Nora Weiß

Redakteurin Thema Vorarlberg

Foto: Weissengruber

Warum die Lehre – noch – männlich ist

März 2023

Zwei Drittel der Jugendlichen, die sich für eine Lehre entscheiden, sind männlich. Die Gründe dafür liegen unter anderem in den traditionell verankerten Rollenbildern und am Image der Lehre. 

Die Tatsache, dass sich im direkten Vergleich mehr männliche Jugendliche für eine Lehre entscheiden, korreliert laut dem Geschäftsführer des Instituts für Bildungsforschung der Wirtschaft (ibw), Thomas Mayr, damit, dass es sich bei einem Großteil der Lehrausbildungen um technisch gewerbliche Berufe handelt und sich Buben stärker für diesen Bereich interessieren würden. „Es ist so, dass circa 2/3 der Lehrlinge Buben sind und wenn man sich das im Detail anschaut, zeigt sich, dass hier einfach gesellschaftlich verankerte Geschlechterollen zum Tragen kommen“, erklärt Mayr und konkretisiert: „sowohl bei Mädchen als auch bei Burschen kommt es vor, dass sie sich aufgrund gelernter Rollenbilder selbst selektieren und in eine gewisse Richtung entwickeln. In Folge sehen wir dann eine Überrepräsentanz der männlichen Jugendlichen in den technischen Berufen und eine Unterrepräsentanz dieser bei manch anderen Lehrausbildungen, wie etwa im klassischen Einzelhandel.“ Hier habe man dann einen Genderunterschied, allerdings gelte es festzuhalten, dass sich dieser nicht nur hinsichtlich der Lehre zeige, sondern auch auf Universitäten und an Höheren Schulen: „Wirft man einen Blick in eine geisteswissenschaftliche Vorlesung auf der Hauptuniversität, sind dort in der Regel mehr weibliche Studierende anwesend, anders sieht das in einer Vorlesung an der Technischen Universität aus: dort ist der Großteil der Anwesenden männlich. Also auch hier zeigt sich: Je technischer, desto mehr junge Männer sitzen drin.“ Auf Basis dieser Beobachtungen hat man an Mayrs Institut eine Befragung jener jungen Menschen durchgeführt, die sich für einen technischen Beruf entschieden haben, mit dem Ergebnis, dass diese Entscheidung eng in Verbindung mit deren Kindheit steht. „Diese jungen Männer und Frauen erzählen, sie hätten als Kind mit Bauklötzen gespielt oder sind ihren Eltern bei Arbeiten rund ums Haus zur Hand gegangen oder haben bei technischen Arbeiten mitgeholfen.“ 

Frühkindliche Förderung
Ein Schluss, der sich daraus ziehen lässt und der bereits in der Umsetzung ist, ist, dass ein frühes gendersensibles Heranführen der Kinder an naturwissenschaftliche, technische Phänomene von großer Bedeutung ist. „In Vor­arlberg passiert das im Rahmen der MINT-Strategie bereits und das Angebot wächst stetig“, betont Andrea Huber, MINT-Koordinatorin und verweist auf das steigende Interesse sowohl bei dem Bildungseinrichtungen als auch der Eltern. „Wir wollen das Interesse der Kinder für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik bereits im Kindergarten- beziehungsweise Volksschulalter durch Experimente etc. wecken. Gerade in Zeiten der Pandemie haben viele Lehrkräfte unsere Experimente, Spiele usw. im Online-Unterricht genutzt”, betont Andrea Huber, stellt aber klar, dass für die Behandlung von MINT-Themen in Form von Experimenten Raum geschaffen werden müsse, „denn als Lehrerin ein Experiment mit 24 Erstklässlern alleine durchzuführen, ist fast nicht machbar“. 
Zudem erfüllt eine flächendeckende qualitativ hochwertige Kinderbetreuung einen weiteren wichtigen Punkt: Sie ermöglicht Eltern die Erwerbstätigkeit. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist laut Andrea Huber nach wie vor ein Kriterium für die Berufswahl vor allem junger Frauen. 

Das Imageproblem der Lehre
Ein weiterer Punkt, warum sich viele Jugendliche gegen eine Lehre entscheiden, beziehungsweise viele Eltern ihren Kindern zu einer akademischen Ausbildung raten, ist, dass deren Ruf oftmals viel schlechter ist als die Realität. So wünschen sich laut einer market-Umfrage im Auftrag der Wirtschaftskammer Österreich 47 Prozent der Lehrlinge mehr Anerkennung und Respekt für die Lehre. Das liegt nicht zuletzt daran, dass in den vergangenen Jahren sowohl in Österreich als auch in vielen anderen europäischen Ländern und in den USA der Fokus sehr stark auf akademische Bildung gelegt wurde. „Immer mehr Länder bemerken, dass sie zu sehr auf Hochschulbildung gesetzt haben und die Berufsbildung vernachlässigt haben, erklärt Mayr: „Durch diesen Fokus kam es in vielen Ländern zu einer Art Entkoppelung des Bildungssystems vom Bedarf des Arbeitsmarktes.“ Man habe auch erkannt, dass eine rein akademische Ausbildung den unterschiedlichen Lernvorlieben nicht gerecht werde. „Es gibt einfach Menschen, die sehr viel besser induktiv lernen, also praktisch, als deduktiv-theoretisch. Zudem fehlen genau jene Personen, die aus einer Hands-on-Ausbildung kommen, am Arbeitsmarkt.“ Aktuell gibt es Bestrebungen, diese Art von Ausbildungen zu stärken und auszubauen, auch in Österreich. Laut Thomas Mayr soll noch dieses Jahr die gesetzliche Basis für eine „Höhere Berufsbildung“ geschaffen werden.“ Damit würde ein neues Bildungssegment etabliert und eine Klammer geschaffen werden für Ausbildungen und Abschlüsse, im Anschluss an eine Lehrausbildung. Ausgangspunkt für diese Entwicklung ist die im österreichischen nationalen Qualifikationsrahmen bereits verankerte Gleichwertigkeit von Meisterprüfungen mit Bachelorabschlüssen. Diese Positionierung von höheren beruflichen Abschlüssen auf Augenhöhe mit akademischen Abschlüssen steigert langfristig auch das Image der Dualen Ausbildung.

Kein Patentrezept
Eines lässt sich aber klar sagen, ein Patentrezept, um die unterschiedliche Verteilung von Mädchen und Burschen in der Lehre rasch zu verändern, gibt es nicht. Hierfür muss an diversen Stellschrauben nachjustiert werden. All jene Punkte, die kurz skizziert wurden, werden langfristig auf das Konto der Lehre einzahlen und eine schleichende Veränderung mit sich bringen. Einfache und schnelle Lösungen für diese Problematik und die Eindämmung des Fachkräftemangels gibt es keine, stellt auch Thomas Mayr klar. Ein kontinuierliches Bestreben, vor allem auch in Hinsicht auf die Heranführung von Mädchen an technische Berufe, ist aber unabdingbar.

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.