Heimische Architekturkunst im Ausland
Der gute Ruf der Vorarlberger Architektur und Handwerkskunst reicht weit über die Landesgrenzen hinaus. Vor allem, wenn es um individuelle Bauwerke mit innovativem Charakter geht, ist das heimische Know-how gefragt, wie der Kunstraum im deutschen Kassel zeigt: Der Entwurf stammt vom Architekturbüro Innauer Matt aus Bezau, der Holzbau von i+R aus Lauterach und die markanten Tageslichtlinsen wurden von Glas Marte in Bregenz entwickelt. „Gerade wenn es sich um nicht alltägliche Projekte handelt, bei denen viel experimentiert werden muss, zeichnet sich das Vorarlberger Handwerk durch viel Innovationsgeist aus“, bestätigt Bernhard Feigl, Spartenobmann Gewerbe und Handwerk in der Wirtschaftskammer Vorarlberg und Glas Marte Geschäftsführer. Dieser Innovationsgeist sowie der Reiz der besonderen Umgebung haben letztendlich auch dazu geführt, dass das Architekturbüro Innauer Matt 2017 beim Wettbewerb für das Projekt in Kassel eingereicht haben, wie Sven Matt im Gespräch mit „Thema Vorarlberg“ erzählt. „Wir fanden die Aufgabe, ein ‚studentisches Ausstellungslabor‘ zu entwerfen, sehr spannend und waren damals froh, dass wir unsere Bewerbung trotz prominentem Teilnehmerfeld einreichen konnten.“ Das Resultat: Zufriedene Auftraggeber und Architekten, der Sieg in der Kategorie „Außer Landes“ des Vorarlberger Holzbaupreises 2023 sowie eine Auszeichnung beim Deutschen Architekturpreis 2023.
Ergänzung im Dialog mit Bestand
Gebaut werden sollte eine Ausstellungshalle auf dem Gelände der Kunsthochschule Kassel. Das Besondere daran: Der Neubau soll in den Innenhof des denkmalgeschützten Gebäudes aus dem Jahr 1962 von Paul Friedrich Posenenske gesetzt werden. „Ich denke, ein Grund warum wir den Zuschlag erhalten haben, war unser Umgang mit dem auf dem Gelände befindlichen Bestand“, betont Matt und führt aus: „Es handelt sich dabei um einen eher typischen 60er-Jahre Bildungsbau. Einfach in der Bauweise – ein klassischer Nachkriegsbau, den man mit einfachen Mitteln erbaut hat. Der Innenhof, in dem nun die von uns geplante Ausstellungshalle steht, wurde ebenfalls in den 60er-Jahren konzipiert, allerdings wurde hier nie was umgesetzt, bis es dann 2017 zu dieser Wettbewerbsausschreibung kam.“ Den Architekten war wichtig, einen respektvollen Umgang mit dieser Anlage zu finden. „Diese umgibt die von uns konzipierte Halle komplett – das Umfeld ist also relativ komplex und wir haben eben versucht, ein Gebäude in diesen Innenraum zu stellen, dass mit dem Bestand einen Dialog findet.“
Neben der herausfordernden Lage des Gebäudes galt es, auch im Inneren diverse Ansprüche zu vereinen. „Bei diesem Bau handelt es sich um ein ‚Studentisches Ausstellungslabor‘, wie es die Auftraggeber nennen“, erklärt der Architekt: „Das Gebäude ist Teil der Kunsthochschule Kassel und dient den Studierenden als Ausstellungsraum. Wer in einem Museum ausstellt, hat riesige Räume zur Verfügung, die bespielt werden wollen – unter anderem auch mit großformatigen Kunstwerken. Und das konnten die Studierenden in Kassel eben nie, weil genau diese Ausstellungsfläche gefehlt hat.“ Genau darin liegt der architektonische Reiz des Innenraums: die multifunktionale Nutzung, von einem sehr großen Volumen als komplett geöffnete Halle bis hin zu kleineren Unterteilungen mit Stellwänden. „Ein wandelbarer Raum, der den Ausstellungsbetrieb bestmöglich unterstützt“, fasst Sven Matt die Anforderungen zusammen.
Holzbaukunst mit innovativen Details
Was in Vorarlberg längst die heimische Baukultur prägt, war im hessischen Kassel durchaus eine Besonderheit: die Holzbauweise. „Was bei uns keine große Diskussion mehr ist, sorgt aber, umso weiter man in den Norden kommt, noch für einige Fragezeichen. So auch bei unseren Auftraggebern in Kassel“, berichtet Matt. Auch die Grundkonzeption, ganz klar gerastert und mit einer Öffnung zu allen vier Seiten, spiegelt die schlichte moderne Vorarlberger Holzbaukunst wider. Die öffentliche Ausschreibung konnte i+R für sich entscheiden. „Für uns war das natürlich in der Umsetzung ideal, denn gerade der Holzbau ist recht anspruchsvoll und wir hatten aufgrund der räumlichen Nähe einen direkten Draht zur Abstimmung“, sagt der Architekt.
Die Besonderheit des Entwurfs von Innauer Matt bilden die 864 Tageslichtlinsen, die die Außenhaut perforieren und dadurch für diffuses Tageslicht im Inneren sorgen. „Wir haben diese Tageslichtlinsen im Wettbewerb damals vorgeschlagen, ohne genau zu wissen, wie diese umsetzbar sind, da wir nicht unbedingt mit einem Zuschlag gerechnet haben. Schlussendlich sind wir dann aber vor dieser Aufgabe gestanden und haben in Folge jeden größeren Glashersteller Mitteleuropas kontaktiert und alle haben den Auftrag abgelehnt. Wie das oft so ist, lag das Gute dann nah und wir haben mit Glas Marte einen Partner gefunden, der sich diese Entwicklung zugetraut hat“, erzählt Matt.
„Wir lieben die Herausforderung und innovative Projekte, die Entwicklungsarbeit erfordern“, begründet Bernhard Feigl die Entscheidung zur Herstellung der Tageslichtlinsen und erklärt: „Bei diesen Gläsern handelt es sich um Isoliergläser mit einem halben Meter Dicke, allerdings liegt der Durchmesser der Tageslichtlinsen nur bei zwanzig Zentimetern, was das Ganze klimatisch sehr schwierig macht. Wir haben Langzeittests durchgeführt, um die Haltbarkeit garantieren zu können. Da war sehr viel Innovation im Spiel, wir mussten uns langsam herantasten und viele Prototypen herstellen, um ein zufriedenstellendes Endprodukt zu erzielen.“ Und genau darin liege laut Feigl der Vorarlberger Wettbewerbsvorteil: „Wir haben sehr innovative Architekten im Land und sehr gute Handwerker, die deren Anforderungen umsetzen können. Man könnte sagen, das sind die Vorarlberger Tugenden.“
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