Manfred Hämmerle

Direktor der BHAK und BHAS Bregenz und seit 30 Jahren in der Ausbildung für Lehr­personen, unter anderem an der WU Wien, tätig

Pisa 2022 und die Folgen

Februar 2024

Die Ergebnisse der Pisa-Studie 2022 wurden präsentiert und sehr unterschiedlich bewertet. Es ist leider zu befürchten, dass nach der nächsten Präsentation ein ähnlicher Vorgang zu beobachten sein wird. In diesem Text sollen Vorschläge zur nachhaltigen Verbesserung der Bildung junger Menschen diskutiert werden. Es sei allerdings auch angemerkt, dass die Pisa-Studien nicht unbedingt Bildung messen (Ausgabe 12/2023).

Verantwortung der Lernenden
Unser Staat traut 16-Jährigen zwar das Wählen zu. Dass 15-Jährige für ihr eigenes Lernen verantwortlich sind, hört man wenig. Dabei zeigen verschiedene Studien und auch der Unterrichtsalltag, dass der wichtigste Faktor für den Lern­erfolg der Lernende selbst ist. Schneidet ein Schüler bei Leistungsmessungen schlecht ab, kommt sehr oft nicht der Lernende in Argumentationsdruck, sondern der Lehrende in Argumentationsdruck der Eltern und auch der Vorgesetzten. Dies „liefert“ dem Schüler Argumente, negative Noten nach dem Motto: „Ich würde ja gerne lernen, wenn der Unterricht (oder das ,System‘) nicht so schlecht wäre“, zu begründen. Selbstverständlich muss sich die Lehrperson bei schlechten Leistungen der Schüler immer hinterfragen. Dies soll aber in differenzierter Form geschehen.
Eines ist klar: Will man die Leistungen der Pisa-Ergebnisse verbessern, muss die Verantwortung der Lernenden klar geäußert werden. Es braucht eine Kultur des Förderns und Forderns. Dazu gehört auch die grundsätzliche Anerkennung der Lehrenden als Experten. Oft wird argumentiert, dass junge Menschen grundsätzlich lernen wollen und dass sie durch Lehrende oder durch das „System“ daran gehindert werden. Der Unterrichtsalltag zeigt ein anderes Bild. Nicht immer sind alle motiviert und Unterricht kann auch nicht immer „Spaß“ machen.

Eltern
Sie sind auf vielfältige Art an der Bildung junger Menschen beteiligt. Menschen lernen schon sehr früh. Dieses Lernen sollte gefördert werden, weil es sehr wirksam ist. Da dies nicht allen möglich ist, spielt die vorschulische Pädagogik eine wichtige Rolle. Hier steht auch der Staat in der Verantwortung. Er muss vor allem auch bei jungen Menschen mit Migrationshintergrund unterstützend tätig sein. Leider sind die Pisa-Ergebnisse, aber vor allem auch das schulische Fortkommen dieser Gruppe schlechter. Eines kann jedenfalls von allen Eltern gefordert werden, das ist das Interesse am Fortkommen ihrer Kinder. Das heißt beispielsweise, dass Kinder regelmäßig in die Schule kommen oder dass man konkret nachfragt. Eine Frage könnte lauten: Hast du den Schularbeiten-Kalender schon bekommen? Schon das Interesse am Lernen des eigenen Kindes ist unterstützend, weil es motiviert und Zuneigung zeigt. Eltern müssen ihren Kindern etwas zutrauen, sie aber auch mit realistischen Erwartungen konfrontieren, um Enttäuschungen zu vermeiden. Wohl die wichtigste Aufgabe der Eltern ist es, die Kinder in der Unterrichtssprache Deutsch zu fördern. Sehr oft ist zu hören, dass in Österreich „Bildung vererbt“ wird. Viele Eltern, die sich intensiv für das Lernen ihrer Kinder einsetzen, ärgern sich über diese Aussage, weil gute Leistungen ihrer Kinder auch das Ergebnis ihres Einsatzes sind. 

Lehrpersonen
Viele Kollegen sind höchst motiviert. Einige (wenige) sind allerdings ungeeignet für die Aufgabe. Von ihnen sollte sich der Dienstgeber – nach gründlicher Prüfung – verabschieden können, weil Lehrende zu einem gewissen Maß zum Lern­erfolg beitragen. Der bekannte Pädagoge Hilbert Meyer beziffert den Beitrag auf circa 25 Prozent. Er und John Hattie betonen die Bedeutung der Atmosphäre in der Klasse. Zu der tragen Lehrende, aber auch die Lernenden bei. Wir konnten über viele Jahre beobachten, dass leistungswillige Schüler die Atmosphäre und damit den Unterrichtserfolg maßgeblich beeinflussen können. 

Unterrichtszeit
Nach wie vor wird in Österreich vor allem am Vormittag gelehrt. Eine Ganztagsschule mit einem abwechslungsreichen Schulalltag wäre für den Lernerfolg fördernd. Es könnten bewusst die sprachliche Kompetenz, aber auch spezielle Talente gefördert werden. Es geht aber auch um eine effiziente Nutzung der Zeit. Dazu gehören so banale Dinge wie pünktliches Beginnen des Unterrichtes oder die Reduktion des Zeitverlustes aufgrund disziplinärer Probleme in der Klasse.

Gemeinsame Schule 
Finnland hat bewiesen, dass die Einführung einer Schule für alle Zehnjährigen zum Erfolg führen kann, wenn sie konsequent implementiert und der Erfolg durch vorgesetzte Behörden kontrolliert wird. Der Absturz des einstiegen Vorzeigelandes bei der Pisa-Studie hat sicher nichts mit dieser Schulform zu tun. Die Ursachen werden wohl die zunehmende Inhomogenität der Schülerstruktur, die zu große Euphorie in Hinblick auf die Digitalisierung des Unterrichts und eine zu einseitige Orientierung am „selbstverantwortlichen Lernen“, das viele Schüler überfordert, sein. 
In Österreich lähmt die Debatte die Diskussion. Den Befürwortern des Gymnasiums kann das Beispiel Bregenz vorgehalten werden, wo die Neue Mittelschule auf sieben (!) „Konkurrenten“ (vier AHS, eine private NMS, zwei „Spezial-NMS) trifft. Da fehlen oft die Vorbilder in der Klasse in einer „normalen“ Mittelschule, und es kann auch nicht die Rede davon sein, dass nur die „Elite“ ins Gymnasium geht. Aus Sicht der Berufsbildenden Schulen muss allerdings auch angemerkt werden, dass die Frage zu sehr im Mittelpunkt der Debatte steht. Wir konnten über die Jahre viele Absolventen der Mittelschule beobachten, die sich außerordentlich bewährt haben. 
Eine gut geplante gemeinsame Schule mit einer inneren und äußeren Leistungsdifferenzierung als Schulversuch mit wissenschaftlicher Begleitung in einer Region könnte die Wirksamkeit dieser Schulform zeigen und die ideologisierte Debatte beenden.
Der zuständige Minister zeigte sich zufrieden mit den Ergebnissen, die Medien präsentierten großteils ein negatives Bild. Verschiedene Indikatoren (Jugendarbeitslosigkeit, Erfolge bei den Euroskills, NEET-Quote) zeigen, dass Österreich nicht so schlecht dasteht, aber durchaus besser werden kann. Die wichtigste Aufgabe ist die Förderung benachteiligter Gruppen, die auch ihren Beitrag leisten müssen.

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