Thomas Feurstein

* 1964 in Bregenz, Studium der Germanistik und Geografie, Biblio­thekar und Leiter der Abteilung Vorarlbergensien an der Vorarlberger Landes­bibliothek seit 1998.

 

Vom Bregenzerwald in die Welt

September 2021

In der Gemeinde Engelberg im Innerschweizer Kanton Obwalden kämpfen zwei Vorarlberger Bauunternehmer fern der Heimat um einen gigantischen Auftrag, der ihrer Firma über Jahre hinweg ein Auskommen garantieren würde. Sie schrecken dabei nicht einmal vor dubiosen Zahlungen zurück, um den Auftrag zu ergattern. Alles kein Wirtschaftskrimi von heute, sondern das zähe Ringen zweier Bregenzerwälder Barockbaumeister um den Neubau der dortigen Benediktinerabtei, der notwendig wurde, da am 29. August 1729 die Unvorsichtigkeit von Klosterschülern das Kloster in Brand gesetzt und in Schutt und Asche verwandelte hatte. Nach dem verheerenden Großbrand fiel die Wahl für den Baumeister des Neubaus auf den aus Bezau stammenden Johann Michael Beer von Bleichten (1700-1767), der aber bald durch den Schweizer Johannes Rey (1662-1734) ersetzt wurde, da Beer zu hohe Lohnforderungen gestellt hatte. Als sich Rey aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen zurückzog, entschieden sich die Engelberger Mönche schließlich für den Baumeister Johannes Rüeff aus Au (1686-1750), der sich dann kurz vor Vertragsunterzeichnung noch einmal der Konkurrenz Beers ausgesetzt sah. Dieser bot Rüeff sogar 1000 Taler Entschädigung an, wenn er ihm den Auftrag überlassen würde. Dieser willigte ein, Beer wurde als neuer Baumeister ausgerufen, änderte allerdings am selben Abend noch einmal seine Meinung, wodurch Rüeff nun den endgültigen Zuschlag bekam und dann auch den Bau realisierte. Neben einigen wenigen Handwerkern aus der Umgebung rekrutierte Rüeff seine Maurer, Zimmerleute und Stukkateure in seiner Vorarlberger Heimat. In wissenschaftlicher Weise in seiner Dissertation, sehr unterhaltsam hingegen in kleineren Publikationen beschreibt der Schweizer Kunsthistoriker Michael Tomaschett den Bau des Klosters Engelberg, wobei an vielen Stellen die tragende Rolle der Bregenzerwälder Baumeister und Handwerker sichtbar gemacht wird.
Derartige Literatur zu den Barockbaumeistern zu sammeln, war in der Vorarlberger Landesbibliothek immer schon eine Selbstverständlichkeit, ja fast eine Frage der Landesidentität, die darin gipfelte, dass der Gründer der Landesbibliothek in den 1990er Jahren den bibliothekarischen Nachwuchs zu kunsthistorischen Ausflügen einlud, um mit ihm in Birnau, Weingarten oder St. Gallen seine Begeisterung am barocken Überschwang zu teilen. Als Folge der kontinuierlichen Sammeltätigkeit gibt es in der Bibliothek eine umfangreiche Sammlung von opulenten Bildbänden, vielen kleinen Kunstführern und wissenschaftlichen Artikeln zu diesem Thema. In dieser Tradition verhaftet ist natürlich auch in der Landesbibliothek die Freude groß, wenn in Kürze in Au und Bezau Barockbaumeistermuseen eröffnet werden.
In Au-Rehmen ist es das denkmalgeschützte „Kurathuus“, das zum Museum wird, in Bezau wird das Heimatmuseum, ein typisches Bregenzerwälder Bauernhaus, durch einen Zubau umgestaltet. Während in Au die Eröffnung des Museums am 26. September 2021 kurz bevorsteht, ist in Bezau die Fertigstellung frühestens für 2023 geplant.
Zu verdanken ist die Initiative für die neuen Museen einer dynamischen Aktiv­gruppe, zu der in Au auch Bernadette Rüscher zählt, die uns einen kleinen Einblick in das Kommende gewährt. Sie und viele andere engagierte MitarbeiterInnen interessieren sich schon lange für die Geschichte des Bregenzerwaldes und insbesondere für die heimischen Barockbaumeister. Das Ziel ihrer Anstrengungen ist es, Orte zu schaffen, an denen Objekte gesammelt und ausgestellt werden, wo Forschung betrieben wird und wo man sich Gedanken über das kulturelle Erbe und dessen Bedeutung für die Gegenwart macht.
Für Rüscher ist das neue Museum in Au nicht nur dazu da, vorhandenes Wissen um bedeutende Bauten wie das Kloster Einsiedeln, die Stiftskirche St. Gallen oder die vielen kleinen feinen Bauten wie z.B. die Pfarrkirche in Bernhardzell (Kanton St. Gallen) aufzulisten und sich im Glanz der prächtigen Barockbauten zu sonnen, vielmehr gilt das Interesse der eigenen Geschichte, den Wurzeln der damaligen Akteure. Es stellen sich dabei viele Fragen, wie etwa nach der Organisation der Auer Handwerkszunft: Wie konnte es gelingen, dass sich die Bauleute des Hinteren Bregenzerwaldes zu mächtigen Generalunternehmen zusammenschließen konnten, die architektonische Meisterleistungen aus einer Hand lieferten, oft vom Grundstein bis zur Kirchturmspitze? Das Museum in Au beschäftigt sich auch intensiv mit der generellen Frage der damaligen Bildung, dem „Wissen der Hände“. Die berühmten „Auer Lehrgänge“, voluminöse Lehrbücher für Baumeister, Stukkateure und Maurer, sind anschauliche Zeugnisse für die strukturierte Wissensvermittlung der damaligen Zeit.
Das Wesen der Auer Zunft war es, nicht nur ökonomisch organisiert zu sein, sondern auch religiöse Verpflichtungen im Rahmen einer Bruderschaft einzufordern. Es galt für sich selbst und für die Gruppe Verantwortung zu übernehmen, was im Bregenzerwald auch bei gemeinschaftlich geführten Viehweiden, Vorsäßen oder Alpen der Fall war.
Ein spannendes Thema im Rahmen der Vorarbeiten war die Suche nach geeigneten Objekten. Hier galt es, die Bevölkerung miteinzubeziehen, Menschen mit ihren Geschichten und deren über Jahrhunderte gehüteten Raritäten zu entdecken, daraus zu lernen und weitere Forschung anzuregen. In diesem Zusammenhang fasziniert Rüscher besonders die Thematik der daheimgebliebenen Frauen, ein spannendes sozialgeschichtliches Thema, bei dem noch viel Platz für zukünftige Forschung bleibt. Ganz im Sinne der neuen Museen, die sich als lernende Institutionen verstehen, die dem Einfluss der reichen Tradition auf gegenwärtiges Handwerk und zeitgenössische Architektur nachspüren.

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