Markus Rhomberg

Geschäftsführer der Internationalen Bodensee-Hochschule, einem Verbund von 27 Universitäten und Hochschulen in der Vierländerregion. Zuvor hat er sich als Professor für Politische Kommunikation in Hamburg und Friedrichshafen vor allem mit dem Verhältnis von Wissenschaft, Medien und Politik beschäftigt und Strategien für erfolgreiche Klimakommunikation untersucht.

Vertrauen, ein sensibles Pflänzchen

Dezember 2021

Warum Vertrauen gerade in Zeiten gesellschaftlicher Unsicherheit wichtig für ein vitales Gemeinwesen und die Qualität von Demokratien ist.

Von fehlendem Vertrauen lesen, sehen und hören wir gerade jetzt ziemlich oft. Während der Corona-Pandemie hat es einem nicht unbedeutenden Teil der Bürger und Bürgerinnen an Vertrauen in die Wissenschaft gemangelt. Wir erinnern uns an die Diskussionen über Breite und Tiefe von Maßnahmen oder die Qualität von Impfstoffen. Wenngleich das Vertrauen in die Wissenschaft allgemein weiterhin hoch ist, gehen – beispielsweise − 40 Prozent der Deutschen davon aus, dass Wissenschaftler uns nicht alles sagen, was sie über SARS-CoV-2 wissen. Die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, dass Vertrauen ein sensibles Pflänzchen ist – nicht nur im Hinblick auf die Wissenschaft, sondern auch in Bezug auf andere Bereiche der Gesellschaft, wie die Politik oder die Medien. 
Mancher spricht gar von einer Vertrauenskrise in die Institutionen der Gesellschaft an sich und erinnert an den von Niklas Luhmann geprägten Begriff des Systemvertrauens. Vertrauen, so beschreibt es Luhmann, ist ein Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität. In einer unüberschaubaren und hoch spezialisierten Welt, in der die Auswertung von Informationen zeitraubend und aufgrund individuell fehlenden Wissens in Spezialbereichen gar nicht möglich ist, befähige Vertrauen in andere Menschen und Institutionen dazu, sich bei seinen Entscheidungen an Empfehlungen zu orientieren. 
Gerade in Zeiten der Unsicherheit steht Vertrauen auf dem Spiel. Gewissheiten, Regeln und Routinen, auf die man sich lange Zeit verlassen konnte, brechen auf und lassen ein Vakuum zurück. Insbesondere während solcher Krisen besteht die Gefahr, dass das Misstrauen in Mitmenschen wächst und sich gesellschaftliche Gräben vertiefen.
Auch die Coronakrise ist ein Kristallisationspunkt von Vertrauen. Wer seinen Mitmenschen Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit attestiert, ist eher bereit, sich an Regeln zu halten oder sich impfen zu lassen. Dies legen Befunde einer aktuellen Studie für Deutschland* nahe: „Die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, ist deutlich größer bei Menschen, die ihren Mitmenschen starkes Vertrauen entgegenbringen. Und wer ein ausgeprägtes Vertrauen in seine Mitmenschen hat, hält eher die AHA-Regeln ein.“ Umkehrt gilt: Wer seinen Mitmenschen sehr wenig vertraut, befolgt seltener diese Regeln und hat eine schwächere Impfbereitschaft.
Vertrauen steigt ebenso mit Transparenz. Dazu ein Beispiel: In Dänemark wurde ein Impfstoff nach Berichten über vereinzelte schwere Fälle nach der Impfung wieder zurückgezogen. Während der dänischen Regierung unmittelbar nach diesem Stopp vorgeworfen wurde, dem Vertrauen in die Impfung zu schaden, zeigt sich in der Nachschau, dass gerade diese Maßnahme vertrauensbildend auf die Bevölkerung gewirkt und letztlich zu einer hohen Impfbereitschaft geführt hat. Drei der Grundelemente, auf die Vertrauen baut, sind also Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit und Transparenz.

Im Dickicht von Informationen und Quellen

Unsere liberalen Gesellschaften neigen dazu, von informierten und mündigen Bürgern auszugehen, die selbstständig Entscheidungen treffen sollen. Doch so einfach ist das nicht: Um gute Entscheidungen für uns und das Gemeinwesen treffen zu können, brauchen wir eine Entscheidungsgrundlage. Und diese Grundlage setzt sich aus Informationen aus Quellen zusammen, denen wir unser Vertrauen schenken. Denn wir können ja nicht immer und über alles Bescheid wissen. 
Deshalb vertrauen wir beispielsweise Menschen in unserem Umfeld beim Treffen von Entscheidungen. Ich vertraue guten Freunden, wenn ich mich für einen Jobwechsel entscheide. Ich vertraue einem Fahrradverkäufer, dass genau dieses Fahrrad das richtige Modell für meine Bedürfnisse ist. Ich vertraue einem Arzt bei der Diagnose und den Behandlungsmethoden für eine Krankheit. Ich vertraue Zeitungen, Radio- oder TV-Sendern bei deren Schilderung aktueller Situationen und nehme diese als Grundlage für meine Wahlentscheidung. Und ich delegiere in repräsentativen Demokratien meine Stimme für eine Legislaturperiode an Politiker, denen ich damit einen Vertrauensvorschuss gebe.
Wie, wo und durch wen entsteht nun aber die für unser Zusammenleben so wichtige Ressource? Zwei aktuelle Studien von Universitäten aus der Bodenseeregion zur Corona-Impfung sind hier aufschlussreich. In einer repräsentativen Befragung von 2000 Menschen in Deutschland konnte ein Team der Universität Konstanz und des Santa Fe Institute in New Mexico (USA) zeigen, dass der überwiegende Teil noch nicht geimpfter Menschen insbesondere von Menschen aus ihrem direkten Umfeld, denen sie vertrauen, überzeugt werden könnte.
Weniger als fünf Prozent der Ungeimpften seien harte Impfgegner, sagt die Ökonomin Katrin Schmelz von der Universität Konstanz. Der Rest könne potenziell überzeugt werden.
Neben dem persönlichen Vertrauen in Freunde oder Familienangehörige kann aber auch das Vertrauen in Institutionen helfen, die Impfbereitschaft zu erhöhen. Eine Studie der Zeppelin Universität Friedrichshafen, der Universität Mannheim und der Georgetown University in Washington, D.C. in der Stadt Bad Nauheim konnte zeigen, dass eine aktive Ansprache durch Akteure mit hohem Vertrauen in der Stadt, gemeint sind in diesem Fall der Bürgermeister und der örtliche Klinikleiter, die Impfbereitschaft signifikant erhöhen konnte. 
Auch die Konstanzer Studie kommt zu ähnlichen Ergebnissen: „Das Vertrauen in öffentliche Institutionen hat einen entscheidenden und direkten Einfluss: Wer dem Staat misstraut, mag sich schon gar nicht zum Impfen zwingen lassen“, sagt Ökonomin Schmelz. „Die Akzeptanz einer möglichen Impfpflicht, aber auch die freiwillige Impfbereitschaft ist gerade bei den Menschen merklich zurückgegangen, die zwischen den ersten beiden Lockdowns Vertrauen in die Regierung und die Wissenschaft verloren haben. Im Durchschnitt war das politische Vertrauen im Herbst allerdings noch genauso hoch wie im vorherigen Frühjahr: Menschen, die Vertrauen in den Staat verloren haben, halten sich die Waage mit Menschen, die Vertrauen gewonnen haben.“

Warum aber vertraut man bestimmten Menschen und Institutionen und anderen nicht? 

Natürlich vertrauen wir zunächst jenen, denen wir nahestehen, und deren Empfehlungen. Bei den komplexen und abstrakten Fragen unserer Zeit sind wir aber auf Informationen „fremder“ Quellen angewiesen. Bis vor wenigen Jahren war deren Anzahl noch relativ überschaubar. Doch die substanzielle Zunahme an Informationen und Quellen durch die digitale Revolution hat dazu geführt, dass Kompetenzen bei der Recherche und der Beurteilung der Qualität von Quellen und Informationen essenzielle Kernkompetenzen (geworden) sind. Insbesondere bei jungen Menschen stellt sich diese Anforderung ganz zentral (siehe Text-Box).

Vertrauen hält unsere Gesellschaft zusammen

Vertrauen hält also nicht nur unsere Gesellschaft zusammen, sie macht es uns auch einfacher, Entscheidungen treffen zu können. Um gute Entscheidungen treffen zu können, brauchen wir allerdings transparente und argumentative Diskurse, um die Qualität von Quellen und Informationen richtig bewerten zu können. Und dafür benötigen wir die entsprechenden Werkzeuge. Gleichwohl kann es nicht darum gehen, den Eindruck zu erwecken, als ob es mit Vertrauen allein schon getan wäre. Auch ein gewisses Misstrauen gegenüber Institutionen ist wichtig für die Güte unserer Institutionen. Denn nur so können sich diese auch weiterentwickeln und damit die Qualität der Demokratie stärken.

Eine Kluft bei den Jungen

Eine Studie der Universitäten St. Gallen, Liechtenstein sowie der Pädagogischen Hochschulen PH Weingarten und der PH Vorarlberg hat nachgewiesen, dass bei Schülern in der Bodenseeregion eine Kluft zwischen der Wahrnehmung und der tatsächlichen Informationskompetenz besteht: Unabhängig von der Schulform überschätzen Schüler im Alter von 15 bis 19 Jahren ihre eigenen Fähigkeiten zur Recherche und Bewertung von Quellen. Insbesondere bei Jungen ist diese Kluft besonders groß. Diese überschätzten Kompetenzen treffen dann auf eine schier unendlich große Zahl an potenziell verfügbaren Quellen mit unterschiedlichen Qualitäten. Dabei ist die sogenannte Informationskompetenz eine der wichtigsten Fähigkeiten für gesellschaftliche Teilhabe und sollte, so die Studienautoren, fächerübergreifend in den ersten Schuljahren gefördert werden.

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