Die Zukunft des Wohnens
Vorarlberg zwischen urbaner Dichte und ländlichen Strukturen.
In Zeiten steigender Mietpreise und Diskussionen über Eingriffe in Indexanpassungen, erschwerten Zugängen zu Wohnkrediten und teuren Eigenheimen, stellt sich zunehmend die Frage, wohin sich der Wohnungsmarkt in Vorarlberg entwickeln wird. Eine Bestandsaufnahme.
Vorarlberg wird oft als Land der Eigenheime bezeichnet. Neben den Städten und den Ortszentren, die einen eng bebauten Kern aufweisen, kommt es bei der Verdichtung im ländlichen Bereich jedoch zu einer Vermischung von urbaner Dichte und ländlichen Strukturen. „Der überregionale Bebauungsdruck führt in den Dörfern mit seiner offenen Bebauung zu den ungeliebten Blöcken. Durch eine Gestaltung, die sich rein an den gesetzlichen Mindestabständen orientiert, entstehen Baumassen ohne Beziehung zur gewachsenen Umgebung“ sagt Architektin Beate Nadler-Kopf. Dabei zeige eine Studie, die Architekt und Universitätsprofessor Dietmar Eberle an der ETH Zürich über Jahre hinweg auf allen Ebenen durchgeführt habe, dass die Menschen dort am glücklichsten sind, wo die höchste oder die niedrigste Dichte gegeben sei: „Also zum Beispiel im ersten Bezirk in Wien – und im dünn besiedelten ländlichen Raum mit seinen Einfamilienhäusern.“ Konsequent hieße das laut der Architektin: „Lasst die Dörfer Dörfer sein, erweitert Städte und verdichtet Zentren. Vermeidet die ‚Überlagerung der beiden Strukturen‘. Als Nebeneffekt dieser städtebauliche Vision könnte es auch den Preisdruck vom ländlichen Raum nehmen.
Mîn Hûs
Nähert man sich dem Thema Wohnen historisch, zeigt sich, dass noch vor 100 Jahren ein Großteil der Vorarlberger Bevölkerung in Mehrgenerationenhäusern gelebt hat. Im 20. und 21. Jahrhundert kam vermehrt der Trend zum Einfamilienhaus auf. „Dieses steht sinnbildlich für selbstbestimmtes Wohnen in den eigenen vier Wänden, auf eigenem Grund und Boden und ist damit die Gegenbewegung zu dem, wie die Generationen davor sich Wohnraum teilen mussten“, erklärt Verena Konrad. Die Direktorin des Vorarlberger Architekturinstituts (vai) führt aus: „Auch wenn es heute viele Einfamilienhäuser im Land gibt, so ist Vorarlberg doch lange nicht Spitzenreiter in Österreich. Die Dominanz dieser Erzählung von Menschen, die im Einfamilienhaus wohnen, schafft auch Druck in der Bevölkerung, indem sie ein starkes Begehren auslöst, welches aber häufig an der Realität vorbei zielt. Mit dem Einfamilienhausboom stehen auch zahlreiche Entwicklungen in Verbindung, die privat angenehm, für die Gemeinschaft aber problematisch sind: Stichworte Zersiedelung, Verhüttelung und Versiegelung.“
Nun aber den Einfamilienhäusern den schwarzen Peter zuzuschieben, wäre zu kurz gegriffen, betont auch Nadler-Kopf. Diese seien nicht allein der Grund für die sich verlierenden Ortsbilder. Dies bestätigt Konrad: „Das Einfamilienhaus hat bei den Bewohnerinnen und Bewohnern eine starke Identifikation mit dem Ort erwirkt und dadurch sehr viel Investitionen von Privaten in das Ortsbild und lokale Wirtschaftskreisläufe bewirkt.“
Kehren wir zurück zu den sich verlierenden Ortsbildern. „Da haben wir ja nicht das Problem, wie etwa in Niederösterreich, dass man immer noch mehr Flächen umwidmet und so eine massive Zersiedelung stattfindet, sondern dass wir keine Modelle für Verdichtung haben“, erklärt Nadler-Kopf. Die Architektin verweist auf notwendige Schritte, um zukünftige Versiegelung und Zersiedelung zu vermeiden: „Zuerst sollte auf einer anderen Ebene gestartet werden, es braucht eine städtebauliche Raumplanung und die Schaffung von Strukturen, die vorgeben, wo die Bebauung beziehungsweise der Bebauungsdruck hingehen sollte.“ Auch Martin Summer, Geschäftsführer bei Rhomberg Bau, sieht hier noch großes Potenzial: „Die Wohnraumbeschaffung wird sich weiterhin an den Bedürfnissen und Anforderungen des Marktes ausrichten. Dafür erforderlich sind das Zulassen höherer Neubaudichten, die Erlassung von Bebauungsplänen in Zentren, die Forcierung und Erleichterung der Nachverdichtung sowie die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Bauträgern, Bauherren, Behörden und natürlich beschleunigte Genehmigungsverfahren.“
Auch kundenseitig sieht Summer Herausforderungen: „Die Anpassung der eigenen Wohn-Wünsche an die finanziellen Möglichkeiten wird stärker strapaziert.“ Dadurch werden laut Summer vermehrt weniger Quadratmeter Wohnnutzfläche pro Kopf bei gleichbleibend hoher Wohnqualität nachgefragt.
Schaffa, schaffa, koa hüsle meh baua
„Der Wunsch nach dem Eigenheim scheint in Vorarlberg genetisch verankert zu sein“, sagt Summer. Doch die Zahl derer, die sich diesen Wunsch ohne ein vorangegangenes Erbe noch erfüllen können, ist stark rückläufig.
Vorarlberg gilt als Land der Erben, wer also keine familiäre „Starthilfe“ bekommt, hat heute buchstäblich schlechte Karten. Die Gründe dafür liegen nicht zuletzt an den massiv gestiegenen Grundstückspreisen. Früher hat der Grundstückpreis bei einem Bauvorhaben eine untergeordnete Rolle gespielt. Jetzt sind die Grundstückspreise die wesentlichen Treiber, gefolgt von den Baukosten. Daran sei mitunter auch die Veröffentlichung der Grundstückspreise in den Medien schuld, ergänzt Nadler-Kopf, „dadurch wurde die Dynamik, dass Eigentümer ihre Grundstücke an Bauträger verkaufen, deutlich verstärkt“. Dies würden auch zahlreiche Untersuchungen zeigen, stellt auch Konrad klar, „gerade für Familien und Alleinerziehende ist der Zugang zur Wohnraumversorgung deutlich erschwert“. Um die Leistbarkeit zu sichern, sind aber nicht nur die Bauträger gefordert. „Auch und insbesondere die Politik muss aktiv werden“, fordert wiederum Summer: „Es muss dringend ein neues sozial treffsicheres Wohnbauförderungsprogramm entwickelt werden, welches es jungen Leuten, Paaren, Familien wieder ermöglicht, Wohnungseigentum zu erwerben.“ Schließlich betreffe das auch die Finanzbranche – die sich ebenfalls bewegen müsse. „Die derzeitigen restriktiven Auflagen müssen gelockert und durch neue Angebote mit leistbaren Rückzahlungsraten ersetzt werden.“
Man müsse sich dennoch die Frage stellen, zu welchem Zweck diverse Gebäude gebaut wurden, halten Konrad und Nadler-Kopf fest: „Vielfach wurde sicher auch zur Wertanlage gebaut und weniger aufgrund von Bedarf nach spezifischem Wohnraum.“
Das Angebot geht am Bedarf der Wohnraumsuchenden vorbei, kritisiert Konrad: „Es werden mehr Eigentumswohnungen als Mietwohnungen gebaut. Die breite Bevölkerung kann hier aber nicht mit. Nicht weil sie nicht will, sondern weil sie schlichtweg keine Mittel für den Erwerb eines Eigenheims hat. Dieser Befund wird in der derzeitigen politischen Debatte ignoriert. Die aktuelle Diskussion richtet sich an jene, die es sich noch leisten können, und klammert dabei einen Großteil der Bevölkerung von vornherein aus.“ Und selbst wenn die Eigentumswohnungen schließlich in die Vermietung kämen, wären diese doch meist zu teuer und belasten damit Vermieter und Mieter: Schlagwort der vergangenen Jahre war die sogenannte ‚Finanzialisierung‘. „Gebaut wurde hauptsächlich für Anleger. Deren Interesse ist die Wertsteigerung der Immobilie.“
Summer sieht zudem ein echtes Versäumnis politischer Akteure: „In den größeren Gemeinden und Städten fehlt es oft am Mut der örtlichen Politik und der Behörden, höhere Dichten auch wirklich zu wollen, zuzulassen und trotz kritischer Nachbarn durchzusetzen.“ Er schlägt daher eine überregionale Bauverwaltung vor, die nicht permanent aus Angst vor dem Verlust von Wählerstimmen zu Kompromissen neigt.
Beziehungslose Zwischenräume
„Außer in den Zentren von alten Städten wie Bregenz, Feldkirch und Bludenz oder auch in der Hohenemser Marktstraße, entstand in Vorarlberg kaum Blockrandbebauung, eine Bauform, die leider bei uns im Land sehr selten zur Diskussion steht. Die Weiterentwicklung erfolgt in offener Bauweise“ erklärt Architektin Nadler-Kopf, stellt aber klar, dass dies auch baurechtliche Gründe hat. „Ohne Bebauungsplan, der eine geschlossene Bebauung und die damit verbundene Verdichtung ermöglicht, muss hier der gesetzliche Mindestabstand zur Grundstücksgrenze eingehalten werden. Und so entstehen die zahlreichen Kleinwohnanlagen, die mittlerweile vielerorts das Ortsbild prägen.“
Dabei kann durch Blockrandbebauung, auch geschlossene Bebauung genannt, viel mehr Dichte geschaffen und der öffentliche Raum in Form von Plätzen und Straßenzügen bewusst gestaltet und gleichzeitig bei den entstehenden Innenhöfen großzügiger privater Raum gewonnen werden.
„Erfolgsmodell“ Kleinwohnanlage
Die Kleinwohnanlage hat laut Konrad „drei Herkünfte“: erstens den als verträglich empfundenen Maßstab im Kontext der Einfamilienhaussiedlung, zweitens eine Investmentstrategie, die in der Kleinwohnanlage eine risikoarme Anlageform erkannt hat und drittens die Grundstücksgröße. „Daher kommen oft auch wenig ehrgeizige Projekte zum Zug, solche die einfach nur als ‚Bauprojekte‘ funktionieren und als Renditeprojekte gedacht werden, aber nur einen geringen Beitrag zum Quartier, für das Dorf oder die Stadt leisten und wenig Freiraumqualitäten aufweisen.“ Direktorin Konrad begründet die Monotonie der Bauwerke: „Die kulturelle Verarmung, die wir derzeit mit einer gleichförmigen Baupraxis erleben, meist in Form von Kleinwohnanlagen, von der eine gleich aussieht wie die andere, kommt aus einer ökonomischen Betrachtungsweise. Hier macht sich niemand wirklich Mühe, weil es auch so geht.“
Summer sagt indess, dass diese einfache Bauform durchaus auch gute Argumente habe. „Es ermöglicht eine wirtschaftlich optimale Ausnutzung eines Grundstücks, eine kostengünstige Herstellung der Bebauung und eine einfache Möblierung.“ Wie es bei einem bekannten Schokoladenhersteller heißt: „Quadratisch, praktisch, gut“, sagt Summer. Darüber hinaus gäbe es auch viele Zonen, die eine ansprechende, keinesfalls monotone Durchmischung unterschiedlicher Baukörper- und Gestaltungstypologien aufweisen. Und natürlich unterliege die heutige Bauweise dem aktuellen Architekturtrend. Nach wie vor ist jeder Baukörper ein eigener Prototyp. „Systembau mit hohem Vorfertigungsgrad könnte auch hier die Lösung sein“, sagt Summer. Das spare Zeit und Geld. Insbesondere im Holzsystembau gäbe es noch sehr effiziente Möglichkeiten.
Neben der Effizienz für die Produzenten bräuchte es für die Nutzer flexiblere Grundrisse, die nachträgliche Adaptierungen zulassen. Beispielsweise betrifft das sich verändernde Lebensumstände wie Familienzuwachs, zusätzliche Betreuungspflichten (Patchwork-Familie) oder notwendige Veränderungen in Richtung Barrierefreiheit innerhalb der Wohnung und so weiter. Die vai-Direktorin konkretisiert: „Architektur ist immer an den Bedürfnissen orientiert – weil gute Architektur sich für Mensch und Umwelt interessiert und einen positiven Beitrag leisten möchte.“ Die Flexibilisierung des Bauens auf allen Ebenen ist also eine weitere wichtige Schraube, an der wir in Vorarlberg noch drehen müssen.
Konrad sagt weiter: „Architektur kann hier einen kleinen, aber wertvollen Beitrag leisten, den Alltag zu erleichtern – beispielsweise durch flexible Grundrisse, die spätere Adaptierungen möglich machen.“ Sie schließt aber auch Umzüge in verschiedenen Lebenslagen nicht aus. „Wir Menschen sind mobil, eine Immobilie ist es nicht. Nicht jede Wohnung und jedes Haus kann jedes Bedürfnis abdecken.“
Neue Ballungsräume
Die zunehmende Urbanisierung des ländlichen Raumes müsse man auch stärker beachten, sagt Summer: „Einerseits haben wir das Rheintal, das sich zunehmend zu einer ‚Rheintal-Stadt‘ entwickelt, also ein zusammenhängender Ballungsraum mit regionalen Zentren inklusive Nahversorgern, mit Räumen für Wohnen und Arbeiten, für Bildung und Kunst mit überregionalen Zonen für Handel, Handwerk, Industrie, und Dienstleistern. Und andererseits die Talschaften, mit Tourismus, Handwerk und Kulturlandschaften, die es als Asset zu erhalten und weiter zu stärken gilt.“
Gerade was das Rheintal betrifft, bedingt das Verschwimmen der Gemeindegrenzen auch einen Wandel in den kommunalen Kompetenzen und Verantwortungen, die neu gedacht werden sollten. „Verwaltungen könnten zusammengelegt oder gebündelt werden, ebenso wie etwa öffentliche Einrichtungen und Funktionen. Als Lebensadern von Ballungsräumen müssen nicht zuletzt auch Freizeiträume, prosperierende Zentren, örtliche Infrastrukturen und der öffentliche Verkehr weiter ausgebaut werden“, konkretisiert Summer.
Ordnung und Grenzen
„Wir haben in Vorarlberg ohne Zweifel eine hohe architektonische Baukultur, aber der Städtebau lässt zu wünschen übrig“, meint Nadler-Kopf. „Wir bauen viele Häuser, aber kaum neue Räume.“
Die Sehnsucht nach Authentizität und qualitativ hochwertigen öffentlichen Räumen stillt die moderne Konsumgesellschaft heute in den Seelenräumen der historisch gewachsenen Zentren, wo der öffentliche Raum noch als „Ort“ erlebbar ist.
Für eine wirklich urbane Weiterentwicklung und qualitätsvolle Verdichtung, die auch den öffentlichen Raum mitdenkt, brauchen wir städtebauliche Analysen und Planungen, die rechtliche Grundlagen definieren. Wir sollten den Fokus vermehrt auf das Dazwischen, den Raum, die Stadt, das Dorf richten, dann können die Bauwerke von ihren heutigen, vielfach überfordernden Ansprüchen entlastet werden.
Die räumliche Entwicklung sollte unter Berücksichtigung folgender besonders wichtiger Faktoren erfolgen, stellt Konrad klar: „Siedlungsgrenzen sollten gehalten und die Zersiedelung aufgehalten werden. Wir müssen eine qualitätsvolle Innenverdichtung forcieren und mehr Aufmerksamkeit für öffentliche und semiöffentliche Räume schaffen, denn wir brauchen mehr und qualitätsvollere Freiräume.“ Neben dieser Entwicklung stehe gleichwertig der Schutz natürlicher Ressourcen, der Erhalt der Biodiversität und die Bedeutung der Landschaft. „Es gibt hier kein entweder oder, sondern Verantwortung für eine gesamthafte Entwicklung“, betont vai-Direktorin Konrad.
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