
Wenn nichts passiert – und doch alles richtig war
Über das politische Präventionsparadox: Warum wir den Erfolg von Maßnahmen oft nur an den sichtbaren Ergebnissen messen.
Es gibt diesen seltsamen Moment in der Politik: Wenn alles rund läuft, stellt niemand Fragen. Doch wehe, es geht etwas schief – dann beginnt das große Fingerzeigen. Der unsichtbare Erfolg wird als selbstverständlich angesehen, während der sichtbare Misserfolg mit einer Welle von Konsequenzen überzogen wird, die mit dem bloßen Verhindern einer Katastrophe nie erreicht worden wäre. Willkommen im politischen Präventionsparadox, einer Welt, in der Politiker und Politikerinnen oft mehr riskieren, wenn sie proaktiv handeln, als wenn sie einfach nichts tun.
Stell dir vor, eine Landesregierung investiert Millionen in die Reparatur von maroden Brücken. Es gibt keine dramatischen Zwischenfälle, keinen großen Unfall. Doch anstatt für diese vorausschauende Entscheidung gelobt zu werden, hört sie oft nur: „War das wirklich nötig?“ Tritt keine Katastrophe ein, erscheint der Aufwand unverhältnismäßig – auch wenn genau dieser Aufwand verhindert hat, dass es irgendwann zu einem Unglück kommt. Hier sieht man das Präventionsparadox in Aktion: Die immense Arbeit, die in die Vermeidung eines Problems gesteckt wird, bleibt unsichtbar. Wenn es keine Katastrophe gibt, dann fragt niemand nach den Investitionen, die sie verhindert haben.
Dieses Phänomen begegnet uns überall – in der Politik, in Unternehmen und sogar im privaten Bereich. Nehmen wir das Beispiel der Hygiene in der Gastronomie: Wer geht schon davon aus, dass ein Restaurant einfach nur gut organisiert ist, weil nichts passiert? Doch wehe, es wird eine Lebensmittelvergiftung bekannt. Dann gibt es Schlagzeilen, die ganze Ketten von Restaurantbesuchen stürzen, und es wird gefragt, warum das Restaurant nicht sicherer war. Aber das reibungslose, unsichtbare Funktionieren der Hygiene bleibt unbemerkt. Niemand fragt nach den präventiven Maßnahmen, die dafür gesorgt haben, dass genau diese Katastrophe nicht eintritt.
Auch in der internationalen Politik findet sich dieses Paradox, etwa bei der militärischen Prävention. Länder investieren in teure Verteidigungsmaßnahmen – sei es durch Waffen, Geheimdienste oder diplomatische Initiativen. Aber was passiert, wenn der vermeintliche Feind nicht angreift und die Gesellschaft keinen Krieg erlebt? Der Erfolg dieser Prävention bleibt unsichtbar. In den Medien wird eher gefragt: „Haben wir wirklich so viel Geld in Rüstung stecken müssen?“ Nur weil keine Katastrophe eingetreten ist, wird der Erfolg der vorausschauenden Maßnahmen selten gewürdigt.
Aber warum ist das so? Der Grund liegt in unserer Wahrnehmung: Wir messen den Erfolg von Maßnahmen oft nur an den sichtbaren Ergebnissen. Wenn ein Problem bereits existiert, ist es leichter, es zu beheben und für die Lösung Applaus zu bekommen. Im Gegensatz dazu wird Prävention als „Vorsichtsmaßnahme“ abgetan – bis es zu spät ist und niemand den Schaden vermeiden konnte. In der Politik führt das dazu, dass Politiker und Politikerinnen oft zögern, präventive Schritte zu unternehmen, weil sie ständig Gefahr laufen, dass der Nutzen erst später sichtbar wird. Und wenn der Erfolg unsichtbar bleibt, wird auch die Investition in Prävention nicht immer als sinnvoll wahrgenommen.
Lassen wir uns ein weiteres alltägliches Beispiel anschauen: Die Verkehrssicherheit. Viele Städte investieren riesige Summen in die Verbesserung von Fußgängerüberwegen, in bessere Beleuchtung und in Verkehrskontrollen. Doch wenn diese Maßnahmen erfolgreich sind und es zu weniger Unfällen kommt, gibt es keine große Anerkennung für diese Maßnahmen. Stattdessen wird der Erfolg dieser Prävention kaum wahrgenommen. Sobald ein schwerer Unfall passiert, geht sofort der Fingerzeig los: „Warum wurde das nicht verhindert?“ Aber dass dieser Unfall möglicherweise genau durch präventive Maßnahmen verhindert wurde, wird selten erwähnt.
Was können wir also tun, um das Präventionsparadox zu überwinden?
Erstens: Wir müssen anfangen, präventive Maßnahmen sichtbar zu machen. Das bedeutet, wir müssen Geschichten erzählen, die den Wert von „Nicht-Katastrophen“ zeigen. Statt zu sagen: „Kein Problem aufgetreten“, könnten wir betonen, wie wichtig es war, dieses Problem im Vorfeld zu vermeiden.
Zweitens: In der Politik sollten wir langfristige Erfolge belohnen, nicht nur schnelle Lösungen für akute Probleme. Politiker und Politikerinnen müssen lernen, dass der Erfolg von Prävention nicht nur durch kurzfristige Ergebnisse, sondern durch das Verhindern von Katastrophen über die Zeit sichtbar wird.
Drittens: Wir sollten anfangen, Mut zur Prävention in der Gesellschaft zu fördern. Denn je mehr wir präventive Maßnahmen wertschätzen, desto eher werden diese auch politisch umgesetzt.
Die Frage, die wir uns stellen sollten, lautet also: Wie können wir lernen, die unsichtbaren Erfolge der Prävention genauso zu feiern wie die Lösungen akuter Probleme? Wenn wir diese Fähigkeit entwickeln, könnte Prävention nicht nur als ein notwendiges Übel, sondern als ein politisches Ziel wahrgenommen werden – als ein Zeichen von Weitsicht und Verantwortungsbewusstsein. Wie der alte Spruch sagt: „Vorbeugen ist besser als heilen.“ Und auch wenn wir in der Politik oder im Alltag nicht sofort dafür gefeiert werden, die Katastrophe verhindert zu haben, sollten wir nicht vergessen, dass es dieser unsichtbare Erfolg ist, der uns am Ende den Weg ebnet.
Kommentare