaft von Wolfurt sowie eine Sonderbriefmarke, die ihm die Österreichische Post 1985 zum 100. Geburtstag widmete. In Wien wurde schließlich das 1972 eröffnete Unfallkrankenhaus nach Lorenz Böhler benannt.

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