Thomas Feurstein

* 1964 in Bregenz, Studium der Germanistik und Geografie, Biblio­thekar und Leiter der Abteilung Vorarlbergensien an der Vorarlberger Landes­bibliothek seit 1998.

 

Paris – Bregenz – Wien

April 2019

Es war 2007 eine großartige Veranstaltung im Kuppelsaal der Vorarlberger Landesbibliothek, bei der sogar ein Oldtimer durch die schmale Türe des Kuppelsaals gezirkelt wurde. Emmerich Gmeiner, der verstorbene Stadtarchivar von Bregenz, präsentierte damals sein Buch „Eugen Zardetti und die Auto-Vorarlberger“. Im Zuge seiner Recherchen über die Anfänge des motorisierten Verkehrs in Vorarlberg sammelte er auch reichlich Material über die Fernfahrt Paris-Wien von 1902, die durch Vorarlberg führte, und die wahrscheinlich das größte Autorennen war, die das Land jemals gesehen hat.

Um die Jahrhundertwende war es besonders die französische Automobilindustrie, die mit Hilfe von internationalen Rennen das neue Verkehrsmittel bekannt machen wollte. Die Organisatoren hatten allerdings noch mit großen Hindernissen zu kämpfen, so erteilte etwa die Schweiz keine flächendeckende Erlaubnis für ein Rennen, was eine neutralisierte Etappe zur Folge hatte. Weil außerdem ein Netz an Tankstellen fehlte, mussten entlang der Strecke Depots für Treibstoff angelegt werden.
Während beim Start in Paris 10.000 Zuschauer zum Start an den Bois des Vincennes gekommen waren, hielt sich das Interesse in Vorarlberg stark in Grenzen. So berichtete ein bekannter französischer Reporter, dass Bregenz trotz des Rennens „ruhig, unbewegt, und leblos wie immer“ gewesen sei und die Bevölkerung kaum wisse, dass die Stadt sich momentan im Mittelpunkt des internationalen Automobilsports befände. Das „Vorarlberger Volksblatt“ ließ den Vorwurf gegen die Bregenzer Bevölkerung nicht gelten und entgegnete, dass über mehrere Stunden 1000 bis 2000 Menschen die Straßen gesäumt hätten. Der Berichterstatter des „Judenblattes“ habe Bregenz zu Unrecht die Begeisterung für das Autorennen abgesprochen.

Im Allgemeinen konnte aber das Vorarlberger Volksblatt für das Spektakel nicht die geringste Begeisterung entwickeln. Angesichts des horrenden Tempos, das gefahren wurde – die Strecke von Feldkirch nach Bludenz sollen die Schnellsten in elf Minuten zurückgelegt haben – sei es trotz der gesperrten Straßen zu vielen gefährlichen Situationen gekommen: „Wohl alle Anwesenden sprachen sich darüber aus, daß dieses lebensgefährliche, gesundheitsmörderische Treiben, welches die Sicherheit des Lebens der Bevölkerung auf das äußerste bedroht, in einem Staate nicht erlaubt werden sollte, geschweige daß diesen Sportshelden in ihrem Treiben noch der besondere Schutz zuteil wird.“ Bezugnehmend auf die Tatsache, dass eine große Anzahl an Aristokraten an dem Rennen teilnahm, kommt das „Volksblatt“ in seiner Ausgabe vom 2. Juli 1902 zum Schluss: „Auch ist mindestens überflüssig, daß man vor den großen Geldsäcken, die ihr Entstehen und Dasein nur dem Fleiße der arbeitenden Klasse verdanken, auf dem Bauche kriechen muß!“
Das Erklimmen des Arlbergpasses bereitete den Rennfahrern größte Mühen. Der Zustand der Straßen mit tiefen Wasserrinnen und Furchen und die fehlende Motorkraft zwangen die Fahrer zu unkonventionellen Methoden. So sollen Werkzeugkisten abgeworfen worden sein, um Gewicht zu sparen, und manche Autos erreichten den Pass nur im Rückwärtsgang. Schlimmere Unfälle sind nicht bekannt, obwohl das „Vorarlberger Volksblatt“ am 29. Juni 1902 berichtet hatte: „Wie wir aus sicherer Quelle erfahren, ist, dass gestern zuerst in Bregenz eingetroffene Fahrzeug von Herrn de Knyff, heute vormittags bei Landeck über den Straßenrand gefahren, wobei das Automobil vollständig zertrümmert und de Knyff und sein Begleiter getötet wurden.“ Fake News schon vor über hundert Jahren. Denn tatsächlich hatte René de Knyff bei Silz nur einen Bruch des Differentials erlitten und schied deshalb aus dem Rennen aus. Er war später einer der bekanntesten Funktionäre des Automobilsports und zuletzt sogar Präsident der CSI („Commission Sportive Internationale“), einer Vorläuferorganisation der heutigen FIA („Fédération Internationale de l´Automobile“).

Strahlender Sieger von Paris-Wien wurde in einer Fahrzeit von 15 Stunden 47 Minuten und 43 Sekunden Marcel Renault, der zusammen mit seinen Brüdern Louis und Fernand 1898 nahe Paris die Autofirma Renault gegründet hatte. 1903 verstarb er – wie vier weitere Fahrer und drei Zuschauer – bei einem Unfall im Rahmen des Rennens Paris-Madrid. Dieses Unglück führte zum Verbot ähnlicher Veranstaltungen und besiegelte das Ende der Fernfahrten in Europa.

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