Wolfgang Weber

Er etablierte 2003 die Grundlagenlehr­veranstaltung „Politische Bildung“ für Lehramtsstudierende in Geschichte und Sozialkunde an der Universität Innsbruck. Neben der Lehre ist seine Fachexpertise als demokratiepolitischer Bildner auch in Vermittlung und Forschung gefragt, etwa bei Ausstellungsprojekten mit Klassen der Mittelschule Lauterach (2006) und des Bundesgymnasiums Lustenau (2008) und gegenwärtig als Fachexperte im EU-finanzierten Forschungs- und Vermittlungsprojekt „World Class Teacher“ mit Standorten in England, Österreich, Polen und der Slowakei.

Günther Pallaver

ist Professor für Politik­wissenschaft und Leiter des Instituts für Medien, Gesellschaft und Kommunikation an der Universität Innsbruck.

Über die Gleichzeitigkeit von Bewegung und Konstanz

März 2020

75 Jahre Zweite Republik – 70 Jahre Vorarlberger Gemeindewahlen

Nach der militärischen Niederlage von NS-Deutschland im Mai 1945 setzten die Alliierten in den Kommunen Persönlichkeiten als Verwalter ein, die ihnen demokratisch legitimiert erschienen. In Vorarlberg öffnete das für die KPÖ als staatsgründende Partei der Zweiten Republik ein machtpolitisches Fenster, das ihr einen Bürgermeister in Klösterle, einen Vizebürgermeister in Bregenz und einen Stadtrat in Feldkirch einbrachte. Selbst im kleinen Altach gab es kommunistische Gemeindevertreter.
Dieses kommunistische Intermezzo, welches in der Vorarlberger Landeshauptstadt etwa dazu führte, dass ein Drittel der Stadtregierung von KPÖ-Mitgliedern gestellt wurde, blieb in der Landesgeschichte einmalig. Bereits 1947 dekretierte die Vorarlberger Landesregierung, der im Oktober 1945 mit Max Haller für wenige Wochen auch ein Kommunist angehörte, dass sämtliche Gemeindevertretungen in Vorarlberg nach dem Ergebnis der Landtagswahlen vom 25. November 1945 zusammenzusetzen sind. Die KPÖ war bei dieser Wahl mit 2,5 Prozent am Einzug ins Landesparlament gescheitert und war daher in diesen neuen oktroyierten Gemeindevertretungen auch nicht mehr vertreten. Nur in drei der damals vier Vorarlberger Städte wurde weiterhin ein KP-Vertreter geduldet.
Mit der ersten allen demokratischen Vorgaben genügenden freien Wahl zu den Vorarlberger Gemeindevertretungen am 23. April 1950 wurde an eine Entwicklung angeschlossen, die sich bereits in der Ersten Republik zeigte und welche sich durch das Paradoxon von Bewegung in der Konstanz beschreiben lässt.

Konstante Faktoren 

Zu jenen Parametern, die seit jeher wenig Bewegung zeigen, zählen die Anzahl der Gemeinden mit Mehrheitswahlrecht, das Alter der gewählten Mandatare, die Anzahl der kandidierenden Parteien, die Dominanz der ÖVP und die Schwäche der SPÖ sowie das Implodieren der Wahlbeteiligung nach dem Ende der Wahlpflicht zur Jahrtausendwende. Bei Gemeinde-, Landtags- und Nationalratswahlen verzichtet zwischenzeitlich rund ein Drittel der Vorarlberger und Vorarlbergerinnen auf ihr Wahlrecht. 
Beim passiven Wahlrecht zeigt der historische Rückblick, dass die Herabsetzung des Wahlalters das Durchschnittsalter der gewählten Gemeindevertreterinnen und -vertreter nicht veränderte. Es lag in den vergangenen 70 Jahren zwischen 42 und 45 Jahren. Innerhalb von 25 Jahren passten sich die Grünen hinsichtlich des Alters ihrer Parlamentarier an die beiden historischen Parteien ÖVP und SPÖ an. 2010 etwa betrug das Durchschnittsalter der Gemeindevertreter dieser drei Parteien 47 Jahre, die FPÖ lag bei 42 Jahren. 

Bewegung als Kennzeichen 

Die Implementierung der Bürgermeister-Direktwahl 1998 war ein Versuch, mehr Bewegung in das kommunale Wahlgeschehen zu bringen. Schon die Gemeindewahlordnung 1950 hatte die Möglichkeit vorgesehen, dass die Gemeindevertretung eine passiv wahlberechtigte Person, die nicht im Kommunalparlament saß, in dieses Amt wählen konnte. Wie sinnvoll eine solche Regelung war, zeigte eine dramatische Episode aus Wolfurt.
Dort war im Herbst 1956 der amtierende ÖVP-Bürgermeister aufgrund von anhaltenden parteiinternen Konflikten zurückgetreten. Die ihn ablehnende Fraktion stellte daraufhin einen Kandidaten zur Nachwahl auf. Dieser verunglückte jedoch auf dem Weg zur entscheidenden Sitzung bei einem Verkehrsunfall tödlich. Daher wurde der pensionierte Postmeister des Ortes als interimistischer Bürgermeister ernannt und in gesetzlicher Frist eine Volksabstimmung über einen neuen Bürgermeister abgehalten – zu welcher der Postmeister kandidierte und sie mit 91 Prozent gewann. Er war damit der erste direkt gewählte Bürgermeister, nicht nur in Vorarlberg, sondern in ganz Österreich.
Die tatsächliche Einführung einer flächendeckenden direkten Bürgermeisterwahl 1998 war von heftigen Konflikten der Regierungsparteien mit der Landtagsopposition begleitet. Letztere forderte unter anderem die Einführung eigener Stimmzettel für die Wahl zum Bürgermeister respektive zur Bürgermeisterin. Erstmals umgesetzt wird diese Forderung bei der bevorstehenden Wahl zu den Vorarlberger Kommunalparlamenten am 15. März 2020.

Demographische Repräsentationen 

Vergleichbar langsam vollzog sich die Öffnung der Gemeindepolitik für Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund. Zwar wurden Frauen bereits bei der ersten Gemeindewahl der Zweiten Republik anno 1950 als Kandidatinnen nominiert, in der Regel reichte es jedoch wie etwa bei Elfriede Blaickner 1950 in Feldkirch lediglich zur Wahl als Ersatzmitglied der Gemeindevertretung. Blaickner wurde jedoch 1954 zum ordentlichen Mitglied der Feldkircher Gemeindevertretung und 1959 mit der Sozialdemokratin Anna Mayr zur ersten weiblichen Abgeordneten in den Vorarl­berger Landtag gewählt. Die erste Bürgermeisterin in Vorarlberg gab es mit Anna Franz erst 1998 in Bezau.
Zwischen 1950 und 2015 stieg der Anteil von Frauen in Vorarlberger Gemeindevertretungen von null auf 23,6 Prozent. Das ist nach Wien der höchste, faktisch trotzdem bescheidene Frauenanteil in Österreich. Immerhin stieg der Anteil der Gemeindevertreterinnen zwischen 1985 und 2010 bei der ÖVP von 5 auf 24 Prozent; bei der SPÖ von 6 auf 27 Prozent; bei der FPÖ von 7 auf 15 Prozent; bei den Grünen zwischen 1990 und 2010 von 35 auf 45 Prozent. Die Grünen warben 2010 damit, dass 10 Prozent ihrer Kandidaten und Kandidatinnen an wählbarer Stelle eine migrantische Herkunft hätten.
Dass Zuwanderung, zumindest Binnenmigration, bereits 1950 ein Thema der Gemeindewahlen war, zeigt die hier abgedruckte Schmähkarte aus dem Dornbirner Wahlkampf 1950: Darauf wurde der aus Hard gebürtige Dornbirner Bürgermeister G.A. Moosbrugger als „nicht einheimisch“ angegriffen.

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.