Peter Bußjäger

Verfassungs- und Verwaltungsjurist

„Wird Vorarlberg die UN anrufen?“

Dezember 2019

Der Grenzstreit auf Sareis in den 1950er Jahren

Das Angebot Donald Trumps an Dänemark, die Insel Grönland um gutes Geld abzukaufen, hat dort für große Empörung gesorgt. Geld für Land ist eine Politik, die in früheren Jahrhunderten gang und gäbe war, was zur Verschacherung ganzer Ländereien führte. Wenig bekannt ist, dass es zwischen Liechtenstein und Österreich vor nicht allzu langer Zeit zu einem, in seinen Dimensionen allerdings deutlich bescheideneren Angebot gekommen ist, doch dazu später.
Es ist kaum mehr in Erinnerung, dass die Grenze zwischen Liechtenstein und Österreich/Vorarlberg im Gebiet des Nenzinger Himmels und der liechtensteinischen Alpe Sareis lange Zeit umstritten war. Aufmerksamen Wanderern, die von Malbun über das Sareiser Joch in den Nenzinger Himmel abgestiegen sind, wird aufgefallen sein, dass die Staatsgrenze an dieser Stelle ausnahmsweise nicht über die Berggrate verläuft, sondern deutlich tiefer, eben unterhalb der Alpe Sareis, schon ziemlich nahe am Talkessel des hinteren Gamperdonatales. 
Der Grund für diese Anomalität liegt in alten Weiderechten der Liechtensteiner auf der Vorarlberger Seite. Der Grenzverlauf war 1835 festgelegt worden. Nachdem Österreich und Liechtenstein von 1852 bis 1919 eine Zollunion gebildet hatten, war der wirtschaftlich bedeutungslosen Grenze allerdings wenig Beachtung geschenkt worden, viele Marksteine und Grenzzeichen gingen verloren, woraus sich nach 1945 ein veritabler Grenzstreit entwickeln sollte.
Wie unklar der Grenzverlauf war, zeigt sich daran, dass noch vor 1945 von der Bezirkshauptmannschaft Bludenz das riesige, wenig bekannte Felstor im Nenzinger Himmel, von den Liechtensteinern Wildmannskirchli genannt, von der Bezirkshauptmannschaft Bludenz zum Naturdenkmal erklärt worden war, weil man davon ausging, dass sich das bis zu 40 Meter hohe Felstor auf österreichischem Staatsgebiet befand.
Als 1949 eine gemeinsame österreichisch-liechtensteinische Grenzkommission den Grenzverlauf festlegen sollte, ergab sich, dass die Meinungen um ganze 27 Hektar Alpgebiet voneinander abwichen. Ein jahrelanges Hin und Her zwischen Vaduz, Wien und Bregenz war die Folge. Vor allem die Vorarlberger Landesregierung intervenierte in Wien massiv für eine harte Haltung gegenüber Liechtenstein.
Eine gewisse Entspannung trat ein, als Österreich das Privateigentum der liechtensteinischen Alpe Sareis anerkannte. Nunmehr stellte sich nur noch die Frage, wo die Staatsgrenze verlief. Die Stimmung verschlechterte sich allerdings eher, als Liechtenstein Österreich 10.000 Franken für das strittige Gebiet bot. Vor allem in Vorarlberg wurde es als inakzeptabel betrachtet, Land für Geld zu verkaufen. Trump lässt grüßen.
Vorarlberg drängte Wien dazu, mit Liechtenstein einen Schiedsvertrag abzuschließen. Sogar eine Anrufung der UNO stand im Raum: „Wird Vorarlberg die UN anrufen?“ titelte das Vorarlberger Volksblatt im November 1953. Die feine Ironie: Weder Österreich noch Liechtenstein waren damals Mitglieder der Vereinten Nationen.
Gerade die Tatsache, dass nun ein Schiedsgericht im Raum stand, bei dem sich keine der Streitparteien sicher sein konnte, beflügelte nun doch die Konsensfindung. Man einigte sich schließlich darauf, das strittige Gebiet salomonisch zwischen den Ländern Österreich und Liechtenstein zu teilen. Gleichzeitig wurde von österreichischer Seite aus rechtlichen Gründen peinlichst vermieden, von einer Grenzänderung zu sprechen, vielmehr sollte nur deren Verlauf einvernehmlich festgestellt werden. Man wollte offenbar nicht, dass Österreich, das erst mit dem Staatsvertrag von 1955 seine volle Souveränität wiedererlangt hatte, den Eindruck erweckte, als stünden seine Grenzen auch nur irgendwo zur Disposition.
Am 17. März 1960 wurde der Vertrag zwischen der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein zur Feststellung der Staatsgrenze und Erhaltung der Grenzzeichen in Vaduz unterzeichnet. Er trat am 1. Oktober 1960 in Kraft und regelt nicht nur den strittigen Grenz­abschnitt, sondern die gesamte österreichisch-liechtensteinische Grenze zwischen Naafkopf und Bangs am Rhein.
Mit dem Vertrag wechselte das Naturdenkmal Felstor im Gamperdonatal seine staatsrechtliche Zugehörigkeit. Noch 1995 ließ die Bezirkshauptmannschaft Bludenz irrtümlich eine Tafel auf liechtensteinischem Hoheitsgebiet anbringen. Mittlerweile ist auch dieser Fauxpas bereinigt.

Literatur

Ulrich Nachbaur, Vorarlberger Territorialfragen 1945 bis 1948, Konstanz 2007, S. 247 – 251

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