Herbert Motter

Vom zähen Ringen um ein Zwischenstadium

März 2016

Die Ausgaben für das Krankengeld haben in Deutschland eine Höchstmarke erreicht. Der dortige Sachverständigenrat empfiehlt daher die Einführung eines „Teilkrankenstands“. In Österreich laufen die Diskussionen darüber schon länger,
die Verhandlungen sind aber immer noch zäh.

Bei unserem Nachbarn Deutschland sind die jährlichen Ausgaben der Krankenkassen für das Krankengeld auf ein Rekordniveau von 10,6 Milliarden Euro gestiegen. In Summe ergeben sich für die deutschen Betriebe Kosten durch krankheitsbedingte Fehlzeiten von rund 56 Milliarden Euro pro Jahr. Jetzt werden neue Maßnahmen gefordert, die der Arbeitsrealität gerecht werden sollen. Unter anderem ist von einem Teilkrankenstand die Rede. Ein Patient soll je nach der Schwere der Erkrankung zu 100 Prozent, 75 Prozent, 50 Prozent oder zu 25 Prozent krankgeschrieben werden können. Dementsprechend soll die Arbeitszeit reduziert werden. Eine solche Regelung gibt es bereits in Schweden. Je nach Verlauf der Krankheit wird die Einstufung angepasst. Auch in der Schweiz und in Liechtenstein werden solche Modelle erfolgreich gehandhabt. Österreich hinkt in dieser Frage immer noch meilenweit hinterher. Trotz steigender Kosten.

2013, dem jüngsten Jahr mit verfügbarem Datenmaterial, zahlten die österreichischen Arbeitgeber laut Angaben des Sozialministeriums in Summe 2,8 Milliarden Euro an Entgeltfortzahlungen. Weitere 626 Millionen Euro wurden von den Sozialversicherern in Form von Krankengeld ausbezahlt. Damit beliefen sich die direkt zuordenbaren Krankenstandskosten in Summe auf 3,4 Milliarden Euro. Auf etwa 8,6 Milliarden Euro  belaufen sich die jährlichen volks- und betriebswirtschaftlichen Kosten insgesamt.

Schleppende Verhandlungen

Vor einem Jahr haben wir hier an gleicher Stelle für Österreich, wo die Diskussion schon seit einigen Jahren läuft, von einem „Lichtblick in einer Entweder-oder-Diskussion“ berichtet.  Der Titel sollte dem Beginn der Verhandlungen und einer Einigung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite Rechnung tragen. Doch ein Jahr später ist Ernüchterung eingekehrt.  Aktuell agiert man in Sachen Teilkrankenstand, Teilarbeitsfähigkeit oder Wiedereingliederungsmanagement – selbst die Begrifflichkeit führt hierzulande zu endlosen Debatten – weiterhin nicht lösungsorientiert und kennt nur schwarz oder weiß, das heißt jemand ist arbeitsfähig oder nicht. So sieht es auch das Arbeitsrecht.

Inzwischen ist der damals zuständige Sozialminister Hunds­torfer höheren Weihen gefolgt und Bundespräsident-Kandidat. Sein Nachfolger Stöger kämpft derweil noch mit zu vielen anderen Baustellen. Damit dümpeln die schleppenden Sozialpartnerverhandlungen unter Beteiligung des Sozialministeriums ohne große öffentliche Aufmerksamkeit weiter dahin.

Daran hakt und spießt es sich

Besonders bei den Kosten scheiden sich die Geister. Während Einigkeit über das Prinzip der Freiwilligkeit bei einer möglichen Wiedereingliederung herrscht und sie nur erfolgen kann, wenn sie medizinisch sinnvoll ist (medizinisches Leitungskalkül), gibt es Dissens beim Entgelt. Letztlich geht es um eine von der GKK geförderte, befristete Teilzeitlösung, die Arbeitnehmer und Arbeitgeber zur Wiedereingliederung vereinbaren. „Wir bestehen darauf, dass die Arbeitgeber bei Teilzeit auch nur aliquote Kosten treffen. Die Arbeitnehmer-Seite will eine Vollkasko-Versicherung“, sagt Rolf Gleissner von der Sozialpolitischen Abteilung der WKÖ und einer der Verhandler. Uneinig ist man sich auch über die Rolle des Betriebsrats. Und weil ein Scheitern der Verhandlungen so gar nicht schick ist, wird weiter hinter verschlossenen Türen an einem möglichen Kompromiss gebastelt.
Die Wirtschaft plädiert jedenfalls für eine Teilarbeitsfähigkeit auf freiwilliger und medizinisch abgestimmter Basis auch bei kürzeren Krankenständen. „Selbstverständlich bedeuten derartige Modelle nicht, dass Menschen trotz Krankheit arbeiten gehen müssen. Die Überlegungen zielen darauf ab, Beschäftigten nach einer Erkrankung entsprechend ihrer jeweiligen Einschränkung die Möglichkeit zur Mitwirkung im Unternehmen zu geben. So wird es in vielen Fällen möglich sein, dass Büro­angestellte trotz eines gebrochenen Beins ihrer Tätigkeit zumindest stundenweise nachgehen, statt wochenlang der Arbeit fernzubleiben“, betont Christoph Jenny, stv. Direktor der Wirtschaftskammer Vorarlberg.

Warum eine rasche Lösung in dieser Frage dringend notwendig ist, liegt neben den ständig wachsenden volkswirtschaftlichen Kosten auf der Hand. Lebensrealität und Arbeitswelt sind längst andere geworden, gesetzliche Regelungen, und hier besonders im Arbeitsrecht, hinken diesen Entwicklungen hinterher. Zudem glaubt die Gewerkschaft, den Arbeitnehmern jede Eigenverantwortung abnehmen zu müssen. Für die Arbeitgeber sind vor allem Dauerkrankenstände eine große Belastung. Firmeninterne Mehrbelastungen und Nachschulungsbedarf machen es verständlich, dass sich die Unternehmen eine rasche Rückkehr der Mitarbeiter wünschen.  „Für unsere Patienten ist die Möglichkeit einer Wiedereingliederung in vielen Fällen auch eine existenzielle Notwendigkeit. Im vergangenen Jahr haben wir eine beträchtliche Summe aufgebracht, um Lebensmittelrechnungen armutsgefährdeter Krebspatienten zu bezahlen. Viele von ihnen möchten arbeiten, haben aber derzeit nicht die Chance dazu. Das ist eine sehr schwierige Situation“, erklärt Gebhard Mathis, Präsident der Vorarlberger Krebshilfe.

Vernachlässigte Arbeitsmedizin

Wesentlich für eine Umsetzung eines solchen Modells ist es, dass die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit durch Ärzte erfolgt, die über ein ausreichendes arbeitsmedizinisches Fachwissen verfügen. Nur so kann gewährleistet werden, dass die Einschätzung der möglichen Tätigkeiten in der Zusammenschau von Art der Erkrankung und den mit der Arbeitsaufgabe verbundenen Anforderungen vorgenommen wird. Genau das aber ist eine weitere Crux in dieser Frage. An den österreichischen Universitäten ist laut Ärztekammer der Bereich Arbeitsmedizin völlig „unterbelichtet“. Diese Ausbildungsdefizite hätten Auswirkungen auf die arbeitsmedizinische Versorgung aller Arbeitnehmer im Land.

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