Lasst die Schüler arbeiten!
Ein Plädoyer für die „Vorwissenschaftliche Arbeit“
Schon die Einführung der Vorwissenschaftlichen Arbeit (VWA) als Teil der Reifeprüfung der Allgemeinbildenden höheren Schulen (AHS) ist auf Widerspruch gestoßen. Viele Lehrpersonen und Vertreter der Gewerkschaft sahen schon damals mehr Risiken als Chancen. Jetzt wurden die neuesten Entwicklungen der Künstlichen Intelligenz (KI) von den Kritikern der VWA als Anlass genommen, sie als verpflichtenden Teil der Reifeprüfung abzuschaffen. Das ist erstaunlich. Wir haben in den Handelsakademien sehr gute Erfahrungen gemacht. Bereits mit dem Lehrplan 1994 wurde die verpflichtende „Projektarbeit“ als Abschlussarbeit eingeführt. Die Abschaffung wurde nie diskutiert. Im Gegenteil: Bei vielen Diplomarbeiten – so die Bezeichnung der Abschlussarbeit in den BHS heute – wurden und werden großartige Leistungen erzielt, die oft auch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gefunden haben. Besonders bewährt haben sich Arbeiten mit ganz konkreten Aufgabenstellungen, die einen Mehrwert im weitesten Sinn schaffen, sei es bei Vereinen, bei Unternehmen oder auch bei Einzelpersonen.
Bei der Einführung wurde der Betreuungsaufwand als Argument gegen die VWA genannt. Dazu ist anzumerken, dass die Betreuung nicht so schlecht bezahlt ist. Wir haben auch viele Lehrpersonen erlebt, die sich sehr über die Leistung ihrer Schüler gefreut haben. Die Ablehnung wurde beziehungsweise wird auch damit gerechtfertigt, dass es sozial benachteiligte Schüler schwerer haben, weil die Unterstützung zu Hause geringer ist. Es wurde auch formuliert, dass die Schüler überfordert seien. All diese Argumente lassen sich entkräften. So würde eine stärkere Eingliederung in den Unterricht sowohl die Schüler als auch die Lehrpersonen entlasten und die soziale Benachteiligung reduzieren, Schüler könnten sich stärker gegenseitig austauschen und voneinander lernen. Lehrpersonen könnten diejenigen Schüler, die zu Hause weniger Hilfe erfahren, stärker unterstützen. Da in den AHS – im Gegensatz zu den Berufsbildenden höheren Schulen (BHS) – ein breiteres Themenspektrum bearbeitet werden kann, müsste sich die Arbeit in der Schule vor allem auf methodische Fragen, aber auch auf die zur Verfügungstellung von Hilfsmitteln reduzieren. Ein Heranführen an das forschende Arbeiten könnte ebenfalls ein Teil der Arbeit in der Schule sein. Die unverbindliche Übung „Einführung in die Praxis wissenschaftlichen Arbeitens“ ist eine Möglichkeit, dies zu tun. Außerdem könnte durchaus überlegt werden, ob nicht auch in den AHS eine Arbeit im Team möglich sein könnte.
Das Argument „KI“ ist sehr schwer nachvollziehbar. Es wird begründet, dass die Eigenständigkeit nicht mehr so leicht überprüft werden kann. Eine gute Betreuung und ein entsprechendes Thema, vielleicht mit einem regionalen Bezug, reduzieren die Möglichkeiten von ChatGPT und Co. auf ein Minimum. Entsprechende Methoden, wie beispielsweise ein Experteninterview, die Arbeit mit historischen Materialien oder eine kleine Befragung, jedenfalls eine Methode, die neue empirische Daten zu Tage bringt, ermöglichen eine fruchtbare Arbeit „neben der Welt des Internets“. Sollte etwas „kopiert“ worden sein, dann muss es auch noch verstanden und argumentiert werden. Ein gut geführtes Gespräch im Rahmen der Präsentation und Diskussion mit entsprechenden Fragen deckt diesen Mangel gnadenlos auf. Darauf müssen Schüler frühzeitig(!) hingewiesen werden.
Viel zu wenig werden die Vorteile der Abschlussarbeiten (VWA in den AHS, Diplomarbeit in den BHS) diskutiert:
›› Das selbstständige und eigenverantwortliche Arbeiten wird gefördert.
›› Die Schüler können sich in ein Thema vertiefen, das sie besonders interessiert und damit vielleicht sogar eine Basis für ihre berufliche Zukunft schaffen.
›› Sie lernen methodisches Wissen und Können, das Strukturieren und sie üben das Formulieren. Auch die formale Gestaltung der Arbeit ist eine große Lernchance.
›› Die Schüler kommen in Kontakt mit der „realen Welt“. Dieser Kontakt ist in mehrfacher Hinsicht lehrreich, weil die jungen Menschen mit Fragen und Problemen konfrontiert werden, die sie noch nicht kennen. Idealerweise entsteht sogar ein „Produkt“ in Form eines Büchleins, eines Leitfadens, eines Computerprogrammes, einer Dienstleistung für ein Unternehmen, für einen Verein und so weiter.
›› Die Kommunikationsfähigkeit wird gefördert, weil die Abschlussarbeit präsentiert werden muss.
›› Abschlussarbeiten schaffen sehr oft Erfolgserlebnisse, wenn es gelungen ist, eine gute Leistung zu erbringen.
Vielleicht ist der Begriff „Vorwissenschaftliche Arbeit“ etwas unglücklich gewählt. Denn: Was ist „vorwissenschaftlich“? Aber all die Argumente gegen die VWA lassen sich entkräften. Die großen Chancen dürfen aber nicht übersehen werden. Schließlich braucht eine Gesellschaft Menschen die „handeln und tun“, sei es in der Familie, der Politik, der Wirtschaft, in sozialen Berufen, im Verein oder wo auch immer. Das Handeln und das Tun lernt man vor allem dann, wenn ein persönliches Projekt, wie eben eine Abschlussarbeit, mit Erfolg umgesetzt wird.
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