Manfred Hämmerle

Direktor der BHAK und BHAS Bregenz und seit 30 Jahren in der Ausbildung für Lehr­personen, unter anderem an der WU Wien, tätig

Die Fallstudie als Unterrichtsmethode

Oktober 2024

Schüler und Wirtschaft profitieren.

 
Im Frühherbst 2023 sind wir von Florenz nach Rom geradelt. In dieser schönen Gegend kann es schon passieren, dass man für einen Kaffee oder ein kleines Bier einen Anstieg vergleichbar mit der Strecke Dornbirn bis Watzen­egg, möglicherweise sogar bis Ammen­egg oder für die Oberländer bis Übersaxen in Kauf nehmen muss. Es wurde dort entschieden, die Städte in die Höhe zu bauen. Diese Anstrengung ohne E-Bike macht durstig. Apropos Bier, sehr oft bekommt man ein Birra Moretti serviert. Als neugieriger Wirtschaftspädagoge wirft man dann einen Blick auf das Etikett und liest, dass der Eigentümer der Marke der Bierkonzern Heineken ist. Schon kommen Erinnerungen hoch. Auf Vermittlung des österreichischen Wirtschaftsdelegierten durften wir vor einigen Jahren die Zentrale von Heineken in Zoeterwaude/Holland besichtigen. Es war ein unvergessliches Erlebnis, zumal ein Österreicher, der bei der Brauunion gearbeitet hatte, die Strategie von Heineken eindrucksvoll präsentierte. Aus dieser Präsentation habe ich dann eine Fallstudie entwickelt.
Der Zweck dieser Einleitung ist rasch erklärt. Fallstudien ermöglichen es, Geschichten zu erzählen und Fragen zu diskutieren. In diesem Fall wären dies beispielsweise folgende Fragen:
›› Warum verkauft Heineken nicht sein eigenes Bier in Italien und setzt auf eine Mehrmarkenstrategie?
›› Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Brauunion, dem mit Abstand wichtigsten Bierproduzenten Österreichs mit vielen Marken und Heineken?
›› Warum kauft Heineken Biermarken in der ganzen Welt?
›› Ist auch eine Vorarlberger Biermarke im Eigentum von Heineken?
›› Natürlich muss im Unterricht auch die Gefahr von Alkohol besprochen werden.
Sich näher mit Unternehmen zu beschäftigen oder gar Fallstudien zu schreiben, ermöglicht es der Lehrperson, Geschichten zu erzählen. Meine Erfahrung zeigt, dass Schüler gerne Geschichten hören, weil sie Themen veranschaulichen und Abwechslung in den Unterricht bringen. Hilbert Meyer, wohl einer der bedeutendsten Didaktiker im deutschsprachigen Raum, betont die Wichtigkeit von Geschichten beziehungsweise Erzählungen im Unterricht und nennt folgende Kriterien:
Eine Erzählung muss
›› anschaulich, altersgerecht,
›› spannend,
›› lebendig und natürlich sein.
›› Die Körpersprache ist wichtig.
 
Dazu kommen folgende Vorschläge:
›› Personalisierung: Persönlichkeiten erhöhen die Spannung, wenn beispielsweise ein „Star“, den die Schüler kennen, in die Geschichte eingebaut werden kann.
›› Lokalisierung: Der Bezug zur lokalen Wirtschaft fördert die Aufmerksamkeit. Wir hören oft, „...mein Vater, meine Mutter, mein Onkel...“ arbeiten beim Blum, beim Haberkorn, beim Doppelmayr und so weiter. Es ist also ein ganz persönlicher Bezug vorhanden.
››  Visualisierung (auch mit ungewöhnlichen Mitteln): Sie ist grundsätzlich ein Um und Auf im Unterricht. Gute Bilder des Unternehmens – noch besser Produkte oder bestimmte Gegenstände – veranschaulichen die Geschichte/Fallstudie.
Unterricht mit Fallstudien hat lange Tradition. Manche werden wohl an die Harvard Business School denken, andere erinnern sich auf Vorschläge aus der Reformpädagogik. Die Forschung zeigt: Gute Fallstudien sind eine Bereicherung und eine wichtige Ergänzung für den Unterricht. Dazu müssen betriebswirtschaftliche Fallstudien einige Kriterien erfüllen.
›› Es wird eine Situation aus der betrieblichen Praxis dargestellt, diskutiert und bearbeitet.
›› Es wird an konkreten Problem­stellungen gearbeitet.
›› Konkrete betriebswirtschaftliche Entscheidungen werden dargestellt, diskutiert und bearbeitet.
›› Im Zentrum steht nicht die theoretische Wissensvermittlung, sondern die problemorientierte Anwendung.
Ich durfte in jüngster Zeit dank der Hilfe der Firmen Doppelmayr, Blum und Haberkorn drei neue beziehungsweise aktualisierte Fallstudien entwickeln. Die Unterstützung von Unternehmen oder anderen Partnern (Vereinen, NGOs) sind für das Verfassen einer Fallstudie wichtig, weil die sachliche Richtigkeit vorhanden sein muss. 
Daher mein Appell an Unternehmen: Unterstützen Sie Schüler bei Diplomarbeiten, Lehrpersonen, die Fallstudien verfassen oder auch nur Ihren Betrieb besuchen wollen. Die Veranschaulichung und das „greifbar Machen“ Ihres Unternehmens zahlt sich aus. Unter anderem erhöht sich die Chance, mehr und bessere Bewerbungen zu bekommen. Wir werden in Zusammenarbeit mit der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems ein Fallstudienportal entwickeln, das den Lehrpersonen aktuelle Fallstudien kostenlos zur Verfügung stellen wird. Davon sollen Schüler und die Wirtschaft profitieren. Denn Fallstudien zeigen, dass die Wirtschaft so spannend sein kann wie eine Radtour in einer schönen Gegend wie der Toskana oder Umbrien.

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