Angelika Schwarz

* 1975 in Feldkirch, ist Journalistin, studierte Germanistin und Anglistin, langjährige ORF-Redakteurin und -Moderatorin (Radio und Fernsehen). Angelika Schwarz arbeitet in der Unternehmenskommunikation der Landeskrankenhäuser Vorarlberg.

Neue Stoßdämpfer für Gelenke

Oktober 2021

Seit 2015 werden am Schwerpunktkrankenhaus Feldkirch Knorpelzelltransplantationen routinemäßig durchgeführt. Die noch junge Behandlungsmethode gilt vor allem bei jüngeren Patient:innen und Sportler:innen als besonders schonend und erfolgsversprechend. Gelenksprobleme – derzeit noch überwiegend an Knie- und Sprunggelenken – können mit minimalen Eingriffen langfristig behoben werden. „Vorarlberg ist in diesem Bereich privilegiert“, betont Dr. Florian Obwegeser: „Wir haben in Feldkirch ein Knorpelzentrum, in dem wir sämtliche Therapiemöglichkeiten anbieten können.“
Obwegeser ist Facharzt für Orthopädie und Traumatologie am LKH Feldkirch und zertifizierter Kniechirurg der Deutschen Kniegesellschaft. Gemeinsam mit dem Sport-Team unter Primar Dr. René El Attal führt er rund 40 Knorpelzelltransplantationen pro Jahr in Feldkirch durch. Mit durchwegs erfolgreichen Resultaten.

Wie Sand im Getriebe 

Der menschliche Bewegungsapparat braucht Knorpel, um zwei aneinander liegende Gelenksflächen gleiten zu lassen. Ist der Knorpel beschädigt, kann Knochen auf Knochen reiben. Das reizt die Gelenkshaut. Wie Sand im Getriebe einer Maschine, kann das auch im menschlichen Körper Schäden verursachen. Das Gelenk schwillt an und schmerzt. Dazu kommt, dass der Knorpel eine Art „Stoßdämpfer“-Funktion hat: „Der Gelenkknorpel besteht aus einer festen Struktur aus Knorpelzellen und Kollagenfasern sowie etwa 85 Prozent Wasser“, erklärt Florian Obwegeser. „Tritt der Mensch beim Gehen auf, wird durch diesen Stoßdämpfer einiges von der Kraft abgefedert, die auf die Gelenke wirkt. Ist der Knorpel defekt, landet viel Gewicht ungebremst auf dem Gelenk.“
Nur die wenigsten Knorpelschäden entstehen bei Unfällen. Die meisten Defekte bilden sich aufgrund von Abnützung. Die häufigsten Begleiterkrankungen sind allgemein bekannt: instabile Bänder, die reißen oder Kniescheiben, die aus ihrem vorgesehenen Platz „herausspicken“. „In 60 Prozent aller Gelenksspiegelungen, den sogenannten Kniegelenks-Arthroskopien, finden wir Knorpelschäden. Und die muss man auch als solche behandeln. Denn leider heilt ein defekter Knorpel nicht von selbst“, erklärt der Fachmann.
Der Knorpel hat keine Blutgefäße und Nerven, er kann sich deshalb nicht regenerieren. „Im Erwachsenenalter ist ein Knorpelschaden bleibend und führt in den meisten Fällen zu größeren Defekten. Da braucht es einen Arzt, der das erkennt und etwas unternehmen kann.“
Die Mediziner haben mehrere Möglichkeiten, den menschlichen Stoßdämpfer zu „reparieren“. Die Wahl der Methode hängt auch davon ab, wie groß der Schaden ist. In der Vergangenheit sind kleinere Defekte überwiegend durch sogenanntes Mikrofrakturieren ausgeglichen worden. Dabei ist ein Teil des Knorpels entfernt und ein Loch in den Knochen gebohrt worden: „Dadurch kann sich Narbengewebe aus Stammzellen bilden“, erklärt Florian Obwegeser. „Leider ist bei dieser Methode nach rund zwei Jahren wieder eine Behandlungen nötig. Denn auch das Narbengewebe nützt sich wieder ab, und die Situation ist danach wieder dieselbe.“ Mittlerweile wird aus diesem Grund kaum mehr mit Narbengewebe gearbeitet, sondern mit Ersatzstoffen, die statt des Knorpels eingesetzt werden – beispielsweise verfestigte Hyaluronsäure oder Kollagenmembrane.

Körpereigene Knorpelzellen züchten 

Bei größeren Schäden haben die Spezialisten am LKH Feldkirch nun seit einigen Jahren gute Erfolge mit Knorpelzelltransplantationen: „In einem kleinen, rund zehnminütigen Eingriff nehmen wir an einer Stelle, an der es nicht stört, Knorpelzellen heraus. Diese schicken wir an eines der nähergelegenen Zell­labore in Wels und Berlin.“ Nach Angaben von Obwegeser werden dort im Reagenzglas aus rund 400.000 Knorpelzellen bis zu drei Millionen neue gezüchtet. Angeregt wird die Zellteilung durch körpereigene Wachstumshormone. Nach rund sechs Wochen können die gezüchteten Zellen an der geschädigten Stelle eingesetzt werden. Der defekte Knorpel muss zuvor säuberlich entfernt werden. Die Patient:innen bleiben zwei, drei Tage im Krankenhaus. In weiteren rund sechs Wochen bildet sich dann der neue Knorpel. Während dieser Zeit entlasten Krücken den Bewegungsapparat, denn der gezüchtete Knorpel ist noch nicht so stabil wie der natürliche. Danach beginnt der wichtige Teil der Physiotherapie. Beweglichkeit und Kraft werden ganz langsam gesteigert: „Die meisten können nach etwa drei Monaten mit ersten, gelenkschonenden Sportarten wie Radfahren und Schwimmen beginnen. Ziel ist eine schrittweise, dafür aber vollständige Wiederherstellung.“
Florian Obwegeser vergleicht den Heilungsprozess mit dem Säen eines Rasens: „Zu Beginn ist da die lockere Erde mit den Grassamen. Die wachsen auch erst allmählich an und es dauert seine Zeit, bis der Rasen belastbar ist.“ 
Die Mediziner haben die Erfahrung gemacht, dass bei der gelenkserhaltenden Chirurgie die Rückkehr in den Sport – mitunter sogar im Profibereich – möglich ist. Generell kommen für solche Eingriffe Patient:innen im Alter zwischen 16 und 55 Jahren in Frage. Grade sehr junge Menschen profitieren davon, wenn sie sich nicht schon früh ein künstliches Gelenk implantieren lassen müssen.
Denn dieses muss – bedenkt man die rund 20-jährige Haltbarkeit einer Prothese – mitunter mehrere Male im Leben ausgetauscht werden: „Allerdings ist es stark abhängig vom sogenannten biologischen Alter“, fügt der Mediziner hinzu: „Ein 60-Jähriger kann durchaus noch ein sehr gutes Kniegelenk haben.“ 

Hoffnung für Hüfte, Schulter und Co.

Die Knorpelzelltransplantation ist zwar eine sehr junge, gleichzeitig aber eine sehr gut untersuchte Methode. Es sind große Studien, unter anderem in Deutschland, durchgeführt worden. „Das ist nötig, um in der EU im Bereich der Zellteilung und Genetik eine Zulassung zu bekommen.“ Und mittlerweile bescheinigen die ersten 15-Jahres-Untersuchungen der Methode positive Langzeitergebnisse. Das macht Hoffnung auf mehr: „Noch behandeln wir am LKH Feldkirch damit überwiegend Knie- und Sprunggelenke. Aufgrund der guten Ergebnisse wollen wir die Knorpelzelltransplantation aber auch auf andere Bereiche ausweiten.“ Prinzipiell kann die Methode an jedem größeren Gelenk angewendet werden, also auch an Ellenbogen, Schulter und Hüfte.

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